• Kultur
  • Theater und Einheitslohn

Gleiches Geld für alle

Wie teuer ist die Theaterfamilie? Ein paar Schlaglichter auf Versuche emanzipatorischer Arbeit am Theater

  • Anna Volkland
  • Lesedauer: 7 Min.
Progressive Theatermacher*innen müssen – bestenfalls kollektiv – Wege finden, damit der Geldregen alle gleichermaßen erreicht.
Progressive Theatermacher*innen müssen – bestenfalls kollektiv – Wege finden, damit der Geldregen alle gleichermaßen erreicht.

Die Idee eines Einheitslohns am Theater, die besonders in den späten 60er und 70er Jahren in der BRD als Praxis der auszudiskutierenden Gagenangleichung betrieben wurde und die vereinzelt in den 90er Jahren wieder auftauchte - prominent etwa 1999 an der Berliner Schaubühne mit Thomas Ostermeier und Kolleg*innen -, ist vor allem ein Phänomen der (öffentlich finanzierten) Theaterhäuser mit festem Ensemble. Sie zielt auf eine gerechtere Verteilung durchaus nennenswerter vorhandener Honorarbudgets. Nicht zum Selbstzweck, sondern im Rahmen des Versuchs einer Demokratisierung der gesamten Arbeitsbeziehungen im Theater sowie der Institution selbst. Das heißt, die noch kaum erforschten Annäherungen an einen Theatereinheitslohn gehören untrennbar zur bis heute immer noch zu oft als gescheitert erzählten Geschichte der Mitbestimmung, Politisierung und inneren Umgestaltung der westdeutschen Stadt- und Staatstheater nach 1945, in Teilen auch der ost- sowie später gesamtdeutschen.

Spielarten eines einheitlichen Lohns für alle tauchen dort auf, wo Theaterschaffende die Beziehungen innerhalb des de facto immer nur als gemeinschaftliche Anstrengung funktionierenden Inszenierungsprozesses möglichst konsequent gleichberechtigt gestalten wollen. Dazu zählen neben den Künstler*innen durchaus auch die »Kunst-Ermöglicher*innen« (wie man die Mitarbeiter*innen der Gewerke, Technik oder Verwaltung in den 90er Jahren am neu und im Kollektivgedanken gegründeten Theaterhaus Jena nannte). Solange eine Theaterleitung oder Regiepositionen gegenüber weisungsgebundenen Schauspieler*innen und allen anderen Mitarbeitenden als unangreifbare Autorität und Letztentscheidungsinstanz verstanden werden muss, kann niemals lebendige, wirksame Kunst entstehen und erscheint jede progressive politische Aussage auf der Bühne unglaubwürdig, so die ab 1968 in der BRD geltende Analyse. Der undemokratische Untertanengeist sollte damals auch im traditionell geniegläubigen, auf eine zentrale Leitungsfigur hin orientierten Theaterbetrieb abgeschafft, stattdessen Mitverantwortlichkeit fürs Ganze erlernt werden.

Anders als heute, wo seit ein paar Jahren das »Ensemble-Netzwerk« als selbstorganisierte Bewegung Theaterschaffender für höhere Einstiegsgagen und weniger erniedrigende Arbeitsbedingungen kämpft, war die Frage der Bezahlung und Arbeitsverträge in den späten 60er Jahren nicht der Ausgangspunkt der Diskussionen. Primär ging es den vor allem jüngeren, sich als links verstehenden Theaterschaffenden der damaligen BRD um die Bewusstmachung des Sinns der eigenen Arbeit: Zu welchem Zweck und für welches Publikum, für welche Gegenwart und welche zu erhoffende Zukunft produzierte man Theater? Welche Hierarchien, Herrschafts-, Unterdrückungs- und Entfremdungsverhältnisse wirkten in der eigenen Arbeit fort? Und wie wäre die gesamtgesellschaftlich geforderte Demokratisierung auf die eigenen Arbeitsstrukturen konkret übertragbar? Es musste, sollte, wollte alles gemeinsam diskutiert und entschieden werden, gemeinsam gelernt, geirrt und aufs Neue versucht.

