Impfstoffproduktion nimmt langsam Fahrt auf

Nach dem Willen der Afrikanischen Union sollen ab 2040 mindestens 60 Prozent des Bedarfs des Kontinents dort selbst gedeckt werden

Eine »neue Perspektive für die globale Impfstoffgerechtigkeit« erhofft sich Ruandas Staatspräsident Paul Kagame, und sein ghanaischer Amtskollege Nana Akufo-Addo spricht von einem »bedeutsamen Tag für Mutter Afrika«. Beide waren zusammen mit Macky Sall aus Senegal am Mittwoch im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels zu Gesprächen im Marburger Werk von Biontech.

Aus gutem Grund: Das vor einem halben Jahr angekündigte Projekt der Impfstoffherstellung in Afrika hat nun genaue Konturen. Wie Biontech-Chef Ugur Sahin erläuterte, wird Mitte des Jahres in Ruanda, Senegal und »gegebenenfalls« Südafrika der Bau regionaler Produktionsstätten starten. Diese werden in der zweiten Jahreshälfte mit dem technologischen Kern der Anlagen beliefert: einem Modul für die Herstellung des Wirkstoffs und einem Modul für die knifflige Herstellung des abfüllfertigen Impfstoffs, beide verpackt in jeweils sechs 40-Fuß-Schiffscontainer. Wiederum ein Jahr später soll die Produktion starten, die anfangs jeweils eine Jahreskapazität von 50 Millionen Dosen des Covid-Impfstoffs haben wird. Die Menge hänge aber eher vom dann bestehenden Bedarf ab, wie Sahin einräumte. Es werde »zum gemeinnützigen Preis« verkauft. Auch Vakzine gegen andere Infektionskrankheiten könnten später produziert werden. Das Unternehmen betreibt die Werke zunächst selbst, auch personell, bevor dies die lokalen Partner übernehmen. In Ghana sollen Kapazitäten zur Abfüllung und Verpackung entstehen.

Für Biontech wie die ebenfalls anwesende Politprominenz dient das mit großem Brimborium angekündigte Projekt auch der Imagepflege. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verwies darauf, dass das »Team Europa« verschiedene Projekte in Afrika mit einer Milliarde Euro fördere. Die EU fiel bisher vor allem dadurch auf, den jungen Markt der Covid-Impfstoffe leerzukaufen, Versprechen gegenüber der Covax-Initiative zur Belieferung armer Staaten nicht einzuhalten sowie die Aussetzung geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation zu blockieren. Die Folgen sind bekannt: 15 Prozent der Erdbevölkerung leben in Afrika - drei Prozent der Seren gingen dorthin.

Experten ist klar, dass sich die Lage nur dann dauerhaft verbessern wird, wenn auf dem Kontinent selbst größere Mengen produziert werden. Aktuell stammt nur ein Prozent des verwendeten Impfstoffs gegen alle möglichen Krankheiten aus eigener Herstellung. Die Afrikanische Union (AU) und ihre Gesundheitsorganisation Africa CDC wollen die Quote bis 2040 auf 60 Prozent erhöhen. Eine gewaltige Kraftanstrengung: Neben der Errichtung von Anlagen geht es auch um die Schaffung von Regulierungs-, Logistik- und Verteilstrukturen. Letztlich auch um die Frage: welche Impfstoffe genau? Das ist etwa bei einer Anlage in Senegal, deren Bau mit Mitteln der EU, der USA und Weltbank gefördert und die in diesem Jahr die Produktion starten soll, bislang ungeklärt.

Die AU-Initiative kann indes auf langjährige Erfahrungen aufbauen: Vier Länder nördlich und vier Länder südlich der Sahara (Senegal, Nigeria, Äthiopien und Südafrika) haben Impfstofffabriken, oft aber nur zur Abfüllung. Mindestens fünf weitere Länder wollen mit der Herstellung beginnen. Die Produktion »made in Africa« soll zudem der verbreiteten Skepsis gegenüber bisherigen Impfstoffen entgegenwirken.

Auch Covid-Impfstoffe werden längst produziert: In Ägypten stellt der staatliche Hersteller VACSERA in zwei Werken nahe Kairo den Totimpfstoff des chinesischen Biotechunternehmens Sinovac her. Bereits 2021 wurde dort eine zweistellige Millionenzahl an Dosen hergestellt. Perspektivisch möchte Ägypten laut Regierung eine Milliarde Dosen pro Jahr herstellen - knappe Wirkstoffen und Vorprodukte dürften dem entgegenstehen.

Auch in Südafrika läuft die Produktion. Bis Ende 2022 will Aspen Pharmacare aus Durban am Indischen Ozean mehr als 500 Millionen Dosen des Vektorimpfstoffs des US-Konzerns Johnson & Johnson herstellen. Fachleute halten diesen für besonders interessant. Er ist leicht zu lagern und preisgünstig, und da die Grundimmunisierung nur aus einer Impfung besteht, taugt er gut für den Einsatz in abgelegenen Gegenden.

In Europa gilt Johnson & Johnson inzwischen als Impfstoff zweiter Klasse. Zu Unrecht: Eine Untersuchung südafrikanischer Wissenschaftler kam zu dem vorläufigen Ergebnis, dass eine Zweitimpfung mit diesem Vakzin bei der Omikron-Variante eine deutlich bessere Schutzwirkung gegen Krankenhauseinweisung bringt als eine Drittimpfung mit Biontech/Pfizer oder im Vergleich zu den chinesischen Impfstoffen.

Mit eigenständig entwickelten Impfstoffen aus Afrika ist indes vorerst nicht zu rechnen. Auf der WHO-Liste mit den 337 aktuellen Covid-Impfstoffkandidaten stehen nur zwei aus Ägypten - bei diesen werden erst vorklinische Studien durchgeführt.

Einen anderen Weg beschreitet man in Südafrika: Dort hat die WHO ein »mRNA-Hub« gestaltet. Ziel der Drehscheibe ist, Erkenntnisse über die als zukunftsträchtig geltende Technologie zu gewinnen und weltweit zur Verfügung zu stellen. In diesem Rahmen ist Wissenschaftlern vor Ort kürzlich die Reproduktion des Impfstoffs von Moderna gelungen. Das US-Unternehmen hatte schon 2020 die Patente für die Zeit der Pandemie freigegeben, zudem sind wichtige Formeln zugänglich. Allerdings dürfte es laut WHO drei Jahre dauern, bis große Mengen in Südafrika hergestellt werden können. Moderna sperrt sich, das technische Know-how und die reichlichen Erfahrungen mit der Massenproduktion beizusteuern. Das sorgt genauso für Kritik wie das Verhalten von Konkurrent Biontech: Laut einem Bericht des »British Medicine Journal« soll die Mainzer Firma über die Kenup-Stiftung, die Gesundheitsprojekte weltweit finanziert, gegen die WHO-Initiative lobbyiert haben, allerdings erfolglos.

Biontech hat eben seine eigenen Vermarktungspläne, die vor allem einer »skalierbaren« Herstellung dienen sollen. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus kommentierte diese weniger überschwänglich als die Präsidenten aus Afrika. Er sieht das Projekt als »Ergänzung des WHO-Hubs für den Technologietransfer«. Das kann man natürlich auch als versteckten Seitenhieb verstehen. Auf Nachfrage kündigte Firmchef Sahin aber immerhin an, mit dem Hub kooperieren zu wollen.

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