Das teure Leben

Die stärkste Teuerung seit 30 Jahren ist kein Anlass zur Panik, sondern geht vorüber, meint Dierk Hirschel

  • Dierk Hirschel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die heimische Bevölkerung muss beim Einkaufen, Tanken und Heizen tiefer in die Tasche greifen. Die Preise kletterten letztes Jahr um ganze drei Prozent. Doch die Geldentwertung geht vor allem auf Einmal- und Sondereffekte zurück: Der wirtschaftliche Aufschwung, die Rücknahme der zeitlich befristeten Mehrwertsteuersenkung, die neue CO2-Abgabe sowie globale Liefer- und Materialengpässe machten den Preisen Beine. Die stärkste Teuerung seit 30 Jahren ist somit kein Anlass zur Panik, sondern geht vorüber.

Der größte Inflationstreiber sind rasant steigende Energiepreise. Nach Ausbruch der Pandemie kollabierte die Wirtschaft und damit die Rohölnachfrage, anschließend stürzte der Preis des schwarzen Goldes ab. Inzwischen hat sich die Weltwirtschaft aber wieder erholt. Die Industrieproduktion läuft auf Hochtouren, die Kraftwerke sind am Netz und Millionen Autos rollen über den Asphalt. Dieser große Energiehunger treibt die Preise: Autofahrer bezahlen heute an der Zapfsäule ein Viertel mehr. Der Gaspreis kletterte letztes Jahr um 75 Prozent, leichtes Heizöl verteuerte sich um 70 Prozent und Strom kostet 40 Prozent mehr. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Energiepreisschock verliert zukünftig seinen Schrecken, sobald der Preisanstieg nicht mehr auf die historisch niedrigen Öl-, Gas-, und Benzinpreise des ersten Corona-Jahres bezogen wird.

Dierk Hirschel

Dierk Hirschel ist seit 2010 Chefökonom bei der Gewerkschaft Verdi. 2020 erschien sein Buch »Das Gift der Ungleichheit« (Dietz-Verlag). Darin schreibt er, wie wir die Gesellschaft vor einem sozial und ökologisch zerstörerischen Kapitalismus schützen können.

Nur: Die heutige Inflation hat eine soziale Schieflage. Die steigenden Energiepreise belasten Familien und Paare mit mittleren Einkommen besonders stark. Die Mittelschicht gibt einen großen Teil ihres Nettoeinkommens für Kraftstoff-, Haushaltsenergie- und Nahrungsmittel aus. Der Preisschub trifft aber auch Geringverdiener. Sie müssen jeden zehnten Euro für Heizung, Strom und Warmwasser auf den Tisch legen. Arme Haushalte haben zudem keine finanziellen Reserven, um die Preissteigerungen kurzfristig auszugleichen.

Das beste Rezept gegen steigende Lebenshaltungskosten sind kräftige Lohn- und Gehaltszuwächse. Die Tariflöhne stiegen letztes Jahr aber nur um durchschnittlich 1,7 Prozent. Folglich mussten die Beschäftigten einen starken Reallohnverlust von 1,4 Prozent - bei 3,1 Prozent Inflation - hinnehmen. In einigen Branchen konnten die Gewerkschaften die schrumpfende Kaufkraft durch steuer- und abgabenfreie Corona-Prämien ausgleichen. Das geringe Tariflohnplus war dem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld der Pandemie geschuldet: Millionenfache Kurzarbeit, wachsende Arbeitslosigkeit und unsichere wirtschaftliche Zukunftsaussichten schwächten die gewerkschaftliche Verhandlungsmacht. Dieses Jahr verhandeln die Gewerkschaften Tarifverträge für knapp zehn Millionen Beschäftigte. Für IG Metall, Verdi und Co wird die höhere Inflation bei der Forderungsfindung eine wichtige Rolle spielen.

Ökonomen warnen zwar bereits vor einer drohenden Lohn-Preis-Spirale, malen damit allerdings ein Schreckgespenst an die Wand. Schließlich geht von der schwachen Lohnentwicklung überhaupt kein Preisdruck aus. Zudem ist der Begriff der Lohn-Preis-Spirale irreführend: Einen Automatismus zwischen steigenden Löhnen und Preisen gibt es nicht. Für die Preissetzung sind allein die Unternehmen verantwortlich. Wenn Löhne und somit Arbeitskosten steigen, erhöhen einige Firmen ihre Preise - vorausgesetzt der Wettbewerb lässt das zu -, um zu verhindern, dass ihre Gewinnmarge schrumpft. Sie könnten aber auch mit niedrigeren Gewinnen wirtschaften. Deswegen gibt es aus ökonomischer Sicht keinen Grund für lohnpolitische Bescheidenheit.

Darüber hinaus sollte die Politik stark belastete und verwundbare Bevölkerungsgruppen vor hohen Energiepreisen schützen. Die Ampel-Koalition hat bereits die Teilabschaffung der EEG-Umlage und einen Heizkostenzuschuss für Wohngeldbezieher beschlossen. Das reicht aber nicht aus. Deswegen fordert Verdi eine zeitlich befristete Mehrwertsteuersenkung auf Strom und Gas, einen Kinderbonus von 200 Euro sowie eine Einmalzahlung von 200 Euro für Grundsicherungsempfänger. Dadurch würden kinderreiche Familien, Geringverdiener und sozial Benachteiligte spürbar entlastet. Dieser soziale Ausgleich ist nicht zuletzt der Schlüssel für eine ökologische Energie- und Verkehrswende, die den Verbrauch fossiler Energie langfristig verteuern wird.

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