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Einsamer Kampf

Wo bleibt die Zäsur? Zwei Jahre nach den Anschlägen von Hanau hat sich wenig getan

  • Ayesha Khan
  • Lesedauer: 4 Min.

Am vergangenen Wochenende wurde in über 100 deutschen, österreichischen und schweizerischen Städten der Opfer der rechtsterroristischen und rassistischen Anschläge von Hanau gedacht. Nicht nur in den großen Städten versammelten sich Tausende Menschen. Dem Wunsch der Familien, Hinterbliebenen und Überlebenden nach dezentralen Aktionen im ganzen deutschsprachigen Raum kamen viele Menschen nach. Und gerade deshalb verwundert einen die verhaltene Reaktion lokaler und überregionaler Medien in Deutschland.

Allerdings: Das ist und war schon immer der Umgang der deutschen Dominanzgesellschaft und Politik mit rechtsterroristischen Anschlägen. Trauern als Staatsakt reicht nämlich nicht aus. Warme Worte, Blumen niederzulegen und Hände zu schütteln ist alles, was wir immer wieder in den letzten Jahren zu sehen bekommen haben. Die Politiker tun sich so schwer, angemessen sowie den Wünschen der Angehörigen und den Bedürfnissen betroffener Communitys entsprechend zu gedenken.

Der Khan-Report
Ayesha Khan erzählt Geschichten über das Aufwachsen in einem (post)migrantischen Deutschland. Wie das Land sind diese mal lustig, aber öfter auch traurig.

Wir erinnern uns an die 90er Jahre: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sagte eine Teilnahme an der Trauerfeier in Mölln nach dem dortigen Brandanschlag ab. Das Stichwort »Beileidstourismus« ist noch immer präsent, ebenso wie der Umgang der Stadt Mölln selbst mit den Hinterbliebenen des Brandanschlages. Dass heute die »Möllner Rede« den Zusatz »im Exil« trägt und nicht in der Stadt der Ereignisse stattfindet, ist Mölln zu verdanken, das mit dem selbstorganisierten Gedenken der Familie nicht zurechtkam.

In den 2000er Jahren erschütterten die Morde des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Migrant*innen in Deutschland. Als die Angehörigen von Halit Yozgat bereits im Mai und Juni 2006 Schweigemärsche in Kassel und Dortmund organisierten, gingen unter dem Motto »Kein 10. Opfer« über 4000 Menschen aus überwiegend migrantischen Communitys auf die Straßen. Auch damals interessierte sich die Dominanzgesellschaft und sogar die deutsche Linke kaum bis gar nicht für die Belange der Hinterbliebenen und Überlebenden, die zu dem Zeitpunkt noch unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden standen, obwohl es bereits Anhaltspunkte für rechten Terror gab.

Aber 2006 wurde auch die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen. Da war die »Welt zu Gast bei Freunden«. Was für einen Image-Schaden hätte es gegeben, wenn wir öffentlich um neun migrantische Menschen getrauert hätten! Noch schlimmer als das Trauern wären aber die Forderungen der Hinterbliebenen und Überlebenden nach Aufklärung und Konsequenzen gewesen - und die immer wiederholte Frage: Hätten die Ereignisse verhindert werden können?

Ob der Breitscheidplatz in Berlin, ob München, Halle oder Hanau, die Geschichten ähneln einander. Doch statt angemessenem Gedenken und konsequenter Aufklärung wird viel Symbolpolitik betrieben, und die Familien der Opfer werden immer wieder beschwichtigt. Seit den NSU-Morden werden nur noch Versprechungen gemacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mittlerweile nicht mehr im Amt. Die übrig gebliebenen, nicht geschredderten NSU-Akten aber sind noch immer verschlossen. Zumindest für die nächsten Jahre.

Es ist der 19. Februar 2022, der Anschlag von Hanau liegt genau zwei Jahre zurück: Die hessische Staatskanzlei und die Stadt Hanau organisieren eine Gedenkveranstaltung auf dem Hauptfriedhof. Eingeladen sind hochrangige Politiker*innen, wie etwa Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Es werden Kränze niedergelegt und Reden gehalten. Insgesamt sind 100 Menschen auf dem Platz erlaubt, einschließlich Fernsehteams. Aber es fehlen: viele Hanauer*innen, die an dem Tag gerne die Gräber ihrer verstorbenen Freunde besucht hätten. Wie kann so etwas passieren?

In einem offenen Brief an die neue Bundesregierung schreibt Serpil Temiz Unvar, die Mutter des Anschlagopfers Ferhat Unvar, zwei Tage vor dem Gedenktag: »Hanau war nicht der Anfang.« Unvar macht in ihrem Brief auf die Kontinuität rechter Gewalt in Deutschland seit über 30 Jahren aufmerksam und fordert Aufklärung und Gerechtigkeit für alle Ermordeten.

Dass sich mit Hanau etwas ändert und dass Hanau also wirklich zur Zäsur wird, das war zwar unser Wunsch - aber zwei Jahre später hat sich in dieser Hinsicht nicht viel getan. Jeden Versuch der Aufklärung und den Kampf gegen das Vergessen verdanken wir nicht der Politik, sondern den Kämpfen der Familien und Überlebenden von Hanau.

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