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Arzgebirg, wie bist du schie!
Mitte Januar durften Hotels und Lifte in Oberwiesenthal endlich öffnen - seither schneit es fast unablässig und die Gäste kommen in Scharen
Ist das ein Winter! Der Atem dampft, die Nase läuft, im Bart glitzern Eiskristalle. Brr, was für eine Kälte! Aber die Langlaufski gleiten so leicht durch die frisch gezogene Spur, dass es eine Freude ist: Ist das ausgleichende Gerechtigkeit für Sachsen, fragt man sich, hier auf der Höhenloipe am Kamm des Fichtelbergs, wo der Wind den Schnee in dichten Flocken ins Gesicht bläst. Es ist Anfang Februar, meterhoch liegt das Weiß, die gut gespurten Loipen sind vom Neuschnee fast überdeckt: Diese Winterpracht könnte doch fast als kleine Entschädigung für die Launenhaftigkeit des Coronavirus zuvor gelten?
Wegen der hohen Inzidenzen in Sachsen waren ausgerechnet in den Adventsmonaten November und Dezember und sogar noch bis in den Januar hinein alle Hotels, Ferienwohnungen und Skilifte im Erzgebirge geschlossen. Das gab es sonst nirgendwo. »Das Schließen im Advent 2021 war das Schlimmste, was uns passieren konnte«, so schildert Jens Benedict das Desaster, das den Kurort in Folge der Pandemie heimgesucht hatte. Der 36-Jährige ist noch neu im Amt: Die 2100 Einwohner des Kurortes Oberwiesenthal haben ihn erst vor zwei Monaten zu ihrem Bürgermeister gewählt. Seine Amtszeit begann mitten im Dezember ohne Gäste. Ein Elend.
Zwar stellten die Erzgebirger auch diesen Winter in fast jedes Fenster einen Schwibbogen. Sie hängten die roten Herrnhuter Sterne auf und entzündeten wie gewohnt die Lichter der meterhohen Pyramiden auf den Kirchvorplätzen. Doch weder in Oberwiesenthal noch in Annaberg-Buchholz, Bärenstein oder Neudorf konnte die Heimeligkeit mit Auswärtigen geteilt werden. Keine Urlauber waren erlaubt; um 20 Uhr schlossen die Restaurants - wenn sie denn überhaupt geöffnet worden waren. Es habe geschmerzt, sagt Benedict: »In dieser Zeit des Jahres sind wir sonst immer ausgebucht: Wir sind das Weihnachtsland.«
Erst Anfang dieses Jahres kam schließlich das lang ersehnte Okay der sächsischen Staatsregierung für eine Wiederöffnung: Der Tourismus durfte am 15. Januar 2022 wieder loslegen. Und weil seither das Wetter so prächtig mitspielte, sieht es so aus, als ob es halbwegs glimpflich ausginge für die Tourismusbetriebe im Erzgebirge: »Die Berlin-Brandenburg-Ferien waren der Rettungsanker in der Not«, sagt Benedict, der die Bürgermeisterwahl für das »Bürgerbündnis Wiesenthal - Einz« gewonnen hat. »Dank des Winterwetters sind wir gut gebucht.«
Skiort mit großer Tradition
Wie schon vor 100 Jahren ist das schneesichere Oberwiesenthal auch heute beliebt bei Winterurlaubern - vor allem bei jenen aus den östlichen Bundesländern. Aus Berlin ist man mit dem Auto in dreieinhalb Stunden an den traditionsreichen Skipisten jenes Gipfels, der schon zu der DDR-Zeiten eine Tourismusattraktion war: Der Fichtelberg war mit seinen 1215 Metern einst nicht nur höchster Berg der Republik, sondern auch südlicher Fixpunkt des Arbeiter- und Bauernstaates: Laut einer viel genutzten Redewendung reichte die DDR »von Kap Arkona bis zum Fichtelberg«.
Bis 1989 war das malerisch zu Füßen des Fichtelbergs gelegene Oberwiesenthal mit seinen FDGB-Unterkünften, Betriebsferienheimen und dem Jugendtourist-Hotel am Hang ein Lieblingsferienziel in dem beengten Land - vor allem auch, weil es ein paar der in der DDR rar gesäten Abfahrtspisten gab. Mit der 1924 errichteten Fichtelberg-Schwebebahn oder einem der Schlepplifte ließ man sich nach oben bringen.
