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»Uns ist es peinlich«
In Heiligenhaus will ein Linker sozial-konservative Politik mit einem ehemaligen AfD-Mitglied machen
Heilgenhaus ist eine beschauliche Kleinstadt im Süden von Essen. 26 000 Menschen leben hier. 34 von ihnen bilden den Stadtrat. Bei der Kommunalwahl 2020 errang die AfD zwei Sitze. Die Linke konnte immerhin einen Sitz holen. Für die AfD sitzt mittlerweile nur noch ein Mensch im Stadtrat. Der zweite AfD-Ratsherr Marco Schild ist vor einem halben Jahr aus der Partei ausgetreten.
Jetzt ist Schild ein Bündnis mit dem Linke-Ratsherrn von Heiligenhaus, Dominik Döbbeler, eingegangen. Die beiden nennen das: »Sozial-Konservatives Bündnis/DIE LINKE. Heiligenhaus«. Das ungewöhnliche Bündnis stellte Döbbeler mit einer Mitteilung vor: Die »Linke Stimme« im Rat werde »lauter«. Es entstehe eine politische Kraft, die sich auf »Grundpfeiler linker Politik beruft«. Man setze auf Chancengleichheit, Solidarität sowie soziale Sicherheit und nicht auf »Gendermainstreaming« und »Cancel Culture«. Auch Ordnungskräfte und die Polizei wolle man stärken. »Normen und Werte« sollen geachtet werden, Traditionen nicht in Frage gestellt werden. Der ehemalige AfD-Mann Marco Schild darf in der Mitteilung außerdem für einen »integrativen Patriotismus« und »positiven Bezug zur Heimat« plädieren. Von einem »nationalistisch-völkischen Weltbild« distanziert er sich. Wenig verwunderlich ist, dass das ungewöhnliche Bündnis einige irritierte Reaktionen ausgelöst hat.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Auf der Facebook-Seite der Linken Heiligenhaus stellen viele Linke nicht gerade freundliche Nachfragen, was es mit dem Statement und der Zusammenarbeit mit einem ehemaligen AfD-Mitglied auf sich hat. Einige empörte Genossen forderten einen Parteiausschluss für den Heiligenhauser Ratsherrn der Linken. Das »nd« hat bei Dominik Döbbeler nachgefragt und eine ausführliche Antwort bekommen. Döbbeler betont, dass er mit Schild nur soziale Politik machen wolle, konservativ sei lediglich, dass man »Werte in unserem Land« sehe, die »erhaltenswert« und »förderlich« seien. Ein einfaches Beispiel sei Weihnachten. Schnell kommt der Ratsherr aus Heiligenhaus auf die Bundespolitik zu sprechen. Die Linke habe enorme Verluste erleiden müssen. Für ihn ist das ein Ergebnis einer zu starken »Versteifung auf Themen wie Gendering«. Man erreiche selbst »klassisch links-denkende Menschen« nicht mehr. Aus Sicht von Döbbeler ist das die Folge eines »aufgezwungenen Sprachduktus«, der die Menschen nicht abhole. Die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen AfD-Mann verteidigt Döbbeler. Denn dieser habe sich nie als Rechtspopulist oder Rechtsextremist gezeigt. Marco Schild habe zugegeben einen Fehler gemacht zu haben und Fehler seien menschlich. Man solle Schild »die Möglichkeit einer Rehabilitation« geben. Wer dies verweigere, müsse sich hinterfragen, ob er die Demokratie verstanden habe. Dass einige Linke seinen Ausschluss aus der Partei fordern, findet Döbbeler »schade«. Marco Schild und er hätten viele positive Rückmeldungen bekommen. Sein Ziel sei es, die Linke zu »stärken«.
Nicht gestärkt sieht sich der Linke-Kreisverband Mettmann, in dem auch Döbbelers Ortsverband organisiert ist. Kreissprecherin Birgit Onori teilte dem »nd« mit, dass man vom sozial-konservativen Bündnis in Heiligenhaus »unvorbereitet getroffen« worden sei. Dominik Döbbeler habe »eigenmächtig« gehandelt und sei nicht durch die Mitglieder des Kreisverbands legitimiert worden. Das Bündnis schade der Partei. Döbbeler werde aufgefordert, es nicht einzugehen. Kreissprecherin Onori sieht in dem Bündnis eine mögliche Rufschädigung für die Linke. Derzeit werde geprüft, ob ein Parteiausschlussverfahren gegen Döbbeler möglich sei. Auch wenn der Kreisverband nicht an den Aktivitäten von Döbbeler beteiligt war, sei »sein Handeln peinlich« und man entschuldige sich bei allen, die er mit seinem Handeln »erschreckt« habe. Auch der nordrhein-westfälische Landessprecher der Linken, Jules El-Khatib, lehnt das Heiligenhauser Bündnis in einem kurzen Statement gegenüber »nd« deutlich ab: »Ich halte diese Fraktionsgemeinschaft für eine falsche Entscheidung, die umgehend rückgängig gemacht werden sollte. Die Linke steht klar gegen jegliche rechte Positionen.«
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