Die Mitbestimmungsversuche, die etwa am Schauspiel Frankfurt (am Main) auf Basis eines offiziellen von der Kulturpolitik mitgetragenen Statuts von 1972 bis 1980, also immerhin acht Spielzeiten lang, mit einem sehr großen Ensemble und hoher Premierenanzahl durchgehalten wurden, waren möglich in einer Zeit, in der selbstbewusst von Alternativen zum bestehenden kapitalistischen System gesprochen wurde.

Neben der Suche nach neuen Arbeitsweisen (Ensembleprojekte, Kollektivregie) und einer gegenwartsorientierten Spielplangestaltung (in gemeinsamer Diskussion) ist vor allem die Neugestaltung der Rolle der Theaterleitung bemerkenswert. Fraglos waren die Regisseure Peter Palitzsch für Frankfurt oder Peter Stein für die ebenfalls antiautoritär bewegte, viel kleinere, aber viel beachtete Westberliner Schaubühne am Halleschen Ufer damals unverzichtbare, in ihrer besonderen Kompetenz anerkannte Leitfiguren ihrer jeweiligen Theater. Zugleich wurde das Konzept von Führungsfiguren als Machthabende nicht nur verbal strikt abgelehnt. Was sie von anderen, auch heutigen Theaterleiter*innen unterschied, war der Verzicht auf Privilegien gegenüber denen, mit denen sie täglich zusammenarbeiteten. Palitzsch und in den ersten Jahren auch Stein entschieden weder allein über Einstellungen, Kündigungen oder Gagen, noch verdienten sie selbst wesentlich mehr als die anderen.

Die gegenüber dem damals bestbezahlten Frankfurter Schauspieler um nur 500 DM höhere Gage, die der legendär bescheidene Peter Palitzsch schließlich bereit war zu akzeptieren, lag sehr weit unter dem, was andere für die Leitung selbst kleinerer Häuser verlangten. Auch für seine Mehrarbeit als Dreierdirektoriumsmitglied erbat er lediglich 250 DM Aufwandsentschädigung, die er wie die anderen Direktoriumsmitglieder einem Fonds spendete. Dank dessen konnten die Ensemblemitglieder notwendige Informationsreisen an andere Theater finanzieren. Dabei wurden auch die Kolleg*innen zur praktischen Solidarität angehalten, indem Palitzsch sie daran erinnerte, »was [einer] mehr an Gage bekommt, kann ja sein Kollege nicht bekommen«. Kollektive Diskussionen führten somit schon 1972 zum Abbau von Spitzen- und zur Anhebung der niedrigeren Gagen. Der Frankfurter Ensembledurchschnitt lag damals bei 2500 DM, das statistische Bundesamt nennt für das gleiche Jahr nur 699 Euro als BRD-Bruttomonatsdurchschnitt für Vollbeschäftigte (Männer und Frauen).

1980 erschöpft beendet wurde das Frankfurter Modell also nicht, weil die Theaterleute durch zu geringe Gagen existenziell in Bedrängnis geraten wären. Auch nicht, weil »Mitbestimmung« vermeintlich tödliches künstlerisches Mittelmaß bedeutet hätte. Die genaue Analyse muss an anderer Stelle erfolgen, aber: Aus heutiger Sicht zeigt sich die damalige Fixierung auf die gemeinsame Theaterarbeit als deutliche Überforderung. Diese sollte nicht als Brotberuf begriffen werden, sondern als Lebensaufgabe, getragen von der Hoffnung, durch Kunst auf individuelle Denkmuster und letztlich gesellschaftliche Strukturen einwirken zu können.

