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Raum für die Perspektive der Opfer
Die Angehörigen der Toten von Hanau haben maßgeblichen Anteil daran, dass es den Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau gibt
Eine juristische Aufarbeitung des Behördenversagens im Zusammenhang mit dem Anschlag von Hanau wird der Landtagsausschuss mit dem Kürzel UNA 20/2 nicht bringen. Dennoch ist die Tatsache, dass das Gremium im Hessischen Landtag seine Arbeit im Juli vergangenen Jahres aufgenommen hat, für die Angehörigen der acht Männer und einer Frau, die am 19. Februar 2020 von dem Rechtsradikalen Tobias R. erschossen wurden, an sich schon eine Genugtuung.
Immerhin konnten Eltern, Geschwister und Überlebende ab Dezember während der Sitzungen des Hanau-Untersuchungsausschusses ihre Sicht auf die Dinge darlegen, Versäumnisse, Unwillen und Nachlässigkeit von Polizisten, Staatsanwaltschaft und anderen Behörden öffentlich anprangern. Von der miesen Behandlung der Verletzten sprechen, vom langen Warten auf die Freigabe der Leichname ihrer Lieben, auf Auskünfte der Polizei. Von Zorn und Unverständnis darüber, dass ein Mann wie Tobias R. mit seinen kruden rassistischen und faschistoiden Ansichten, die den Behörden schon Jahre vor dem Tatabend aufgefallen waren, legal Waffen besitzen durfte.
Kurz vor dem zweiten Jahrestag der rassistischen von Hanau hat das Bundeskabinett am Mittwoch die Einrichtung eines nationalen Gedenktages für alle Opfer terroristischer Gewalt beschlossen. An sie soll künftig am 11. März erinnert werden, unter anderem mit Trauerbeflaggung an allen Dienstgebäuden des Bundes. Bei der Wahl des Datums orientierte sich die Regierung am Europäischen Gedenktag für Opfer des Terrorismus, der nach den islamistischen Anschlägen in Madrid vom 11. März 2004 eingeführt worden war.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, mit dem Gedenktag wolle man erreichen, »dass das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen uns allen in Staat und Gesellschaft bewusster wird. Wir wollen, dass die Stimmen der Opfer gehört werden und ihre Perspektive zählt. Wir wollen die Familien der Opfer mit mehr Empathie und mit mehr Sensibilität unterstützen.«
All das und vieles mehr im öffentlichen Bewusstsein verankert zu haben, ist das Verdienst der Familien der Toten und ihrer Unterstützer*innen, zu denen selbst von Hasskriminalität betroffene Menschen wie die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız gehören. Nur wegen ihres hartnäckigen Nachhakens gibt es den Ausschuss.
Anwältin Başay-Yıldız, die Emiş Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, zu einer Sitzung des Gremiums im Dezember begleitet hatte, kritisierte anschließend das fast demonstrative Desinteresse der Ausschussmitglieder von CDU und FDP an den Ausführungen der Familienmitglieder. Am 21. Januar beklagte Cetin Gültekin, dessen Bruder Gökhan in Hanau erschossen worden war, die Polizei sei an dem Tatabend völlig überfordert gewesen, mit ihrem »genervten, ängstlichen und zum Teil sogar aggressiven Verhalten« hätten die Beamten die Situation für die Angehörigen noch schlimmer gemacht. Es habe keinen Ansprechpartner, keine Informationen, keine tröstlichen Worte gegeben.
Kurz vor Weihnachten hatte Etris Hashemi, der das Attentat schwer verletzt überlebte, geschildert, wie er trotz seines Zustands von der Migrationsbeauftragten des Polizeipräsidiums eine Gefährderansprache über sich ergehen lassen musste. Grund sei der notwendige Schutz des Vaters des Täters gewesen, der das rassistische Weltbild seines Sohnes teilt, hatte es von Seiten der Polizei später zur Rechtfertigung geheißen. Dabei dürfte in der chaotischen Situation nach den Schüssen niemand sofort gewusst haben, um wen es sich bei dem Täter handelte, geschweige denn, wer dessen Vater ist. Hashemi hatte sich gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Nesar in der Arena-Bar in Hanau-Kesselstadt aufgehalten, dem zweiten Tatort. Der 21-Jährige überlebte den Anschlag nicht.
