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Ein verräterischer Ausbruch
»NSU 2.0«-Prozess um Bedrohung von Politikerinnen und Prominente. Angeklagter bestreitet alle Vorwürfe
Am Ende fällt Alexander M. doch noch aus der Rolle, die er sich für diesen Tag zurechtgelegt hat. Fast anderthalb Stunden hat der Mann, den die Staatsanwaltschaft für die Serie rassistischer und sexistischer Drohschreiben, die mit dem Kürzel »NSU 2.0« unterzeichnet waren, am Donnerstag seine Unschuld beteuert. Hat in einer mit juristischen Fachtermini garnierten Erklärung dargelegt, warum die Beweise der Anklage keine Beweise seien. Hat jegliche rechtsextreme Gesinnung bestritten und sich zum Opfer einer Verschwörung in der hessischen Polizei erklärt. Hat sich sogar entschuldigt für den doppelten Stinkefinger, mit dem er beim Prozessauftakt am Vortag die anwesende Presse begrüßt hatte.
Und dann kommt Antonia von der Behrens. Die Anwältin vertritt im Prozess vor dem Frankfurter Landgericht ihre Anwaltskollegin Seda Başay-Yıldız, die so massiv wie niemand sonst vom »NSU 2.0« ins Visier genommen worden war. Mit einem Fax an Başay-Yıldız, in dem ihr mit der Ermordung ihrer Tochter gedroht wurde, begann die Serie im August 2018. Bis März 2021 folgten mehr als 20 weitere Hassnachrichten allein an und über die Frankfurter Anwältin. Im Darknet veröffentlichte der »NSU 2.0« zudem einen Aufruf zu ihrer Ermordung. Was diese Drohungen noch schwerwiegender erscheinen ließ: Fast immer enthielten sie persönliche Informationen wie die Namen und Geburtsdaten von Angehörigen oder Wohnadressen, die eigentlich geheim waren.
Insgesamt 83 Faxe, Mails und SMS, die mit »NSU 2.0« unterschrieben waren, oft zusätzlich auch noch mit »Heil Hitler« oder »SS-Obersturmbannführer«, stuft die Staatsanwaltschaft als strafrechtlich relevant ein. In allen Fällen wurden Frauen attackiert, die wie Başay-Yıldız im öffentlichen Leben stehen und sich gegen Rechts engagieren, unter ihnen die heutige Linke-Kovorsitzende Janine Wissler, die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die Kabarettistin Idil Baydar, die Autorin Hengameh Yaghoobifarah. Die Drohschreiben sind voller rassistischer Schmähungen, die zu widerlich sind, um hier zitiert zu werden. Zudem sind sie von tiefster Frauenverachtung geprägt.
Offensichtlich, sagt Antonia von der Behrens deshalb, als Alexander M. zum Schluss gekommen ist, habe der Urheber der Pamphlete ein Problem mit Frauen. Doch kaum hat die Anwältin angefangen zu sprechen, unterbricht sie der Angeklagte. »Ich habe nur ein Problem mit Frauen, wie Sie eine sind«, schreit er und lässt sich auch von der Strafkammervorsitzenden Corinna Distler kaum bremsen.
Rassistische und sexistische Drohschreiben
Es ist ein verräterischer Ausbruch: Der 54-Jährige aus dem Berliner Wedding fühlt sich persönlich angegriffen, obwohl er mit den Drohschreiben eigentlich ganz und gar nichts zu tun haben will. Kritik, das wird deutlich, erträgt Alexander M. nicht. Vor allem nicht, wenn sie von Frauen kommt. Er möchte seine Wahrheit widerspruchslos vortragen können, seinen Auftritt als vermeintlicher Aufklärer genießen, so wirkt es. Selbstgefällig erzählt er eine Geschichte, die nicht ungeschickt andockt an das öffentliche Unbehagen über die Einzeltäterthese der Staatsanwaltschaft im Komplex »NSU 2.0«. Über die vielen offenen Fragen, die sich um Daten aus hessischen Polizeicomputern und ihren Weg in die Drohschreiben drehen. Um die vermeintliche Totalentlastung der Polizei, die nach der Festnahme des erwerbslosen Mannes allzu eilig verkündet worden war.
Von einer geschlossenen Chatgruppe im Darknet spricht Alexander M., in der sich, wie er glaube, auch Polizeibeamte ausgetauscht hätten. »Der NSU 2.0 wurde von diesem Forum aus organisiert«, behauptet er. »Es wäre mir möglich, hier Namen zu nennen.« Aber dann müsste er ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden, verlangt er zugleich.
Die Anklage fragt, warum er überhaupt in dieser Chatgruppe gewesen sei, wenn er die rechte Gesinnung der anderen Mitglieder nicht geteilt haben will? Weil das »in hohem Maße spannend und auch lustig« gewesen sei, erklärt der Angeklagte. Dann aber habe er zu viele Widerworte gegeben, sei gemobbt und schließlich ausgeschlossen worden. Im Sommer 2020 sei das gewesen. Um zu verhindern, dass er die Gruppe anschließend anschwärze, seien aus dem Chat heraus die Ermittlungen gegen ihn angestoßen worden. »Da bin ich mir subjektiv völlig sicher.« Die hessische Polizei habe in ihm »einen nützlichen Idioten« gefunden.
Es ist eine Geschichte, die Fragen aufwirft. Alexander M. aber möchte keine beantworten. Zugleich ist es eine Geschichte, die unfreiwillig an die Machart der »NSU 2.0«-Schreiben erinnert: Auch sie griffen immer wieder die Berichterstattung der Medien auf, suggerierten Insiderwissen, versuchten mit Behördensprache zu beeindrucken. Nur Unflat und NS-Jargon fehlen vor Gericht.
Die Staatsanwaltschaft legt Alexander M. unter anderem Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Volksverhetzung, Verwenden verbotener Nazi-Symbole zur Last. Außerdem soll er bei seiner Festnahme im Mai 2021 Widerstand geleistet haben, soll verbotene Würgehölzer sowie knapp 100 kinder- und jugendpornografische Filme und Bilder besessen haben. Auch das alles Unsinn, sagt M. Am Montag wird der Prozess fortgesetzt. Als Zeugin geladen ist Seda Başay-Yıldız.
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