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  • Kultur
  • Volksbühne und Einheitslohn

Nichts als Lässigkeit

Den vagen Äußerungen über einen Einheitslohn an der Berliner Volksbühne folgen keine Taten

  • Luise Meier
  • Lesedauer: 8 Min.

Ein Gespenst geht um im Feuilleton, das Gespenst des Einheitslohns. Allerdings kommt das Gespenstische nicht so sehr vom vermeintlich rebellischen Volksbühnenintendanten René Pollesch oder einem Theaterkollektiv, das endlich an den bürgerlichen Grundfesten der Theaterwelt rütteln und dieser gefährlich werden und gar seine Angstfantasien befeuern würde. Nein, das Gespenstische kommt von der großen Leere, die einem entgegenstarrt, sobald die Frage nach dem Einheitslohn von hilflos mit der Kollektivbehauptung ringenden Journalist*innen gestellt wird.

In einem Interview mit dem »nd« antwortete René Pollesch auf die Frage, wie oft er noch vom Sozialismus träume, er träume weniger vom Sozialismus als vom sozialistischen Theater. In anderen Interviews heißt es, er sei nicht der Intendant, das Haus werde kollektiv geleitet, die Schauspieler*innen gäben den Ton an, man rede über dies und das, mit diesen und jenen. Blickt man hinter die Rhetorik von Kollektiv und Sozialismus, bleibt nicht viel mehr übrig, als dass in öffentlichen Interviews mal diese und mal jene klassisch lohnabhängig Beschäftigten zu Wort kommen und sich positiv über ihren Arbeitgeber und das Arbeitsklima äußern.

Das Spuken und Spekulieren lässt sich schnell beenden: Das Kollektiv »Staub zu Glitzer« teilt auf Anfrage mit: »Die Erarbeitung eines egalitären Entlohnungsmodells gehört zum Kern unserer Forderungen und war somit mehrfach Thema in Gesprächen.« Weiter heißt es von Seiten der ehemaligen Besetzer*innen und Aktivist*innen: »Wir baten bereits in der Vorbereitungszeit darum, den neuen Geschäftsführer eine Summe ermitteln zu lassen, die als Ausgangspunkt für eine öffentliche Debatte dienen kann. Es gab von Seiten der Volksbühne jedoch keine Bereitschaft, dieses Thema zu vertiefen.«

Aus der Pressestelle der Volksbühne wiederum heißt es auf Nachfrage des »nd« vielsagend, die Idee des Einheitslohns sei weit weniger gediehen, als man vermuten würde. Derzeit seien die Gagenverhältnisse wohl mit den allgemeinen Verhältnissen an Bühnen in öffentlicher Hand vergleichbar. Grundsätzlich reiche die Spanne in allen Bereichen bei bzw. über dem gesetzlich verpflichtenden Mindestlohn bis zu frei verhandelten (Spitzen-)Gagen. Generelle Verhandlungen über einen Einheitslohn mit den Mitarbeitenden gebe es nicht. Die Idee ist am Haus, also außerhalb der Träume und Interviewstatements des Intendanten, gar nicht gediehen, lässt sich daraus ableiten.

Alles nicht neu und auch nicht schlimmer als anderswo, würde nicht die ganze Zeit mit Begriffen der emanzipatorischen Linken, Einheitslohn und Sozialismus, herumgewedelt und auf Brecht oder gar Rosa Luxemburg Bezug genommen werden, um sie dann einfach als jeder revolutionären Forderung entleerte Wachsfiguren zahnlos, verheißungsvoll zu Waren des Theorie- und Kunstmarktes zusammengeschrumpft, wie Werbetafeln in der Luft herumhängen zu lassen. Die Abwesenheit von verbindlichen Strukturen, wie Plena, emanzipatorischer Lohngestaltung, Maßnahmen zur Kompensation von ungleich verteilter Sorgearbeit, Abstimmungen, offenen Räumen für die Selbstorganisierung stadtpolitischer Initiativen, Streikender und linker Gruppen oder regelmäßige Mitarbeiter*innengremien über die ohnehin betriebsrechtlich vorgeschriebenen Versammlungen hinaus wird als antiautoritäre Lässigkeit verkauft.

