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»Ich habe Sehnsucht nach Heimat, wo das auch sein mag«
Die Panorama-Reihe der Berlinale zeigt mit »Bettina« Lutz Pehnerts filmisches Porträt von Bettina Wegner
Bettina Wegner wohnt in einem unscheinbaren Haus in Frohnau, im Norden Berlins, Richtung Oranienburg, altes Westberlin. Eine S-Bahn fährt lärmend vorbei, gleich dort, wo der Garten endet. Unwillkürlich unterbricht man sich, bis sie vorbei ist. Als sie hier in den 80er Jahren einzog, bemerkte Bettina Wegner am Ende des Gartens rostige Schienen im Gras. Beruhigende Schlussfolgerung: Hier fuhr schon lange nichts mehr. Aber könnte es sein, dass die Strecke irgendwann wieder in Betrieb genommen würde? Die Vorbesitzer lachten: Ja, wenn einmal die deutsche Einheit käme, dann vielleicht. Alle lachten mit. Nun wohnt sie schon seit Jahrzehnten an der S-Bahn. Das sind die unerwarteten Wendungen der Geschichte.
Sie ist 74 Jahre alt und hatte sich eigentlich schon vor Jahren von der Bühne zurückgezogen, doch jetzt tritt sie ab und zu wieder auf. Singen, das spürt man sofort, ist ihre Art, der Welt jene Dinge mitzuteilen, die man nicht einfach sagen kann. Doch die Hand, die sie zum Gitarrespielen braucht, ist ihr »kaputtoperiert« worden, nun hat sie immer Begleitmusiker dabei. Drei Katzen wohnen mit ihr im Haus, zwei halten sich versteckt (die haben Angst, erklärt Bettina Wegner), nur eine, noch jung und nicht besonders groß, setzt sich neben den Tisch und schaut aufmerksam zu. Mit den Katzen ist das wie mit den Menschen, die einen machen sich unsichtbar, die anderen nicht. Bettina Wegner gehörte immer zu Letzteren.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Nun hat Lutz Pehnert einen überaus atmosphärischen Film über Bettina Wegner gedreht, der reicht vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Hier und Jetzt im Garten in Frohnau. Ein weiter Bogen voller Dramatik, innerer wie äußerer. Geboren wurde Bettina Wegner 1947 in Berlin-Lichterfelde. Die Eltern waren als Kommunisten im englischen Exil gewesen, und der Vater arbeitete als Journalist bei der »Täglichen Rundschau«, einer im Sowjetsektor erscheinenden Tageszeitung, dann wurde er Chefredakteur der Zeitschrift »Freie Welt«. Die Familie war inzwischen nach Ost-Berlin gezogen, und hier kam Bettina Wegner auch zur Schule. Auf die Wilhelm-Pieck-Schule gingen vor allem Funktionärskinder, man lernte hier Russisch ab der dritten Klasse, der gemeinsame Weg bis zum Abitur war vorbestimmt. Aber es kam anders, Bettina musste die Schule nach der zehnten Klasse verlassen; ihr Abitur holte sie dann auf der Abendschule nach. Sie lernte Bibliotheksfacharbeiterin, und nebenbei sang sie in dem von ihr 1966 mitgegründeten Hootenanny-Klub und begann ein Schauspielstudium.
»Bettina« zeigt die 17-Jährige bei ersten Fernsehauftritten. Françoise Hardy sei ihr großes Vorbild gewesen, sagt sie. Unverstellte Direktheit, die sich nicht scheut, Gefühle auszusprechen. Sofort bezaubert die Natürlichkeit ihres Ausdrucks, die ungeahnte ekstatische Möglichkeiten birgt. Es sind anfangs Liebeslieder, die sie singt, und alle finden sie ungewöhnlich intensiv. Etwas naiv vielleicht, aber dennoch ausdrucksstark. Im Hootenanny-Klub kann jeder seine Lieder vorstellen, und danach wird gemeinsam darüber gesprochen. Der Zulauf ist groß - aber eines Tages kommt die FDJ mit einem neuen Namen und einem anderen Programm. Der Oktoberklub entsteht. Der freie und offene Geist ist weg - und Bettina Wegner geht.
Im Sommer 1968 wird der Prager Frühling gewaltsam beendet, die Truppen des Warschauer Pakts besetzen Prag. Bettina Wegner bekommt gerade von Thomas Brasch ein Kind, und in diesem Augenblick bricht auch die Weltgeschichte mit aller Brutalität in ihr Leben ein. Ist es naiv, dass sie - wie Brasch auch - Flugblätter schrieb, auf denen »Es lebe das rote Prag!« und »Hoch Dubcek!« stand und die sie nachts in Briefkästen steckte? Nein, sagt sie, sie habe schon genau gewusst, dass es das Geschehen nicht aufhalten würde, aber sie musste es tun. Obwohl sie wusste, dass das unter den Paragrafen »Staatsfeindliche Hetze« fiel und darauf ein bis fünf Jahre Gefängnis standen.
Und dass sie gerade ein Kind bekommen hatte, das sie noch stillte, hat sie nicht abgehalten? Jetzt kommt Bewegung in Bettina Wegner, sie dreht sich auf ihrem Sessel, was ihr bei ihrem kaputten Rücken Schmerzen bereitet, die Zigarettenspitze mitsamt der obligatorischen Zigarette beginnt zu vibrieren - man ahnt die große Kraft, die sie zu mobilisieren vermag, wenn es sein muss. Energisch widerspricht sie: Das Gegenteil habe sie dazu getrieben. Wenn ihr Sohn sie später einmal fragen würde, was sie gegen diese Schweinerei getan habe, dann könne sie sagen, sie habe zumindest etwas zu tun versucht!
