München und der Bedarf an Dialog

Vor 15 Jahren warnte Putin auf der Sicherheitskonferenz vor den Folgen einer Nato-Osterweiterung. Jetzt sind sie greifbar geworden

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Das war in Washington so nicht geplant. Auch im Brüsseler Nato-Hauptquartier schien man einen Moment sprachlos, als der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konaschenkow, am Dienstag einen Teilabzug von Truppen von der Grenze zur Ukraine verkündete. Denn längst hatte die Nato ihre Pläne zum Versenden neuer Battlegroups in Richtung russische Grenze ausgearbeitet. Sie wurden am Mittwoch in Brüssel beschlossen.

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Die Moskauer Rückzugsankündigung, der man zumindest in den politischen Nato-Stäben keinen Glauben schenken mag, erfolgte einen Tag, nachdem der russische Außenminister Sergej Lawrow weitere Gespräche über Sicherheitsbedenken, die zur Ukraine-Krise geführt hatten, ankündigte. Die deutsche Botschaft in Moskau hatte die leichte Veränderung im Tenor der russischen Außenpolitik wohl vernommen, und so fanden der deutsche Kanzler und Russlands Präsident gleichfalls am Dienstag zumindest die richtige Tonlage für Gespräche. Respektvoll nahm jede Seite der anderen den Willen zu weiteren Gesprächen ab. Kein Grund zum Aufatmen, noch brennen die Lunten. Finden sich bei der laufenden 58. Münchner Sicherheitskonferenz kluge Scouts, die Wege zur Deeskalation erkunden? Bietet der Treff Möglichkeiten zur klimatischen Verbesserung der Lage?

»Unsere Welt ist in Gefahr. Traditionelle Gewissheiten zerfallen, Bedrohungen und Verwundbarkeiten nehmen zu, und die regelbasierte Ordnung wird zunehmend angegriffen. Der Bedarf an Dialog war noch nie so groß wie heute«, schrieb Wolfgang Ischinger, der langjährige Chef des Forums, quasi als Einladung zur Konferenz. Das ist im Grunde auch der Kern dessen, was Russlands Präsident Wladimir Putin vor exakt fünfzehn Jahren auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz vortrug. Seine damalige umfassende Analyse der Welt ist des Nachlesens wert. Unter anderem, weil er Russlands Position zur galoppierenden Nato-Osterweiterung erklärte. Sie habe »keinerlei Bezug zur Modernisierung der Allianz selbst oder zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa«. Vielmehr sah Putin darin einen »provozierenden Faktor, der das Niveau des gegenseitigen Vertrauens senkt«. Was, so fragte er auch in den folgenden Jahren, sei aus den Versicherungen geworden, die westliche Partner nach dem Zerfall des Warschauer Vertrages gegenüber Russland gegeben hatten?

Nun hat Russland eine rote Linie gezogen. Mit Hilfe von Panzern und Kriegsschiffen. Das »Vertragsangebot«, das Russland parallel dazu den USA und der Nato zukommen ließ, war ein Ultimatum. Putin drohte mit einer »militärtechnischen Reaktion«, wenn seine Kernforderungen nicht erfüllt werden. Ein Nato-Rückzug aus dem Osten und rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien durch den Westen sind weder für die USA noch die Nato verhandelbar. Deren Angebote zu Gesprächen über Rüstungskontrolle bei Mittelstreckensystemen, über Transparenz- und Verifikationsmaßnahmen in den Nato-Russland-Grenzgebieten samt Krisenkommunikation lehnte Moskau ab, denn: Das alles gab es bereits – und wurde vom Westen gekündigt.

Wie also weiter? Zum eingefrorenen Konflikt in der Ost-Ukraine kommt einer hinzu, der Europa noch mehr entzweit. Der muss gemanagt werden. Wie? Zunächst, indem der Westen und Russland aufgeben, was sie nicht bekommen können: die Ukraine. Die ist geopolitisch ohnehin nur ein Anlass von vielen. Putins Spielraum ist kleiner als man im Westen glaubt. Er könnte entweder sein Gesicht oder seine Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er die Truppen einfach nur abzieht. Innenpolitisch würde er seine Autorität gegenüber dem Militär- und Sicherheitsapparat aufs Spiel setzen. Und außenpolitisch würde ein Nur-Rückzug bedeuten: Was immer Putin künftig machtpolitisch in Richtung Westen aussendet, es würde nur belächelt. Auch damit das nicht geschieht, leitet Putin persönlich eine am Samstag beginnende Raketenübung der »Abschreckungskräfte«.

Beide Seiten sind gerade dabei, die kargen Reste der Nato-Russland-Grundakte von 1997 endgültig zu zerstören. Was, wenn Moskau – wie von Diktator Alexander Lukaschenko aus innenpolitischen Gründen begrüßt – Stützpunkte in Belarus aufbaut und sie mit atomaren Rubesch- und Iskander-Raketen bestückt? Im Kaliningrader Gebiet sah man bereits MiG 31-Jets mit Hyperschallraketen. Denkbar sind verstärkte Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur der Ukraine ...

In Washington, Warschau und anderen Staaten gibt es einflussreiche Kräfte, die Vorwände suchen, um im Osten eine substanzielle und permanente Nato-Verstärkung durchzusetzen. Wollen die USA und die Nato in dieser Situation weiter Macht vor Verstand setzen? Stattdessen könnte die Allianz – ohne Aufgabe der Prinzipien – ein Moratorium wider die Aufnahme neuer Mitglieder beschließen. Um das der Ukraine schmackhaft zu machen, sollte die EU auf zivilem Gebiet Dienste leisten. Hilfreich wären die USA, wenn sie auf Raketenabwehrstellungen in Polen und Rumänien verzichteten.

Eine Konferenz wie die in München könnte jenseits markiger Reden ein Ort zur Sammlung von Vernunft sein. Sich das vorzustellen bedarf jedoch leider allzu viel Fantasie.

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