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»Nimmt die Banausen einzeln auseinander!«
Artur Klinau erklärt in dem Buch »Acht Tage Revolution« das System Lukaschenko und die Proteste, die seine Heimat Belarus veränderten
Ist Alexander Lukaschenko, der sein Land seit dem Sommer 2020 in Angst und Schrecken versetzt, ein Künstler? Artur Klinau hat sich vorgenommen, diese durchaus heikle Frage zu beantworten. Er ist selbst vom Fach: Als Künstler hat Klinau bekannte architektonische Symbole seiner Heimat Belarus mit Stroh nachgebaut. Längst hat sich Klinau, der 1965 in Minsk geboren wurde, auch mit seinen Romanen einen Namen als ernst zu nehmender Literat gemacht.
In seinem Buch »Acht Tage Revolution«, das bis dato nur in einer deutschen Übersetzung und nicht im russischen Original erschienen ist, nimmt sich Klinau das System Lukaschenko und seine aus der Zeit gefallene Autokratie vor.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Anhand eines Tagebuchs, das mit dem 9. August 2020, dem Tag der Präsidentschaftswahl, beginnt, erzählt Klinau von den acht Tagen, die Belarus verändert haben. Dabei berichtet er sehr detailliert von den Ereignissen an den unterschiedlichen Tagen, von den Mechanismen der Wahlfälschung, von der monströsen Gewalt, mit der das Regime versuchte, die Oberhand gegenüber den Protesten zurückzuerlangen. Er webt dokumentarische Episoden von Opfern dieser grenzenlosen Gewalt ein, die einem den Atem stocken lassen. Klinau greift auf Medienberichte zurück, auf Beiträge aus sozialen Medien, verquickt dies mit persönlichen Beobachtungen, Reflexionen und Analysen zum politischen System Lukaschenkos, zur Geschichte der Belarussen, zur Opposition der Neunziger oder zu Putin und dem Kreml.
So erfährt gerade derjenige, bei dem Belarus immer noch nur eine Synapsenschaltung ins Leere auslöst, eine Menge über diesen faszinierenden Kosmos in Osteuropa. Dazu verfügt Klinau über eine fesselnde Sprache, die mal nüchtern sein kann, mal witzig, mal voll in die Fresse, mal poetisch ohne verquast zu sein. Es ist eine Methode, die er bereits in seinem essayhaften Büchlein »Minsk. Sonnenstadt der Träume« angewandt hat. Methode, weil es Klinau um mehr geht, als um eine schnöde Nacherzählung. Er ist eine Art Künstler-Phänomenologe für belarussische Belange seit der Zeit der Unabhängigkeit, die von der Figur Batka geprägt wurde. Batka (»Väterchen«) ist der Spitzname von Lukaschenko. Klinau behandelt ihn wie eine Kunstfigur.
Eine Kunstfigur, die Lukaschenko seit seinem Machtantritt 1994, man kann sagen, mit viel Hingabe zur volkstümlichen Kunst erschaffen hat: »Dass auch der Batka Künstler war, ging mir erst später auf«, schreibt Klinau. »Und die Idee seiner Kunst blieb mir lange verborgen. Was er auch malte, geriet ihm grob, schräg und plump. Ich war Konzeptkünstler, er ein Primitivist, der mit der Axt malte. Das war selbst für meine Verhältnisse zu radikal. Er tauchte die breite Klinge in Farbe und fuhr damit über die Leinwand.«
Mit seiner Ironie verfolgt Klinau nicht nur das Ziel der Herabwürdigung des Präsidenten. Vielmehr ist sie ein Mittel der Demythologisierung, mit der er das Grundwesen der Mythen offenlegt, sie greifbar macht, um sie so in den Griff zu bekommen, sie gewissermaßen unschädlich zu machen.
Batka ist auch so ein Mythos, der vom Landesvater. Batka ist der derjenige, der sich um seine Familie kümmert, um seine Kinder, die Belarussen. Dies tut er bekanntlich, sagen wir, in einem altmodischen Stil: mit harter Hand. Dass sich ein Großteil dieser Familie in dem Aufstand des Jahres 2020 von ihm losgesagt hat, nimmt Batka sehr persönlich und schickt den ungehorsamen Kindern dafür den Geheimdienst und andere Wächter der Autokratie auf den Hals, er lässt sie einkerkern und treibt sie aus dem Land - in der Hoffnung, dass die Kinder doch wieder zur Räson kommen mögen und sich damit der Status quo vor den Präsidentschaftswahlen wiederherstellen ließe. Für dieses Ziel hat sich das Regime im Laufe des Jahres 2021 radikalisiert und zu einer Repressionsmaschinerie verpuppt, die den Belarussen den Ungehorsam austreiben will, damit sie wieder zu braven und folgsamen Kindern des Batkas werden.
Für Klinau gehört Batka »zu jenen Künstlern, die alle Verächter ihrer Kunst hingebungsvoll hassen. Wo andere kurz toben und sich wieder einkriegen, auf die Kritik pfeifen und sich einen einschenken, frisst er seinen Ärger in sich hinein und übt ausgiebig Rache. Nimmt die Banausen einzeln auseinander«. 2021 ist in Belarus dann tatsächlich kaum noch jemand auf die Straße gegangen. Aus Angst. Zudem sind die Belarussen durchaus pragmatisch veranlagte Menschen. Sie wissen, dass ein Aufstand gegen einen derart hochgerüsteten Machtapparat, der zu allem bereit zu sein scheint, aussichtslos wäre.
Aber ist die Revolution deswegen gescheitert? Nach Klinaus Meinung, der bereits einige Proteste gegen Lukaschenko und die immer selben, darauf folgenden Repressionen erlebt hat, kamen die Proteste ohnehin zu früh. Man hätte noch ein paar Jahre abwarten müssen, glaubt er, dann hätte die Kraft der alternativen Parallelgesellschaften, die sich in den vergangenen 15 Jahren in Belarus gebildet haben, das System von innen heraus ausgehöhlt. Ob sich das wirklich bewahrheitet hätte?
Auch wenn Klinau vielleicht etwas zu bemüht auf literarischen Vergleichen herumreitet, ist ihm eine fesselnde feuilletonistische Forschungsexpedition zu den Wahrheiten und Wirrungen einer wichtigen europäischen Revolution gelungen, über die noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Denn: »Wer in den Strom der Revolution eingetreten ist, für den gibt es kein Zurück.«
Artur Klinau: Acht Tage Revolution. Suhrkamp, 265 S., br., 18 €.
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