Der Film spielt die Tonbänder der Gerichtsverhandlung ein. Es steht viel auf dem Spiel. Wie kann sie sich, ohne zu Kreuze zu kriechen, ohne ihre Überzeugungen zu verraten, aus dieser Situation retten? Ihr Instinkt hilft ihr: Sie ist ehrlich, sagt, das sie immer für den Sozialismus gewesen sei, aber den Einmarsch von Truppen in der Tschechoslowakei für falsch halte. Dass sie, wenn sie diese Überzeugung offen zur Diskussion hätte stellen können, nicht heimlich Flugblätter verteilt hätte. Klingt so eine Staatsfeindin?
Der Ton der Ankläger ist geradezu freundlich, dies sind immerhin Kinder von verdienstvollen Kommunisten. Das Urteil lautet ein Jahr und sieben Monate - auf Bewährung. Bewähren muss sie sich in der Produktion, und das ist hart, allein mit kleinem Kind, aber auch eine starke Erfahrung. Sie kommt in Kontakt mit einfachen Arbeitern, der herrschenden Klasse - und die reden ganz anders als die Funktionäre.
Ihre Lieder sind nun auch keine reinen Liebeslieder mehr; andere, nachdenkliche, auch bittere Töne mischen sich darunter. Die zwölf Jahre Ehe mit Klaus Schlesinger, die Freundschaft mit Franz Fühmann, Sarah Kirsch und Jurek Becker prägen sie. Das sind nicht nur Schriftsteller, sondern auch Intellektuelle, die die ideologische Engstirnigkeit der SED-Spitze nicht akzeptieren wollen. Wer bestimmt denn, wie der Sozialismus in der DDR aussehen soll, wenn nicht die Sozialisten selber? 1972 gibt es so etwas wie Hoffnung, als der gerade an die Macht gekommene Honecker verspricht, es solle keine Tabus mehr für die Kunst geben. 1973 zeigen die Weltfestspiele in Berlin eine unerwartete Offenheit. Aber schon kurz darauf ist es damit vorbei. Gängelei und Bevormundung setzten wieder ein. Das sanfte Mädchen wird grundsätzlich: Soll sie mit lauter Lügen leben, die Wahrheit verraten?
Ihre Stimme hat etwas alle Distanzen im Zustand der Innigkeit Überwindendes. Manche nennen Bettina Wegner sentimental - die haben noch nie mit ihr geredet, gar gestritten. Denn sie debattiert mit schlagfertigem Witz und mit präzisen Details, die sie erinnert, ganz und gar unsentimental auch dem eigenen Alter gegenüber. Vor allem aber: Es liegt eine nicht beschreibbare Intensität in ihrem Gesang, die niemanden gleichgültig lässt, ähnlich wie bei Edith Piaf oder Maria Callas. Da ist Singen mehr als Kunst, es ist ein Einswerden von Worten, ja des ganzen Körpers mit dem Klang der Stimme. Ein Verströmen. Auf der Schauspielschule habe man ihr beim Singen von Brecht-Liedern vorgeworfen, sie verstehe den Verfremdungseffekt nicht. Nein, sagt sie, meine Lieder, das bin ich.
Nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 beginnt auch für sie der lange Abschied von der DDR. Die sie immer noch ihre Heimat nennt, die einzige, die sie je besessen habe, bei all dem Streit, der Wut und der Enttäuschung, die ihr dieses Land bereitete. Es blieb ihr Gegenüber, an dem sie sich rieb. Jetzt kenne sie Heimat nur noch in Bezug auf Menschen, die ihr nah sind. Dennoch: »Ich habe Sehnsucht nach Heimat, wo das auch sein mag.« Der Anspruch an sich als Künstlerin ist nicht verhandelbar. In einem ihrer berühmtesten Lieder heißt es: »Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen und keiner hört mir zu, lass ich die Gitarre schwimmen und setze mich dazu.«
Die Lieder, die in diesen Jahren entstehen, sind melancholisch bis zornig. Das MfS observiert sie nicht nur, es versucht auch, ihre Ehe mit Klaus Schlesinger zu zerstören. Sie bekommt 1980 für drei Jahre einen Pass mit Dauervisum, kann im Westen auftreten. Aber als sie nach diesen drei Jahren wieder ganz in der DDR leben will, heißt es, dann werde man sie wegen Devisenvergehen anklagen, dann komme sie ins Gefängnis. Sie entschied sich angesichts dieser Drohung für den Westen, aber gegen ihr Herz. Sie sang davon: »Es sind so viele von uns weggegangen, / ach hätte niemals niemand damit angefangen, / Trauer und Wut, / das hat euch weggetrieben, / Mensch wär’ das schön, ihr währet alle hier geblieben, / bei euch, bei uns ...«
Warum nur dieser selbstzerstörerische Wille der SED-Spitze, die besten Köpfe und lautersten Charaktere aus dem Land zu treiben? Diese Phobie vor leibhaftigen Widersprüchen! Für Bettina Wegner liegt der Fall klar: Wir hatten eben eine schlechte Regierung. Ein großartiger Film über eine großartige Frau.
»Bettina«: Deutschland 2022. Regie und Buch: Lutz Pehnert. Mit Bettina Wegner. 107 Min. Termine: So 13.2.,15.0 Uhr: International; Mo 14.2., 12 Uhr: Zoo Palast 2; Sa 19.2., 17 Uhr: Cubix 9.
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