- Kultur
- Film »Der Mann, der seine Haut verkaufte«
Ausbeutung der Ausbeutung
Die Filmemacherin Kaouther Ben Hania erzählt von einem Flüchtling, der sich an die Kunst verkaufte
Glänzende Haut, fettige Haut, stopplige Haut, ihre Poren, ihre Narben, ihre Härchen. Wer nicht gerade den ganzen Tag Seifenwerbung anschaut, wird selten soviel hochaufgelöste Hautdetails zu sehen kriegen wie in »Der Mann, der seine Haut verkaufte«. In dem Film wird ein syrischer Flüchtling (Yahya Mahayni) zum lebenden Werk eines belgischen Künstlers (Koen de Bouw), dem er gestattet, ein Schengen-Visum auf seinen Rücken zu tätowieren. So entrinnt er der Endstation Libanon; das Visum auf dem Rücken bringt ihm ein echtes ein.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Weil die Filmemacherin Kaouther Ben Hania an den manieristischen Stil des im Januar verstorbenen Jean-Jacques Beineix (»Diva«, 1981) anschließt, zeigt sie nicht nur Haut so, als wäre sie aus Samt und Seide. Bei ihr sieht das Auspressen eines Pickels aus, als flösse Sauce béarnaise über Roastbeef. Dazu lässt sie Puccinis »Tosca« spielen. Hübsches und Widerliches verbinden sich auf eine Weise, die der Feinschmecker »Haut-goût« nennt. Der Film übt sich in Überstilisierung, präsentiert seine Einstellungen als Renaissancegemälde und prunkende Dekors. Er betreibt das, was er zeigt: Er beutet Mensch, Tier und Welt aus und verwandelt ihr Elend in konfektionierte Schönheit. Doch kann er kritisieren, woran er teilhat?
Vorbild für die als Pakt mit dem Teufel hochgejazzte Geschichte ist ein Werk von Wim Delvoye. Delvoye, kein sehr teuflischer, eher ein verschmitzter Zeitgenosse, hatte mit der aufwendigen Konstruktion einer Maschine auf sich aufmerksam gemacht, die echte Scheiße produziert (»Cloaca«, 2000). 2006 bat der Künstler, der in Ben Hanias Film als biederer Versicherer einen Auftritt hat, einen Musiker namens Tim Steiner, sich etwas auf den Rücken tätowieren zu lassen (eine betende Jungfrau unter einem mexikanisch verzierten Totenschädel). Steiner ist vertraglich verpflichtet, das Bild auf seinem Rücken von Zeit zu Zeit auszustellen. Der Künstler sagte der »Monde« (28.3.2021): »Es war meine Absicht, die Werthierarchie zu erschüttern, denn in Papua-Neuguinea wird ein Tätowierter respektiert, im Gefängnis fordert er Achtung ein, nur in der Kunst zählt die Tätowierung gar nichts.«
Das ist die recht harmlose Version einer Idee, die schon alt ist. Der spanische Konzeptkünstler Santiago Sierra hat vielfach Migranten als Kunstobjekte verwendet, er färbte ihre Haare blond, er ließ sie Erdlöcher ausheben und 1999 tätowierte er sechs Kubanern eine durchgehende, narbenartige Linie auf den Rücken. Diese Skarifizierung ist wesentlich weniger geschmackvoll als das, was Ben Hanias Mephisto in gedämpfter Beleuchtung zelebriert. Sie ist ein Protest gegen Ausbeutung, die sich ganz bewusst in die Gefahr begibt, selbst Ausbeutung zu sein; Sierra zahlt seinen lebenden Kunstobjekten nur ein Spottgeld.
Die finsterste Fassung der Idee findet sich in dem kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman »Haus von Anita« (posthum 2016) des Künstlers Boris Lurie, eines Überlebenden mehrerer KZ. Lurie lässt sadistische Galeristinnen eine vielfach gedemütigte Jüdin als lebende Skulptur verkaufen. Und lassen sich nicht auch die Opfer der Lager feilbieten? In dieser Zuspitzung steckt die moralische Problematik aller Präsentation des Menschlichen, von der Ausstellung von Schrumpfköpfen bis hin zum Pin-up. Das bringt gerade die politische oder dokumentarische Kunst, die in bester Absicht Opfer vorführt, in Erklärungsnot.
Der Künstler ist, wie Ben Hania präzise zusammenfasst, kein Pygmalion, der eine Skulptur verlebendigen will, er wünscht, ob bewusst oder unbewusst, seinen lebendigen Objekten den Tod. Dieser Vampirismus, diese Verdinglichung, diese Abtötung ist aber nur ein besonders buntes Beispiel für eine allgemeine Ausbeutung. Die Geliebte des Flüchtlings (Dea Liane), die einen ungeliebten Mann heiratet, um der Hölle Syrien zu entfliehen, lässt sich ebenso ausbeuten wie zuvor der Flüchtling, als er in einer Hühnerfabrik Küken sortiert und die männlichen am Fließband schlachtet. Küken, die reihenweise sterben müssen, um der Leinwand ein besonders leuchtendes Gelb zu liefern, sind überhaupt die stärkste Versinnbildlichung von Missbrauch. Es ist durchaus begreiflich, dass der Flüchtling sagt, er möchte kein stolzer Hahn, lieber ein Eier legendes Huhn sein, nämlich davonkommen. Ebenso begreiflich ist, dass sein Kumpel erwidert: »Willst du vielleicht zum Chick der Amerikaner werden?« Es gibt kein Entkommen. In diesem System müssen alle zahlen, alle außer den Ausbeutern, und selbst die oft genug.
Ben Hania antwortet darauf mit mal läppischen, mal lustigen, mal lachhaften Einfällen. Lustig ist, wenn der Flüchtling ein Selbstmordattentat suggeriert und so eine Panik unter Millionären auslöst. Lachhaft ist Ben Hanias Vorstellung von der Kunstszene. Ein wütender Syrer zerschmettert ein Gemälde von Roberto Ferri, es soll elf Millionen Dollar wert sein. In Wahrheit hat Ferri bislang mit keinem seiner manieristischen Schinken mehr als 14 000 Dollar erzielt. Der Rücken des Flüchtlings wird für fünf Millionen versteigert. Tatsächlich hat Delvoye für seinen »Tim« gerade einmal 150 000 Dollar gekriegt. Es ist außerdem blanker Unsinn, dass Konzeptkünstler eigenhändig zur Tätowierpistole griffen. Dafür gibt es Fachleute.
Ja, die Agentin, gespielt von Monica Bellucci, die den Flüchtling behandelt wie ein kleines Kind, ist eine gut erfundene Figur und ja, Anwalt, Assistenten und Berater, die domestikenhaft um den Meister herumwieseln, gibt es. Aber im Großen und Ganzen wirkt die Szene des Films doch wie ein Märchen des Fin-de-siècle. Weil »Der Mann, der seine Haut verkaufte« sich so beflissen selbst verkaufen will, ist er ein Beispiel und vermutlich nicht das einzige für eine Exploitationsexploitation, für die Ausbeutung einer Ausbeutungssituation.
»Der Mann, der seine Haut verkaufte«: Tunesien u. a. 2020. Regie und Buch: Kaouther Ben Hania. Mit: Yahya Mahayni, Dea Liane, Monica Bellucci u. a. 104 Min. Jetzt im Kino.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.