Dass in einem mittlerweile über hundert Jahre andauernden Diskurs linker Bewegungen über radikaldemokratische und antiautoritäre Organisationsstrukturen die Abwesenheit von transparenten Mitbestimmungsstrukturen längst als Fortsetzung des Status quo traditioneller und informeller Hierarchien kritisiert wurde und wird, interessiert nicht. Lässigkeit gegenüber autoritären Strukturen können sich Leute mit einem sechsstelligen Jahresgehalt oder anderen Formen von »Fuck-You-Money«, also in durch Lohnunterschiede hergestellten Autoritätspositionen leisten, alle anderen eher nicht. (Die überfällige Offenlegung von Intendantengehältern, wie sie etwa in Hamburg bereits durchgesetzt ist, lässt trotz anderslautender Versprechen bereits in der letzten rot-rot-grünen Legislaturperiode auf sich warten. Daniel Bartsch, Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa, beteuerte, es werde derzeit an einem Transparenzgesetz gearbeitet.) Man mag zum Sozialismus im Theater, zum Sozialismus in einem Haus, stehen, wie man will. Die Frage, ob sich das Behauptete in der Praxis verwirklicht, ist damit nicht aus der Welt.

Die radikale Geste, sich das Label »kollektive Intendanz« zu verleihen und mit den Besetzer*innen von 2017 zu schmücken, hat viele Aktivist*innen, Künstlerkolleg*innen und Journalisten erst einmal in ihren Bann gezogen. Gespannt wurde abgewartet, interessiert, aber wenig insistierend nachgefragt, Zurückhaltung ob des immer monotoner werdenden Spielplans geübt, das monatelange schleichend voranschreitende Verschwinden der Spielstätte Grüner Salon aus dem Spielplan höflich übersehen.

Versuche, mehr über die konkrete Ausgestaltung der kollektiven Intendanz herauszufinden, können spätestens seit dem letzten Interview zweier Trägerinnen der Intendanz (Vanessa Unzalu Troya und Marlene Engel) und dem Getragenen (Intendant wider Willen René Pollesch) mit dem Magazin »Texte zur Kunst« als müßig eingeschätzt werden. Dort einigte man sich, nach praktischen Formen der kollektiven Intendanz gefragt, darauf, man habe jetzt den Begriff Kollektiv überwunden und nenne sich fortan Plattform. Selbst Schuld, wer die mühsam konstruierte Umdrehung des Plattformbegriffs, die dann folgt, nicht mitmacht und dabei einfach an Plattformkapitalismus denkt: Netflix, Bezahlschranke, Premium-Abo, Cookie- und Pushnachrichtenterror, Datenabschöpfung, Lohndumping, Amazons ausbeuterischer Umgang mit Arbeiter*innen und Händler*innen, die mittlerweile in der Presse breit diskutierten gesellschaftlichen Folgen von Facebook und Instagram (von Essstörungen bei Kindern bis zum Genozid in Myanmar), Scheinselbstständigkeit, die Ausbeutung von Musiker*innen durch Spotify und die Monetarisierung aller noch so sperrigen Inhalte.

