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- Olympische Winterspiele in Peking
Olympia hinter Mauern
Pandemie und Politik sorgen dafür, dass die Chinesen von den Winterspielen komplett ausgeschlossen sind
Am chinesischen Neujahrstag zeigt sich der Liangma-Fluss nördlich des Pekinger Diplomatenviertels von seiner schönsten Seite: Angler warten in der Februarsonne geduldig auf ihren Fang, Jogger sind in gemächlichem Tempo an der neugemachten Uferpromenade unterwegs, und ein Ur-Pekinger hat sich trotz der Minusgrade am ersten Februartag ins bitterkalte Nass getraut. Normaler Alltag eben, wie er im »Null Covid«-Land seit letztem Sommer bereits möglich ist.
Nur einen Steinwurf entfernt herrscht pandemischer Ausnahmezustand: Hinter grünen Trennwänden, teils durch Stacheldraht verstärkt, ragt das Kunlun-Hotel mit seinen 29 Stockwerken in den strahlend blauen Himmel. Das retrofuturistische Bauwerk ist seit knapp zwei Wochen Teil der olympischen Blase, es beherbergt Hunderte der insgesamt 11 000 Teilnehmer der XXIV. Olympischen Winterspiele. Wie sehr hier zwei diametral unterschiedliche Umgangsweisen mit dem Coronavirus aufeinanderprallen, wird bereits beim Anblick des verriegelten Eingangs deutlich: Wie einer Festung gleich wachen hier Polizeiwagen, Sicherheitsbeamte und Kameras. Nur ein kleines Torfenster gibt den Blick in die frei: dahinter ein Mann mit Maske, Schutzbrille und Gesichtsvisier.
Die am Freitag startenden Spiele in Peking werden, mehr noch als die Sommerspiele in Tokio im Vorjahr, im Zeichen von Corona stehen. Das Covid-Sicherheitskonzept der Organisatoren gehört mit zum Strengsten und Effizientesten, was derzeit epidemiologisch überhaupt möglich ist. Und dennoch haben die Gesundheitsbehörden seit der Öffnung der Olympiablase für einreisende Teilnehmer am 23. Januar bereits 232 Fälle registriert, wie die Organisatoren am Mittwoch mitteilten. Das sind täglich etwa ähnlich viele Fälle wie unter der chinesischen Bevölkerung mit 1,4 Milliarden Menschen.
Es braucht dennoch nur wenig Fantasie, um die abgeschirmten Winterspiele auch als passende Metapher für den Status Quo Chinas im Jahr 2022 zu sehen: Die ausländischen Gäste werden - als potenzielle Virusträger - hinter Zäunen abgeschirmt und vom Rest der Bevölkerung getrennt. Von daher erscheint das Großereignis auch aus der Nähe betrachtet, direkt von der Pekinger Innenstadt, als surreal weit entfernt.
Wer etwas Wintersportatmosphäre erhaschen will, der muss in den Chaoyang Park gehen, eine grüne Oase im Ostteil der Stadt, in dessen Zentrum mehrere künstlich angelegte Seen zum Entspannen einladen. An diesem Vormittag haben sich dort etliche Pekinger zum Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Wasser getroffen. Einer von ihnen, Herr Shi, sagt: »Ich freue mich auf jeden Fall auf die Spiele! Peking ist schließlich die erste Stadt, die sowohl Olympische Sommer- als auch Winterspiele ausrichtet. Das ist eine seltene Leistung.«
Auf diese können die Bewohner zurecht stolz sein - und auch auf die gleichzeitig einhergegangene Transformation: War Peking noch vor 14 Jahren eine charmante, jedoch unter Verkehrsstaus und Feinstaubbelastung leidende Großstadt, ist sie längst zur hochmodernen Metropole mit einem der besten öffentlichen Verkehrsnetze und einer beachtlichen Mittelschicht avanciert. Die Hochstahlöfen wurden aus der Stadt verbannt, jedoch auch die Arbeitsmigranten, Garküchen und Underground-Musikkneipen. Errichtet wurden stattdessen gläserne Geschäftsviertel, Hunderte Kilometer an U-Bahnlinien und etliche überdimensionale Einkaufszentren. Peking, das mittlerweile so viele Milliardäre beherbergt wie kein anderer Ort weltweit, hat viel von seinem früheren Charme verloren, doch für die meisten Bürger einiges an Lebensqualität hinzugewonnen.