Der Versuch einer Wiederbelebung des Mitbestimmungsmodells 1999 an der Berliner Schaubühne wurde, scheint es, gerade nicht wegen des Activist Burn-outs der Beteiligten nach vier Jahren wieder aufgegeben. Die zu Beginn eingeführte Einheitsgage in Höhe von gar nicht so bescheidenen 6000 DM sei nach bereits zwei Jahren nicht mehr mehrheitsfähig gewesen, und »das lag daran, dass einige Mitglieder des Ensembles das Gefühl hatten, mit ihrem Geld nicht auszukommen«, so der Regisseur und künstlerische Leiter Thomas Ostermeier 2019.

Anders gesagt: Die Verlockung, für eine im Vergleich mit anderen Arbeitsmöglichkeiten (etwa beim Film) nicht ganz so luxuriöse Gage dennoch volles Engagement zu zeigen, war Ende der 90er Jahre nicht mehr eben groß. Die kollektive Vision der Theaterarbeit für eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit hatte im Zeitalter der Alternativlosigkeit ihre Strahl- und Anziehungskraft verloren. Was auch damit zu tun haben dürfte, dass die seit den 80er Jahren vorangetriebene Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen besonders im künstlerischen Bereich nicht nur eine attraktive Form der individuellen Freiheit versprach, sondern seit Auflösung der DDR-Rahmenkollektivverträge für Theater 1991 tatsächlich alternativlos geworden war. Die Bindung an ein Theater bis ins Rentenalter war passé.

Ist ein Einheitslohn nicht nur dann sinnvoll, wenn sich die Kolleg*innen (möglichst aller Abteilungen) als einigermaßen stabiles Ensemble begreifen können und sich vollumfänglich der Arbeit an »ihrem« Haus widmen wollen? Sowohl zu Zeiten der Mitbestimmung am Schauspiel Frankfurt als auch Jahrzehnte später noch an der Schaubühne Berlin gab es die selbstverpflichtende Vereinbarung, zumindest für die erste Zeit, keine Angebote als Gastschauspieler*in oder Gastregisseur*in an anderen Theatern oder bei Film und Fernsehen anzunehmen. Nicht aus dem Wunsch heraus, dass niemand über diesen Umweg dann doch mehr verdienen könnte als die anderen. Der Grund lag darin, dass die permanente gemeinsame Verständigung über die Programmatik, Weiterentwicklung, Organisation des Theaterbetriebs und die Weiterbildung in allen hierfür notwendig erscheinenden Fragen kontinuierlich ein hohes zeitliches Engagement erforderte.

Tatsächlich scheint auch heute noch die Sehnsucht zu existieren, verbindliche, ernst gemeinte Arbeitsbeziehungen im Theaterbereich herzustellen, eine selbst gewählte »Theaterfamilie« zu finden, in der sich aufgrund jahrelanger Kenntnis und gemeinsam durchgestandener Krisen und Konflikte eine belastbare Arbeitsbasis entwickelt, die auf gegenseitigem Respekt und Anerkennung beruhen kann - nicht auf Macht und Angst.

De facto aber ist die Abhängigkeit der künstlerisch Beschäftigten von deren Leiter*innen - und mögen sie auch noch so freundlich wirken - heute größer denn je. Die »Kolleg*innen« im künstlerischen Bereich sind dank des tariflich vereinbarten »Normalvertrags Bühne« regulär befristet angestellt oder werden lediglich als Gast für einen bestimmten Auftrag (Regie, Bühne, Text etc.) bezahlt. Der viel beschworene Ensemblegedanke funktioniert heute vor allem durch das Ensemble-Netzwerk, das die von Haus zu Haus, von Team zu Team oder von Arbeit zu Arbeitslosigkeit bzw. Auftragsakquirierungsphase wechselnden Solo-Künstler*innen erinnert: »You are not alone!«

Das Gagengefälle zwischen Intendant oder Intendantin sowie wenigen »Stars« einerseits und andererseits den vielen prekär Beschäftigten, die sich eigentlich als deren für die Theaterarbeit mitverantwortliche Kolleg*innen verstehen sollten, ist inzwischen gewaltig.

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