Offen bleibt, was die beiden Frauen etwa, die als Trägerinnen der Intendanz den Intendanten wider Willen und die Nichteinführung von transparenten Strukturen mittragen und öffentlich vertreten, zu gleichberechtigten Mitgliedern des Kollektivs macht. Wird das vermutlich sechsstellige Intendantengehalt auch ihnen zuteil? Welche wirklichen Mitbestimmungsmöglichkeiten haben sie außerhalb ihrer vertraglich festgelegten Aufgabenbereiche? Werden sie nur angehört und dürfen wie fast alle Abteilungsleiter*innen in allen anderen Betrieben Input geben, oder haben sie ein Vetorecht? Wer geht, wer bleibt im Fall von Konflikt? Und wer wird gar nicht erst reingelassen - wenn es von Vanessa Unzalu Troya auf Nachfrage der »FAZ« heißt: »Die, die da sind, sind da und werden gehört«? Wer gehört unkündbar dazu und wird wirklich in Entscheidungen einbezogen, auch wenn er*sie sich, wie Kathrin Angerer jüngst im Interview mit radioeins bekannt gab, in Zukunft mehr aufs Drehen konzentrieren will? Wer wird nach getroffenen Entscheidungen als Honorarkraft oder aufwendig aus Hunderten Teilnehmer*innen gecastetes zehnjähriges Mädchen vor vollendete Tatsachen gestellt. Das nur am Rande zum jüngst uraufgeführten Psychodrama »MiniMe«: Der offensichtliche performative Widerspruch zwischen dem Inhalt des Stücks, das die toxische Dynamik von Talentwettbewerben für Kinder anprangert, und den Produktionsbedingungen des Stücks, zu denen das Casten der zehnjährigen Hauptdarstellerin gehört, das eine ziemlich genaue Reproduktion derselben Talentwettbewerbslogik darstellt, scheint niemandem aufzufallen. Und das am Haus desjenigen Intendanten, der nicht müde wird, über die Abschaffung von Castings als Produktionsprinzip zu reden.

»Staub zu Glitzer«, die neben einer Öffnung des Hauses für emanzipatorische Initiativen, »selbstverständlich eine egalitäre Entlohnungsstruktur für die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz« fordern und deren genaue Ausgestaltung in einem »öffentlichen und transparenten Prozess« zur Diskussion stellen, quasi selbst zum Lehrstück machen wollen, ist im Haus, außer in der Rolle des zahlenden Publikums, seit der Organisation der Pressekonferenz der Pflegestreikenden in Berlin nicht mehr erwünscht.

Der Theatermacher Kevin Rittberger, der sich in der Vorbereitungszeit der Intendanz als Teil des Leitungsteams u. a. »für die Kooperation mit Staub zu Glitzer einsetzte, für einen längeren und transparenten Transformationsprozess hinsichtlich der Forderung nach einer Kollektivintendanz und für mehr Diversität«, ist noch vor Spielzeiteröffnung gegangen. Das Künstlerduo Vegard Vinge/Ida Müller ist nie gekommen, die Stars und die Überbleibsel der Castorf’schen Kernfamilie sowie der Intendanzen Chris Dercon und Klaus Dörr (Susanne Kennedy und Constanza Macras) allerdings bleiben.

Genau genommen ist natürlich auch der Zarenhof samt Beraterstab oder die kleinbürgerliche Familieneinheit (Vater, Mutter, 1,6 Kinder) ein Kollektiv, nur eben kein sozialistisches, emanzipatorisches oder auch nur progressives. Von einem anderen Theater könnte man sich enttäuscht abwenden, die bürgerliche Blase sich selbst und dem eigenen Hype überlassen und das Links-»Washing« müde belächeln. Die Volksbühne allerdings gehört nicht in die Tradition der bürgerlichen Staats- oder Privattheater. Sie gehörte, bis sie 1933 von den Nazis verstaatlicht wurde, der Arbeiter*innenbewegung und bleibt mit deren emanzipatorischen Forderungen und Sehnsüchten bis heute verbunden. Aus den Widersprüchen, die diese Verbindung im Staatssozialismus wie im Kapitalismus mit sich brachte und bringt, kann, wenn sie nicht hinter hohlen Phrasen versteckt bleiben, eine explosive Verbindung von Kunst und politischem Aktivismus entstehen und auf die Stadtgesellschaft ausstrahlen. Wie 1989, aber auch während der Volksbühnenbesetzung 2017.

Was bleibt zu lernen vom Lehrstück, das sich seit der Ankündigung der Intendanz Polleschs auf dem Rosa-Luxemburg-Platz abspielt? Vielleicht die Erweiterung des alten Ohrwurms »Es rettet uns kein höh’res Wesen«, kein vermeintliches Künstlergenie wider Willen und kein linker Kultursenat. Vielleicht die Notwendigkeit eines neuen Volksbühnenkrachs in Piscator’scher und Besetzer*innen-Tradition.

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