Quarantäne war gestern

Mit der Strategie »Testen, um zu bleiben« soll der Betrieb in Berliner Kitas am Laufen gehalten werden

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die lange gültige Quarantäneregelung an Berliner Kitas hat sich ab kommender Woche erledigt. Wie die Senatsjugendverwaltung am Mittwoch mitgeteilt hat, können auch jene Kinder weiter die Kitas besuchen, die als enge Kontaktpersonen eines positiven Coronafalls in der Kita-Gruppe gelten. Voraussetzung: Die betreffenden Kinder müssen symptomfrei sein und sich die folgenden fünf Tage testen lassen, mit negativem Ergebnis versteht sich.

Jugendsenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) beendet mit der Entscheidung eine anderthalbwöchige Hängepartie. Schließlich standen zuletzt zwei unterschiedliche Quarantäneregelungen nebeneinander. Einerseits die bisherige Senatslinie, nach der auch in Kitas Kontaktpersonen in Quarantäne mussten, andererseits eine Empfehlung der Amtsärzte, die Quarantäne durch tägliche Coronatests zu ersetzen. Die Verwirrung, an was sich die Kitas denn nun eigentlich halten sollen, war perfekt. Jetzt ist immerhin klar: Ab Montag gilt die »Test to Stay« getaufte Methode der Amtsärzte: Testen, um zu bleiben.

In einem Schreiben an die Kita-Träger bedauert die Jugendverwaltung am Mittwoch, »dass die unterschiedlichen Kommunikationswege und Verfahren zu Unsicherheiten und Belastungen geführt haben«. Man hoffe aber, nun Klarheit geschaffen zu haben.

Klarheit vielleicht, zur Beruhigung der Gemüter tragen die Regelungen aber insbesondere beim Kita-Personal nicht bei, sagt Gabi Honer vom Landesverband sozialpädagogischer Fachkräfte. »Damit werden Infektionen in größerem Stil bewusst in Kauf genommen und wirtschaftliche Interessen klar über die die Betroffenen gestellt«, ärgert sich die Leiterin einer Kita in Charlottenburg-Wilmersdorf gegenüber »nd«. Es gehe offenkundig nur noch darum, den Betrieb unter allen Umständen am Laufen zu halten.

Vor allem ein Detail bei den Neuregelungen zur Quarantäne sorgt bei den Erzieherinnen und Erziehern, die sich in Honers Verband zusammengeschlossen haben, für ordentlich Unmut. Während Eltern frei entscheiden können, ob sie ihr symptomfreies Kind bei einem Coronafall in der Gruppe sicherheitshalber zu Hause lassen oder in die Kita schicken, heißt es für das Personal klipp und klar: »Eine Wahlmöglichkeit für Beschäftigte, sich als Kontaktperson in Quarantäne zu begeben, besteht nicht.«

Bislang war das ebenfalls anders. Auch symptomfreie Beschäftigte konnten im Zweifelsfall auf Nummer sicher gehen. Aus einer Kann- ist eine Muss-Bestimmung geworden. »Das ist eine Frechheit und schlimm für alle Kolleginnen und Kollegen, die Ängste haben, sich anzustecken und diese Ansteckungen dann in ihre Familien zu tragen«, so Kita-Leiterin Honer.

Ähnlich sieht das Lavinia Neumann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). »Als Beschäftigte fühlen wir uns im Stich gelassen. Gesundheitsschutz sieht anders aus, denn fraglich ist, wie verlässlich die Tests sind«, so die Erzieherin in einem Kita-Eigenbetrieb des Landes Berlin. Die GEW sieht die Kitas bereits als »Versuchslabor« und erinnert daran, dass die Einrichtungen ohnehin »kurz vor dem Kollaps stehen«.

Tatsächlich wird die Gesamtsensitivität der von der Jugendverwaltung seit Anfang vergangener Woche an den Kitas verteilten Lolli-Tests in einer aktuellen Übersicht des Paul-Ehrlich-Instituts mit 52 Prozent angegeben. Auch wenn es Tests gibt, deren Sensitivität geringer ausfällt: Die Lollis würden den Angaben der Forscher zufolge allenfalls Mittelmaß bleiben.

»Bei der Auswahl der Tests hatten wir vor allem nach dem Kriterium der Benutzerfreundlichkeit entschieden«, sagt Ralph Kotsch, Sprecher der Jugendverwaltung, zu »nd«. Wichtig sei derzeit vor allem eines: »Alle Kitas sind mit Tests versorgt und werden ständig nachversorgt«, so Kotsch. Um die »Test to Stay«-Strategie abzusichern, habe man gerade erst noch einmal zwei Millionen zusätzliche Lolli-Tests geordert.

Dorothee Thielen, die Kita-Referentin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, hat mit den Tests kein Problem. »Die Lolli-Tests waren ausdrücklich der Wunsch der Eltern«, sagt Thielen zu »nd«. Auch sei die Senatsverwaltung bei der Entscheidung hierfür den Empfehlungen von Charité und Vivantes gefolgt. Eine andere Frage sei, ob die Kinder auch korrekt getestet werden, ja, ob sie überhaupt getestet werden.

Wie berichtet, werden an den Kitas – im Unterschied zu den Schulen – die Tests den Eltern mitgegeben, damit diese ihre Kinder dreimal pro Woche morgens zu Hause testen, was bei Kindern mit Kontakt zu Infizierten nun eben auf fünf Tage erweitert wird. So oder so: Das für den Kita-Besuch notwendige negative Ergebnis muss von den Eltern auf einem Formular bestätigt werden, das dann wiederum vor Ort kontrolliert werden soll. Thielen erinnert dabei an typische Morgen-Situationen daheim, in den es auch mal drunter und drüber geht: »Demzufolge können dann auch die Testergebnisse in unterschiedlicher Qualität ausfallen. Aber so ist es nun mal. Und ich finde es toll, dass die allermeisten Eltern bei den Testungen mitziehen.«

Sowohl Thielen als auch Gabi Honer vom Erzieherinnen- und Erzieherverband bauen hier auf das Vertrauensprinzip. »Ob die Eltern ihre Kinder tatsächlich getestet haben oder nicht: Es gibt keine Sicherheit. Aber ich muss einfach davon ausgehen. Was soll man sonst auch tun?«, sagt Honer. Letztlich werde aber ohnehin »mal wieder alles an die Kitas und die Träger delegiert«. Viele Kolleginnen und Kollegen seien schlichtweg am Ende ihrer Kräfte.

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