Die Stadt Oberwiesenthal sei das »St. Moritz des Ostens« gewesen, behauptet heute so mancher, der die Beliebtheit und Exklusivität Oberwiesenthals zu DDR-Zeiten beschreiben will. Doch der Vergleich zum mondänen Schweizer Ferienort hinkt. »Schnee ist zwar unser weißes Gold«, räumt Bürgermeister Benedict ein. »Aber wir möchten nicht unbedingt wie St. Moritz sein. Wir haben keine Luxusgeschäfte - wir geben uns Mühe, allen Schichten gerecht zu werden.«
Man rühmt sich lieber als höchstgelegene Stadt Deutschlands und wirbt mit den roten Gondeln der Fichtelberg-Schwebebahn (»Älteste Luftseilbahn Deutschlands«). Der Freistaat hat Oberwiesenthal zudem den Titel »Familienfreundlicher Ort« verliehen, der beispielsweise familienfreundliche Unterkünfte und eine ausreichende Anzahl an Kinderattraktionen garantiert. Benedict erzählt vom TUI-Kundenmagazin, in dem Oberwiesenthal zum zweitbeliebtesten Skigebiet Deutschlands gekürt worden sei. Das müsse man nutzen. Auch in Sachen Nachhaltigkeit sei ihm nicht bang: Studien belegten, dass der Kurort trotz des Klimawandels auch in Zukunft genügend Schnee im Winter haben werde: »Und das sage ich als naturverbundener Mensch, der den Klimawandel als das größte Problem unserer Zeit anerkennt.«
Premium-Urlaub im Plattenbau
O-thal, wie die Einheimischen ihre Stadt nennen, hatte vor der Wiedervereinigung mehr als 5000 Einwohner. Etliche von ihnen lebten vom Leistungssport, so auch Jens Ellinger, der bis zur Wende als Rodeltrainer im Kurort arbeitete. Heute ist der agile 63-Jährige Hotelier und wird überall im Erzgebirgskreis als Visionär gerühmt: Nach der Wende war er erst Tourismuschef, dann Anfang der 2000er Jahre Geschäftsführer beim FC Sachsen Leipzig, eher er 2007 in O-thal die beste Idee in seiner Unternehmerlaufbahn hatte. Mit sicherem Blick für die einzigartige Gelegenheit beschloss er, das halb leer stehende Plattenbauviertel am Oberwiesenthaler Sparingberg von einem Investor aus dem Westen zu übernehmen, um ein Ferienparadies daraus zu machen. Zwar waren es typische WBS70-Blöcke, die es auf Weststandard zu trimmen galt, doch Ellinger vertraute auf die Strahlkraft des Kurortes und sein Gespür für Urlaubstrends.
Im Familienunternehmen mit Frau und Tochter ließ der gebürtige Leipziger 120 Ferienwohnungen in den Plattenbauten zum »Elldus Resort« ausbauen. In den ehemaligen Wohngebietskindergarten wurden Rezeption, Wellnesslandschaft und zwei sehr unterschiedliche Restaurants integriert: Eines im Ikea-Sil für die Familienurlauber und eines im todschicken italienischen Design - das »Mamazita«, das in Sachen Eleganz vielleicht jenes Quäntchen St. Moritz darstellt, das Oberwiesenthal wirklich zu bieten hat. Mondänität im Plattenbau.
Nicht ohne Stolz nimmt Resort-Chef Jens Ellinger an diesem Abend an einem Tisch im Foyer des »Mamazita« Platz. Es ist früher Abend, erste Gäste trudeln ein, plötzlich springt er auf: »Ich muss kurz Stammgäste begrüßen.« Die Frau sei die Chefin eines Leipziger Modehauses, sagt er, als er wieder Platz genommen hat und mit einer Eiszange einen Eiswürfel in seine Weinschorle gibt. »Wir sind froh, dass es wieder losgegangen ist«, sagt er. Aber das Umschalten von null auf hundert sei nicht ganz einfach gewesen in einem Betrieb mit 120 Mitarbeitern. »Wir sind das zweitgrößte Hotel im Ort, 380 Betten plus bis zu 220 Aufbettungen, das ist schon eine Hausnummer«, sagt Ellinger. »Normalerweise braucht es zehn Tage, um so einen Laden zum laufen zu bringen. Wir haben es in in sechs Tagen geschafft.«
Seither funktioniere das Geschäft, man pegele sich so etwa auf dem Niveau von 2019 ein. Die Urlauber strömen in Scharen und zahlen in der Hochsaison bis zu 300 Euro pro Nacht für eines der durchdacht ausgestatteten Familienapartments mit Rundum-Kinderprogramm. Ellinger will weiter investieren: Nach dem Bau von Ponyhof und Indoor-Spielscheune will er nun die Ferienwohnungen komplett modernisieren. Er glaubt an die Zukunft des Kurortes, auch weil die Stadt endlich einen neuen Bürgermeister hat. »Oberwiesenthal ist wie ein ungeschliffener Diamant. Erst zehn von 100 möglichen Facetten sind freigelegt.«
Bürgermeister Jens Benedict plagen derweil ganz alltägliche Sorgen. Im schneereichen Februar 2022 kommen die Tagesgäste in solchen Massen, dass vor allem an den Wochenenden auf der Bundesstraße 95 wieder kilometerlange Staus herrschten. Die parkplatzsuchenden Skigäste sind ein echtes Problem. »Womöglich könnte ein zentrales Parkhaus eine Lösung darstellen«, spekuliert Benedict. Auch für das Skigebiet Fichtelberg mit seinen 16 Pistenkilometern müsse man eine Perspektive entwickeln, am besten wäre sicherlich eine direkte Verbindung zum benachbarten Skigebiet Klínovec (Keilberg) in Tschechien, das dem Fichtelberg gegenüberliegt und doppelt so viele Pistenkilometer aufzuweisen hat. Eine direkte Verbindung gehört zu den Projekten, die Oberwiesenthal in Zukunft angehen will.
Am Skilift reihen sich derweil die Skifahrer zu Hunderten brav in die 2G-Schlange ein: Wer Skifahren will, muss nachweislich geimpft oder genesen sein, ehe er zu den Ticketschaltern vorgelassen wird. Wie schwärmte einst schon Volksdichter Anton Günther (1876-1937) in seiner Erzgebirgshymne von seiner winterlichen Heimat: »Mir fahr’n mit Schneeschuh drüber hie. O Arzgebirg, wie bist du schie!«
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