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Zirkus Europa
Wo die Zitronen blühen
Ach, Italien ... Das Land, von dem die Welt seit Goethe weiß, dass dort die Zitronen blühen. So ähnlich war das auch mal mit dem Fußball, der auf dem Stiefel so anmutig und erfolgreich gekickt wurde wie nirgendwo sonst. Der Gewinn der Europameisterschaft im vergangenen Sommer hat die Tifosi ein wenig versöhnt damit, dass Italien im großen Zirkus des Vereinsfußballs schon lange nicht mehr die Ansprüche befriedigt, wie sie den Erfolgen einer noch gar nicht so lange vergangenen Vergangenheit entsprechen.
Selig sind die Erinnerungen an die Achtziger-, Neunziger und frühen Nullerjahre, als nichts ohne die geballte Kompetenz aus Turin und Mailand ging. Wer damals etwas auf sich hielt, spielte für Milan, Inter oder Juve, aber wer weiß das schon noch?
Der letzte Titelgewinn eines italienischen Klubs in der Champions League datiert von 2010 - ein 2:0 von Inter Mailand im Finale von Madrid über den FC Bayern. In diesem Frühling haben es immerhin zwei italienische Mannschaften ins Achtelfinale der Champions League geschafft. Inter hat viel versprochen und dann doch wenig gehalten im Hinspiel vor einer Woche daheim in San Siro gegen den FC Liverpool. 0:2 hieß es am Ende, und dass Inters Trainer Simone Inzaghi anschließend von einer fantastischen Leistung seiner Mannschaft schwärmte, nahmen die Gazzettas und Corrieres eher belustigt zur Kenntnis.
Italiens Hoffnungen ruhen jetzt auf Juventus Turin, der einzig wahren Vecchia Signora, auch wenn ein in Berlin beheimatetes Fußballunternehmen das Label der Alten Dame sehr gern für sich in Anspruch nimmt. Wenn es denn da eine Gemeinsamkeit mit Hertha BSC gibt, dann die, dass beide Klubs schon bessere Zeiten erlebt haben. Juve tummelt sich in der Serie A neun Punkte hinter dem Tabellenführer AC Milan. Am Freitag gab es im Turiner Derby gegen den FC ein 1:1, auch dies kein Mut machendes Signal vor dem Achtelfinale in der Champions League. Es geht am Dienstag in die spanische Provinz zum FC Villarreal, der sich durchaus als Favorit betrachten darf, weil ihm im vergangenen Jahr gelungen ist, wonach Juve sich seit Jahren sehnt, nämlich ein Sieg im Europapokal, wenn auch nur im kleineren der beiden Wettbewerbe. Nach einem dramatischen Finalsieg über Manchester United thront in Villareals Trohäensaal die Vase, die ein italienischer (!) Designer für den Champion der Europa League geschaffen hat.
Juves europäischer Glanz kämpft mit der Patina, die sich über den letzten ganz großen Erfolg legt. Vor einem Vierteljahrhundert sonnte sich der vornehmste aller italienischen Klubs ganz oben auf dem Gipfel. Im Stadio Olimpico von Rom gab es ein 4:2 im Elfmeterschießen gegen den Pokalverteidiger Ajax Amsterdam. Es war nach 1985, nach der Tragödie von Heysel, das zweite und bis heute letzte Mal, dass Juve Europas Thron bestieg. Fünf Finalteilnahmen stehen seitdem zu Buche, sie endeten ausnahmslos mit Turiner Niederlagen, zuletzt mit einem 1:4 vor bald fünf Jahren gegen Real Madrid.
Bei jener Nacht im Mai 1996 profitierte die Vecchia Signora davon, dass sie einen Engel im Tor hatte. Angelo Peruzzi parierte im Entscheidungsschießen gleich zwei Amsterdamer Versuche. Peruzzis himmlischer Vorname musste für so manches Wortspielchen herhalten. »Das waren 120 Minuten Wettlauf mit dem Tod«, sprach Juves Verteidiger Moreno Torricelli. »Aber Angelo hat uns vor der Hölle bewahrt.« Und zu Hause blühten die Zitronen, der Fußball flog so anmutig wie nirgendwo sonst.
Lange her. Ein Vierteljahrhundert später reist Juve als Außenseiter in die spanische Provinz.
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