Mit dem Regierungswechsel in Berlin besteht die Hoffnung, dass es von Seiten des Bundes mehr Aufmerksamkeit für strukturellen Rassismus in Behörden gibt, der viel zu den Verwerfungen rund um den Anschlag beigetragen haben dürfte. Auch ein ernsthaftes Bemühen um die Bekämpfung von Rechtsradikalismus in Sicherheitsorganen und anderen staatlichen Einrichtungen dürfte von der neuen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eher zu erwarten sein als von ihrem Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU). Faeser stammt aus Hessen und hatte sich als Vorsitzende der SPD-Fraktion im Wiesbadener Landtag und deren innenpolitische Sprecherin einen Namen als engagierte Streiterin gegen Rechtsradikalismus gemacht. Sie gehört zudem zu jenen Frauen, die mit anonymen Schreiben mit dem Kürzel »NSU 2.0« bedroht wurden. Sie erhielt übrigens noch im Juni vergangenen Jahres eine solche Drohmail, zwei Monate nach der Verhaftung des vom hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) als Einzeltäter dargestellten Alexander M. Gegen M. wird wegen der Drohbriefe seit Mittwoch vor dem Frankfurter Landgericht verhandelt.
In einer Aktuellen Stunde am Mittwoch im Bundestag anlässlich des zweiten Jahrestages der Morde von Hanau sagte Faeser: »Die Spur des rechten Terrors zieht sich auch durch unsere jüngere Geschichte: Solingen, Mölln, Hoyerswerda, der Terror des NSU, der Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, meinem Kollegen Walter Lübcke, der Terror von Halle und Hanau. Wer es vorher noch nicht verstanden oder verharmlost hat, dem muss es nach Hanau endlich klar sein: Der Rechtsextremismus ist die schlimmste Bedrohung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.«
Den Angehörigen der Toten von Hanau sicherte die Ministerin zu, sie werde alles dafür tun, dass auch von Seiten des Bundes »transparente und umfassende Unterstützung« bei der Aufklärung erfolge. Der Staat schulde den Familien der Opfer »eine lückenlose Aufarbeitung aller Hintergründe dieses entsetzlichen Anschlags«. Nur durch umfassende Aufklärung könne »das tief verletzte Vertrauen in unseren Staat wieder wachsen«, bei den Angehörigen ebenso wie bei anderen Menschen, die immer wieder rassistischen Angriffen ausgesetzt seien. Bis Ostern will Faeser einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen.
In Hanau, Frankfurt am Main und rund 70 anderen Städten werden an diesem Samstag, dem zweiten Jahrestag des Anschlags, Menschen auf die Straße gehen, um an die Opfer zu erinnern und sich gegen Rassismus und für politische Konsequenzen aus der Tat stark zu machen. Dazu aufgerufen hat unter anderem die Initiative 19. Februar Hanau, in der sich Angehörige bereits kurz nach den Taten zusammengeschlossen haben. Zu einer zentralen Gedenkveranstaltung auf dem Hanauer Hauptfriedhof werden neben Hinterbliebenen auch Bundesinnenministerin Faeser, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) erwartet.
Eine juristische Aufarbeitung von Versäumnissen und Ermittlungen zu möglichen Mittätern wird es unterdessen nicht mehr geben. Die Bundesanwaltschaft hat Ende Dezember alle Ermittlungen zum Anschlag von Hanau eingestellt. Die Angehörigen haben das scharf kritisiert, insbesondere mit Blick auf den Vater des Täters. Bei ihm, der ein ähnlich paranoides, rassistisches Weltbild wie sein Sohn hat, sah die Bundesanwaltschaft kein strafbares Verhalten und ermittelte auch nicht wegen »psychischer Beihilfe« gegen ihn.
Die Initiative 19. Januar kritisiert in ihrem Aufruf zu den Demonstrationen, die Morde seien auch Ergebnis rechter Hetze von Politikern, Parteien und Medien. Behörden und Sicherheitsapparate hätten die Tat »durch ihre strukturelle Inkompetenz und Ignoranz weder verhindert noch aufgeklärt«. Hanau dürfe »keine weitere Station des rechten Terrors« sein, sondern müsse dessen »Endstation« sein.
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