Öffentlich-Rechtliche unter Beschuss von rechts

Eine Dienstanweisung soll künftig die Social Media Nutzung der WDR-Mitarbeitenden regeln

  • Corinna Meisenbach
  • Lesedauer: 3 Min.
Meinungsfreiheit – Öffentlich-Rechtliche unter Beschuss von rechts

In den sozialen Medien reicht ein selbstverständliches Statement wie »Nazis raus« und es formt sich ein wütender Mob, der Beleidigungen, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen ausspricht. Eindrücklich passierte das ZDF-Reporterin Nicole Diekmann im Januar 2019. Es hagelte dabei auch Vorwürfe gegenüber den öffentlich-rechtlichen Sendern, die permanent Angriffen von rechts ausgesetzt sind. »Lügenpresse«, »links-grün versiffte Mainstreammedien« oder »Zwangsgebühr-Staatsfunk« sind inzwischen etablierte Parolen.

Patrick Stegemann, der Autor des Buchs »Die rechte Mobilmachung. Wie radikale Netzaktivisten die Demokratie angreifen« sagt: »Die Öffentlich-Rechtlichen sind für die extreme Rechte das perfekte Feindbild. Sie wollen durch Attacken Menschen vom öffentlichen Diskurs entfremden und eine Parallelwelt aufbauen.« Das hat Auswirkungen.

Laut einer geleakten Dienstanweisung zum Umgang mit sozialen Medien des WDR, die von netzpolitik.org veröffentlicht wurde, sollen sich die Mitarbeiter*innen künftig mit ihrer Meinungsäußerung zurückhalten. Der Sender befürchtet, dass die Meinungsäußerungen Einzelner auf den WDR zurückfällt und fordert deshalb politische Neutralität auf den privaten Accounts der Mitarbeitenden. Wörtlich heißt es: »Auf den ersten Blick rein private Äußerungen können Rückwirkungen auf ihre redaktionelle Arbeit und die Glaubwürdigkeit des WDR insgesamt haben, indem sie die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Mitarbeiter:innen in Frage stellen können.« Die Dienstanweisung bezieht sich nicht nur auf Postings der Journalist*innen, sondern auch auf Likes, gefolgten Accounts und Retweets.

Die Journalist*innen befürchten, dass nun jeder Klick unter die Lupe genommen wird und eine Einladung an rechte Kritiker*innen ist, die zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen kann. Dabei bieten schon grundlegende Aussagen eine Vorlage für heftige Kritik seitens rechter Netzaktivist*innen, die sich laut Stegemann gezielt zu solchen Attacken verabreden. Demokratische Selbstverständlichkeiten werden dabei zu linken Projekten verklärt.
Laut Patrick Stegemann steckt dahinter Strategie: »Die extreme Rechte will den Bereich des Sagbaren ausdehnen. Sie markieren selbstverständliche Dinge als diskutabel, die nicht diskutabel sind, wie Menschenrechte oder freie Meinungsäußerung.«

Statt sich bei ungerechtfertigten Attacken im Netz hinter die Betroffenen zu stellen, schreibt der WDR in der Dienstanweisung: »Wenn Mitarbeiter:innen in den sozialen Netzen Kritik ausgesetzt sind, die sie mit ihrem Verhalten oder einer Veröffentlichung mit dem Absender ihres privaten Accounts ausgelöst haben, so ist dies zunächst Privatsache«.

Der WDR reagierte inzwischen auf das geleakte Dokument und veröffentlichte ein Statement: »Der [...] veröffentlichte Entwurf ist veraltet und entspricht nicht dem aktuellen Stand der Beratungen.« Auch der Personalrat des WDR möchte sich im Moment nicht zur Dienstanweisung äußern. Sie sitzen mit den Verantwortlichen derzeit an einer Überarbeitung.

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