Worüber es keine zweigeteilte Meinung gibt, ist die autoritäre Entwicklung der Volksrepublik in den letzten Jahren. Der Kontrast zu 2008, als Peking die Olympischen Sommerspiele austrug, könnte nicht größer sein: Der damalige US-Präsident George W. Bush sprach davon, dass China dabei sei, »in ein neues Zeitalter zu sprinten«. Die ganze Welt schaute damals auf Peking, und Peking hieß die Welt willkommen: Nicht nur der Andrang internationaler Staatsvertreter und Journalisten war groß - auch die Hoffnungen auf eine weitere Öffnung der Volksrepublik.
2022 haben sich diese längst zerschlagen. Wer sich die Gästeliste der knapp über 20 Staatschefs durchliest, die zur Eröffnungszeremonie am Freitag auf der Ehrentribüne sitzen werden, hat ein »who is who« globaler Autokraten und Diktatoren vor sich. Ausländischen Zuschauern und auch der chinesischen Allgemeinheit wird der Zugang zu den Spielen verwehrt. Nur handerlesenes Publikum wird, je nach aktueller Pandemielage, zugelassen. Da passt auch ins Bild, dass der Designer des Pekinger »Vogelnest«-Stadions, in das wie auch 2008 die Athleten bei der Eröffnung der Spiele einlaufen werden, mittlerweile im portugiesischen Exil sitzt: Ai Weiwei ist in seiner chinesischen Heimat längst eine persona non grata.
Wie sich das politische Klima gewandelt hat, zeigt auch die Pressefreiheit und wird im aktuellen Bericht des Pekinger Auslandskorrespondentenclubs vom Montag deutlich. Dieser liest sich nochmals niederschmetternder als im Vorjahr: »Der FCCC ist besorgt über das halsbrecherische Tempo, mit dem die Medienfreiheit in China abnimmt«, heißt es. Fast zwei Drittel der internationalen Journalisten berichten von Interventionen durch Polizisten oder Sicherheitsbeamte während ihrer Recherchereisen. Mehrere Kollegen haben zudem das Land verlassen - aufgrund von Einschüchterungskampagnen oder schlicht der coronabedingt erschwerten Einreisebedingungen. Die Entkopplung schreitet auch medial zunehmend fort: Viele Journalisten setzen ihre Berichterstattung über China von Taipeh oder Seoul aus fort.
Innerhalb Chinas ist all das kein Thema. Die staatlich kontrollierten Medien ignorieren die Kritik aus dem Ausland weitgehend oder tun sie als Lügen ab. Das gilt insbesondere auch für die Boykottdebatte rund um die Winterspiele: »Über viele dieser Themen wird einfach nicht berichtet. Diplomatische Boykotts werden ebenfalls kein großes Thema sein«, sagt der in Peking lebende US-Amerikaner Mark Dreyer, der die Online-Plattform »China Sports Insider« gegründet hat. Der Staatsapparat in Peking fühlt sich mittlerweile mächtig genug, die Schmähstimmen aus dem Westen wie Störgeräusche einfach auszublenden. Das Narrativ der Winterspiele möchte man höchst selbst bestimmen: Eine neue Weltmacht, die von der internationalen Staatengemeinschaft für ihren rasanten Aufstieg bewundert wird. Zumindest innerhalb der eigenen Landesgrenzen wird diese Botschaft auch verfangen.
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