Zehn Tage, die die Welt erschüttern

Die Queen, seit unfassbaren 70 Jahren auf dem Thron, denkt an ihre Zukunft: Nichts soll dem Zufall überlassen werden

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 6 Min.

An diesem Sonntag ist Königin Elizabeth II. 70 Jahre auf dem Thron. Das Platin-Jubiläum ist ein Jahrestag, der selbst in der reichen britischen Geschichte seinesgleichen sucht. Als sie am 6. Februar 1952 mit knapp 26 Jahren Queen wurde, war Churchill Premier, Stalin noch ein Jahr im Kreml, und Ulbricht sichtete die optimistischsten Losungen zum dritten Jahrestag der DDR.

Doch die Queen, bald 96, wäre nicht populärer als jede ihrer Regierungen geworden, hätte sie nicht immer auch Sinn fürs Praktische gehabt. Deshalb treffen Königshaus und Staat seit Langem Vorkehrungen für den Tag, an dem selbst die ewige Queen ihre Untertanen zurücklässt. Dass diese Vorbereitungen mit ihrer Kenntnis laufen, erstaunt wenig, wissen doch gerade Monarchen, dass ihre Regentschaft aus Grenzfällen von Leben und Tod hervorgeht: George VI. starb am 6. Februar 1952, und seine älteste Tochter ward am selben Tag Königin, auch wenn ihre Krönung erst 1953 erfolgte. Obwohl streng vertraulich, sind die Pläne für den Tag, an dem die Queen das Zeitliche segnet, von einigen Quellen so weit recherchiert worden, dass sich ein gutes Bild ergibt - und die Gewissheit, dass ihr Tod zehn Tage lang die Welt erschüttern wird.

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Die Vorkehrungen laufen unter dem Code »London Bridge«, beginnen mit der Todesmeldung, dem »D-Day«, und enden mit der Beisetzung der Königin. »Das ist pure Geschichte«, sagt ein Höfling zu Reporter Sam Knight für den »Guardian«. »Es gibt zehn Tage Trauer und Spektakel, bei dem wir uns - wie bei der Beweihräucherung der Monarchie - daran ergötzen, wer wir waren, und dabei die Frage ausblenden, was aus uns geworden ist.« Die Folgebeispiele sind nur Ausschnitte, zeigen aber, dass nichts dem Zufall überlassen wird. Das üppige Protokoll relativiert sogar den guinnessbuchreifen Rekord, den das Zentralorgan »ND«, Vorgänger dieser Zeitung, 1987 aufstellte, als es 43 Fotos von Erich Honecker veröffentlichte. In einer Ausgabe.

»D-Day« - der Todestag

Der Premier wird informiert und Staatsbeamte sprechen über eine sichere Telefonleitung die Formel »London bridge is down«. Aus dem Kommunikationszentrum des Außenministeriums geht die Todesnachricht an die 15 Regierungen außerhalb des Königreiches, für die die Queen Staatsoberhaupt, sowie an 35 weitere Nationen des Commonwealth, für die sie symbolisches Oberhaupt war. Die »Rufkaskade« wird zugleich versuchen, Social Media ruhigzustellen, denn laut Dokumenten, die das US-Portal »Politico« erhielt, könnte eine Kombination aus Menschenaufläufen und infrastrukturellen Herausforderungen bis zu erhöhter Terrorgefahr eintreten.

Die vom Privatsekretär der Königin ausgelöste Meldekette enthält eine an die Öffentlichkeit gerichtete Nachricht der Royals vom Ableben der »Elizabeth Alexandra Mary Windsor«. Dann werden im Regierungsviertel die Flaggen auf Halbmast gesetzt, gefolgt von Salutschüssen und nationaler Schweigeminute. Sobald der Premier eine Erklärung abgegeben hat, tritt er zur ersten Audienz beim neuen König an - der Thronfolge gemäß Elizabeths ältester Sohn Charles. Der Prince of Wales ist auch schon im Rentenalter; im November wurde er 73.

Den internen Papieren zufolge wird er sich am D-Day »um 18 Uhr« an die Nation wenden, es sei denn, er verzichtet auf den Thron und leitet die Thronfolge auf seinen ältesten Sohn William (39) über. Doch das ist unwahrscheinlich. Möglichst binnen weniger Stunden nach dem Tod der Monarchin sollen beide Parlamentskammern zusammentreten und die Unterhausabgeordneten den Treueid auf den neuen Herrscher schwören.

Alle Medien setzen ihre Nachruf-Maschine in Gang. Von der »Times« heißt es, sie habe genug Stoff zum Thema für die nächsten elf Ausgaben. Bei Sky News und ITN, die seit Jahren den Tod der Queen geheim durchspielen und dabei deren Namen durch »Mrs. Robinson« ersetzen, treten Königshausexperten auf, mit denen Exklusivverträge geschlossen wurden.

