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Zweifel an Truppenabzug
Nato und unabhängige Experten werfen Moskau weiterhin Eskalation vor
Für Donezk und Luhansk ist Kasbek Tajssajew zu einigen Opfern bereit. Sogar Sanktionen würde er in Kauf nehmen, erklärte der kommunistische Duma-Abgeordnete bei der Abstimmung über einen Vorschlag seiner Partei, dem zufolge Präsident Wladimir Putin die selbst ernannten Volksrepubliken im Osten der Ukraine umgehend anerkennen solle. »Das russische Volk unterstützt unsere Resolution voll und ganz und ist bereit, dafür nicht nur auf das 13. Monatsgehalt zu verzichten«, warb Tajssajew am Dienstag für den Vorstoß, mit dessen Annahme Moskau aus dem Minsker Abkommen aussteigen würde.
Doch so weit kam es nicht. Während im Internet noch viele Russen über Tajssajews ungebetenen Vorschlag spotteten, ihm selbst den Verzicht auf Prämien nahelegten und Parteichef Gennadi Sjuganow der Nachrichtenagentur Tass einen Kommentar zu der Äußerung verweigerte, wies Präsident Wladimir Putin die Aufforderung der Kommunisten vorerst zurück.
Die Parlamentarier hätten mit ihrer Initiative ein feines Gespür für die Stimmung der Wähler bewiesen, erklärte Putin am Dienstag während der Pressekonferenz nach dem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die Mehrheit der Russen spüre Mitgefühl für die Menschen in den Volksrepubliken, so der russische Präsident, der die Entwicklungen im Donbass zuvor als »Genozid« bezeichnete.
Jedoch könne es eine Lösung nur im Rahmen der Minsker Vereinbarungen geben. »Wir sollten das so tun, wie es der Kanzler gesagt hat: Vor allem auf der Grundlage der noch nicht vollständig ausgeschöpften Möglichkeiten zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen«, erklärte der russische Staatschef. Er hoffe, dass Frankreich und Deutschland »entsprechenden Einfluss« auf Kiew ausübten.
Für Kiew war die vorerst aufgeschobene Anerkennung der ostukrainischen Rebellengebiete jedoch kein Anlass für Erleichterung. Nur kurz nach Olaf Scholz’ Abflug aus Moskau meldete das beim ukrainischen Sicherheitsrat angesiedelte Zentrum für Informationssicherheit einen Cyberangriff. Dessen Ziel: Das ukrainische Verteidigungsministerium sowie zwei staatliche Banken. Es ist die zweite massive Attacke seit Beginn des Jahres.
Im Januar hatten Unbekannte mehrere ukrainische Regierungswebseiten lahmgelegt. Nach Angaben des Zentrums für Informationssicherheit soll es sich diesmal um eine sogenannte DDoS-Attacke handeln. Diese stellt eine eher simple Angriffsvariante dar, bei der eine Webseite so lange mit Anfragen überflutet wird, bis ihr Server zusammenbricht. Hinter dem Cyberangriff vermutet Kiew Moskau. »Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Aggressor auf eine Taktik der kleinen Schritte zurückgegriffen hat, weil seine aggressiven Pläne größtenteils nicht funktionieren«, heißt es in einer Mitteilung des Zentrums für Informationssicherheit. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies den Vorwurf am Mittwoch zurück. Moskau habe keine Verbindung zu der DDoS-Attacke. »Uns ist nichts bekannt. Aber wie zu erwarten war, macht die Ukraine Russland für alles verantwortlich.«
Auch die Meldungen zum Stand des am Dienstag angekündigten Teilabzugs russischer Soldaten von der ukrainischen Grenze fallen widersprüchlich aus. Die Einheiten der Militärbezirke Süd und West hätten die Krim bereits verlassen, meldete das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch. Verteidigungsminister Sergej Schojgu flog am Vorabend zu einem Besuch nach Syrien.
Ein anderes Bild zeichnet das unabhängige russische Conflict Intelligence Team (CIT), das von der Verlegung weiterer Panzer und eines tschetschenischen Bataillons an die Grenze berichtet. Auch aufseiten der Nato überwiegt Skepsis. »Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russland scheint den Militäraufmarsch fortzusetzen«, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch in Brüssel.
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