Millionen bald ohne Nahrung

UN-Nothilfekoordinator spricht von »bitterernster Lage« im Jemen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Corona, Naturkatastrophen, Kriege: Während der Westen darauf schaut, ob die Inzidenzen steigen oder sinken, welche Maßnahmen demnächst gelten werden und wie die Wirtschaft das alles überlebt, ist auch die Zahl der internationalen Krisen stark gestiegen. »Und das Geld wird einfach nicht mehr«, sagt Amy Paro, Sprecherin der US-Entwicklungshilfebehörde USAid: »Deshalb gibt es auch immer weniger zu verteilen.«

Besonders stark bekommen das derzeit die Menschen im Kriegsland Jemen zu spüren. Im Dezember hatten die Vereinten Nationen die Essensrationen für acht Millionen Menschen einschränken müssen; ab März wird es keine Hilfe mehr geben, sagt Martin Griffiths, Chef der weltweiten UN-Hilfsprogramme und Nothilfekoordinator: »Das sage ich nicht einfach nur so; die Lage ist bitterernst.« Nie zuvor in der Geschichte der Vereinten Nationen habe man vor der Situation gestanden, Millionen hungernder Menschen nichts zu essen geben zu können. Die Lage ist so ernst, dass ein Teil der Hilfsflüge in den besonders betroffenen Nord-Jemen eingestellt werden musste.

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Grund: Die Hilfsprogramme der Vereinten Nationen werden durch die Mitgliedsstaaten finanziert. Und viele der reichen Länder im Westen und in der arabischen Welt sind seit Beginn der Pandemie extrem zurückhaltend geworden mit finanziellen Zusagen. Statt der eigentlich benötigten umgerechnet 3,4 Milliarden Euro wurden im Jahr 2021 gerade mal zwei Milliarden Euro eingezahlt; für 2022 gibt es laut UN-Pressestelle bislang noch überhaupt keine Zusagen.

Die Sparsamkeit ist übrigens recht selektiv: Erst in der vergangenen Woche schlossen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Jordanien in den USA Rüstungsdeals im Wert von fünf Milliarden Euro ab; die VAE verhandeln zudem mit den USA über den Kauf von Kampfflugzeugen und bewaffneten Drohnen. Auf dem Preisschild stehen 20,31 Milliarden Euro.

Saudi-Arabien und die VAE gehören zu den Kriegsparteien im Jemen, fliegen unter dem Namen »Allianz für die Wiederherstellung der Legitimität im Jemen« Luftangriffe auf den Nord-Jemen, der von den Huthi-Milizen kontrolliert wird. Saudi-Arabien und die VAE werfen dem Iran die Unterstützung der Huthis vor, dabei versorgen die beiden Golf-Länder selbst eine große Zahl von Milizen und Organisationen mit Waffen. Doch zur leicht lösbaren Gleichung werden der Jemen-Krieg und die drohende Hungersnot damit trotzdem nicht. Denn das auf den ersten Blick abgelegene Land ist strategisch enorm wichtig, liegt an einer Meerenge, durch die der Weg vom indischen Ozean ins Rote Meer und damit zum Suezkanal führt. Zudem ist von dort aus ein großer Teil der Arabischen Halbinsel mit Raketen erreichbar. Beides macht den Jemen für die iranischen Revolutionsgarden interessant, die ihren internationalen Einfluss dazu nutzen, um in der iranischen Politik an Gewicht zu gewinnen.

Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Raketen auf saudische Städte abgeschossen; Ende Januar gab es dann auch mehrfach Raketenangriffe auf Abu Dhabi. die Hauptstadt der VAE. Schon zuvor hatte die Zahl der Kämpfe im Jemen deutlich zugenommen; nun ist die Zahl der Fronten und Luftangriffe so hoch, dass selbst das Team des UN-Sondergesandten für den Jemen, Hans Grundberg, nicht mehr genau sagen kann, wie viele es auch nur annähernd sind. Nach Angaben des Roten Halbmondes starben im Januar bei Kampfhandlungen mindestens 650 Menschen. Wahrscheinlich sind es aber sehr viel mehr.

Die vielen Fronten sorgen aber auch dafür, dass in der Hafenstadt Al-Hodeidah die Silos voller Getreide aber trotzdem für die meisten unerreichbar sind. Die Situation sorgt aber auch für immense soziale Spannungen. Der Süd-Jemen steht mittlerweile zu großen Teilen unter Kontrolle des »Südlichen Übergangsrates«, der für einen unabhängigen Süd-Staat eintritt. Gekämpft wird dort nicht, doch Millionen Menschen aus dem Norden haben sich bereits dorthin gerettet, noch viel mehr versuchen es. Die Folge: Die Produktion der Landwirschaft reicht nicht mehr aus, um alle zu versorgen. Den Neuankömmlingen schlage regelrechter Hass entgegen, viele machten sie dafür verantwortlich, dass man nun selbst nicht mehr genug habe, heißt es in einem Bericht an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

UN-Sondergesandter Grundberg setzt indes auch Hoffnungen in ein Atomabkommen mit dem Iran, auch wenn das auf den ersten Blick nichts damit zu tun hat: Ein Deal könne die Revolutionsgarden, Saudi-Arabien und die VAE dazu bewegen, ernsthaft über eine Lösung des Jemen-Kriegs nachzudenken.

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