Die Rundfunksender haben Musiklisten vorbereitet, unterteilt in die Kategorien »Stimmung 2« (traurig) und »Stimmung 1« (todtraurig). Die Hörer von Radio 4 und Radio 5 live kriegen plötzlich die spezielle Formulierung »This is the BBC from London« aufs Ohr, bei der geübten Hörern sogleich nationaler Notstand schwant.

D-Day + 2 bis + 6

Einen Tag nach dem Tod werden die Flaggen im Land wieder hochgesetzt. Bis »D-Day + 6« steht die Organisation der Thronfolge an. Schlüsselrolle hat der Accession Council, im Königreich ein zeremonielles Organ, das bei Tod oder Abdankung des Monarchen zusammentritt, um die Thronbesteigung des Nachfolgers auszurufen. Erst diese Zusammenkunft macht Charles zum Souverän. Er bereist dann als neuer King in fünf Tagen England, Schottland und Nordirland, jedoch erst an »D-Day + 7« sein vormaliges Fürstentum Wales.

Auch die Überführung der sterblichen Überreste ist penibel geplant. Obwohl festgelegt, dass der Sarg »spätestens D-Day + 2« in Buckingham Palace in London eintrifft, gibt es Szenarien für den Fall, dass die Queen im Ausland oder in einem ihrer Anwesen in Sandringham in Ostengland oder Balmoral in den schottischen Highlands stirbt. Sollte sie im Ausland sterben, wird - wie Reporter Sam Knight ermittelte - »ein BAe 146 Düsenjet aus der RAF-Truppe 32, bekannt als The Royal Flight, in Northolt westlich Londons mit einem Sarg an Bord starten. Das königliche Bestattungsunternehmen Leverton & Sons hält nach eigenen Angaben einen ›royalen Notfallsarg‹ vor.« Stirbt die Gesalbte auf Sandringham, wird sie im Auto nach London überführt.

Aufwendigste Vorkehrungen betreffen ihr Ableben in Balmoral. Dann würde sie zunächst in ihrem kleinsten Schloss, Holyrood House, aufgebahrt werden. Nach einer Andacht in Edinburgh »fährt der Royal Train in gemessener Fahrt entlang der britischen Ostküste hinab nach Süden«. Der »Guardian« weiter: »Für diesen Fall wird es Menschenmengen an jeder Schrankenüberquerung und auf jeder Bahnstation geben, die der Trauerzug passiert. Sie werden Blumen auf den Zug werfen. Eine zweite Lokomotive wird dem Zug folgen und die Trauerblumen und Gebinde wieder aufnehmen.«

D-Day + 6 bis + 9

Bei jedem Szenarium kehrt die Verstorbene in den Thronsaal von Buckingham Palace in London zurück. Dort werden Altar und Ehrenwache stehen. Bedienstete, einige länger als ein halbes Jahrhundert beschäftigt, nehmen Abschied, bevor Charles neue Bedienstete ernennt. Von »D-Day + 6« bis »+ 9«, dem Tag der nationalen Trauer und des Staatsbegräbnisses, bleibt die Queen in Westminster Hall aufgebahrt, dem ältesten Teil der Houses of Parliament. Hier kann sich die Öffentlichkeit verabschieden. Für Prominente soll es »VIP-Tickets für einen 23-Stunden-Zeitraum« geben.

D-Day + 9

Der Tag des Begräbnisses. Alle Kronjuwelen werden vom Sarg genommen. Die meisten Menschen im Lande haben sich freigenommen. Die Geschäfte bleiben geschlossen oder öffnen verkürzt. Einige zeigen im Schaufenster Bildnisse der Queen. Auch die Börse bleibt zu. Am Vorabend gibt es überall im Lande Gedenkgottesdienste - und Vorkehrungen, um bei Bedarf auch Fußballstadien nutzen zu können. »Um 9 Uhr morgens«, weiß eine Zeitung, »wird die Glocke Big Ben läuten, allerdings in einem speziellen Trauerton, nachdem der Schlägel mit Filz ummantelt worden sein wird.«

Der Trauergottesdienst für die Monarchin wird der erste in Westminster Abbey seit 1760 sein. Punkt 11 Uhr, wenn der Sarg den Eingang der Kathedrale erreicht, fällt das Land in Schweigen. Auf Bahnhöfen gibt es keine Durchsagen, Busse stoppen, die Fahrer gehen am Straßenrand in Habachtstellung. Der Trauerzug legt von Hyde Park Corner auf der Straße die 23 Meilen (37 Kilometer) bis Windsor Castle zurück, wo die britischen Monarchen begraben sind. Der königliche Haushalt bezieht auf dem Rasen Stellung und empfängt die tote Queen. Dann schließen sich die Tore für die Öffentlichkeit.

In der Kapelle des Heiligen Georg wird sich der Deckel zur Königsgruft heben, und Charles wirft aus silberner Schale eine Handvoll roter Erde auf den Sarg seiner Mutter und Vorgängerin. Nun kann der Brexit-Alltag oder Boris Johnson die Insel wieder in Atem halten. Oder beide.

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