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Reformfreudige Katholiken
Konkrete Schritte für Veränderungen beschlossen – Zustimmung des Vatikans fraglich
Ein Gedankenexperiment: 200 Menschen vom konservativen Seeheimer Kreis der SPD bis zu autonomen Anarchist*innen würden sich in einem Raum treffen und darüber sprechen, was im 21. Jahrhundert links sein soll. Dabei sollten umfassende Reformpapiere beschlossen werden, die für alle gültig sind. Es braucht wenig Fantasie, um zu erahnen, dass ein solches Projekt schnell im Geschrei enden würde. Umso beeindruckender ist es, was deutschen Katholik*innen seit zwei Jahren beim Synodalen Weg gelingt und nun am Wochenende erste zählbare Ergebnisse eingebracht hat.
14 Texte wurden von Donnerstag bis Samstag von den Mitgliedern des Synodalen Wegs diskutiert. Bei dreien gab es die zweite Lesung, in der die Texte final beschlossen wurden. Dabei ging es um einen theologischen Grundlagentext, einen zu Macht und Gewaltenteilung in der Kirche und einen weiteren, der für die Mitbestimmung der Gläubigen bei der Bestellung von Bischöfen sorgen soll. In erster Lesung wurden zahlreiche Texte, etwa zur Segnung homosexueller Paare, der Rolle der Frau in der Kirche oder zum kirchlichen Arbeitsrecht besprochen. Die Beschlüsse sind dabei, für katholische Verhältnisse, beinahe revolutionär. Der Zölibat soll abgeschafft werden, nicht nur weil es an Priesternachwuchs fehlt, sondern weil man darin auch eine Chance für die Ehe sieht. Frauen sollen zu Priesterinnen geweiht werden können und Homosexualität soll nicht mehr als Sünde gelten. Segensfeiern für homosexuelle Paare sollen durchgeführt werden können. Beschlüsse und Standpunkte, die in der katholischen Kirche bisher als ausgeschlossen galten.
Dass sich die Katholik*innen, auch eine Mehrheit der Bischöfe, so reformfreudig gaben, dürfte auch mit den jüngsten Ereignissen rund um die Kirche zusammenhängen. Das Gutachten zur sexualisierten Gewalt im Erzbistum München-Freising, in dem unter anderem Ex-Papst Joseph Ratzinger belastet wurde, wurde breit diskutiert. Zur Sprache kam auch immer wieder die Aktion »Out in Church«, bei der 125 LGBTIQ+ Personen aus dem kirchlichen Kontext von ihren Leiderfahrungen berichten und für eine Kirche ohne Angst plädieren. Der Druck auf die Amtskirche nimmt zu. Das scheint auch den Mitgliedern des Synodalen Wegs bewusst zu sein. Eines der reformfreudigsten beim Synodalen Weg ist der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Gregor Podschun. Immer wieder meldet er sich bei den Diskussionen der Synodalversammlung zu Wort, wirbt für weitergehende Veränderungen. Nach der Versammlung am Samstag zog er gegenüber dem »nd« ein positives Fazit: »Die Texte sind sehr gut und können einen Fortschritt in der Kirche bringen.« Besonders blickt er dabei auf den Text zu Macht und Gewaltenteilung, dieser sei »mehr als eine theologische Beschreibung von Macht«. Er fordert ein »Umdenken in Bezug auf Machtausübung und die Machtsysteme von Kirche« ein. Jetzt seien die Bischöfe am Zug, schnell zu prüfen, welche Konsequenzen sich aus dem Text ergeben und wie diese »rasch und konkret« umgesetzt werden können.
Skeptiker wie der Bonner Theologe Norbert Lüdecke sehen genau darin ein Problem. In Texten und Interviews hatte er in den letzten Tagen davor gewarnt, dass der Synodale Weg eine »Täuschungsaktion« der Bischöfe sei, in der unverbindliche Texte beschlossen würden. Die Laienvertreter*innen machten sich dabei zu Kompliz*innen der Bischöfe, die sich als dialogbereit inszenieren. Eine Kritik, auf die Gregor Podschun eine differenzierte Antwort gibt. Der Synodale Weg könne »eine echte Chance« sein, wenn »die Synodalen in ihrem Tun erkennen, dass sie gegen die Machtsysteme der Kirche opponieren müssen«, auch die Bischöfe müssten erkennen, dass sie »gegen den Widerstand aus Rom die notwendigen Veränderungen zur Verhinderung von Leid und Gewalt vornehmen müssen«. Die Versammlung am Wochenende mache in diesem Sinne Hoffnung. Sollten Kritiker wie Lüdecke allerdings recht behalten, dann »wird die Kirche sich zerstören müssen, um Gewalt zu verhindern – und kann sich erst im nächsten Schritt wieder aufbauen«, so Podschun.
Rom und konservative Bischöfe könnten das Projekt Synodaler Weg noch einmal ordentlich durcheinander werfen. Nicola Eterovic, der Botschafter des Vatikans in Deutschland, rief die Katholik*innen bei einem Grußwort zur Einheit mit der Weltkirche auf und warnte vor »Parlamentarismus«. Viele der beschlossenen Reformen brauchen die Zustimmung des Vatikans. Und in absehbarer werden auch der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und sein Weihbischof DominikusSchwaderlapp wieder in der Synodalversammlung sitzen. Die beiden Konservativen werden wohl kaum bei allen Reformvorhaben zustimmen.
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