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Auf Worte sollen Taten folgen
Nato-Generalsekretär Stoltenberg kündigt Maßnahmen zur Abschreckung an. Die Ostflanke wird durch weitere Truppen verstärkt.
Lange bevor die ersten Panzer rollten, war dieser Konflikt bereits durchzogen von Identitätsfragen. Die Ukraine, das wurde in Wladimir Putins Rede vom Montag überdeutlich, wird von Russland nicht als souveräner Staat betrachtet; mit historischen Verdrehungen gibt sich der russische Präsident selbst die Legitimation für jenen Angriff, der in der Nacht zum Donnerstag begann. Entsprechend lässt sich jene kurze Bemerkung, die Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstagvormittag in Berlin vor der Presse tätigte, als unmittelbare Reaktion auf das russische Nationalverständnis deuten: Putin gefährde »das Leben von unzähligen Unschuldigen in der Ukraine, dem Brudervolk Russlands«, sagte Scholz, nachdem er sein Sicherheitskabinett zu einer Sondersitzung zusammengezogen hatte.
Eine bewusst getroffene Aussage? Jedenfalls scheint es derzeit unwahrscheinlich, dass die unmissverständliche Botschaft an Putin, dieser schieße gerade auf ihm nicht nur geografisch Nahestehende, den Adressaten in dessen Größenwahn erreichen wird - kurz, nachdem die Regierung in Kiew jegliche diplomatischen Beziehungen zu jenem »Bruder« im Osten eingestellt hatte.
»Dieser 24. Februar ist ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein düsterer Tag für Europa«, begann Scholz, während 2000 Kilometer östlich von Berlin tote Soldaten und Zivilisten zu beklagen waren. Putin bringe »Leid und Zerstörung über seine direkten Nachbarn« und stelle »die Friedensordnung unseres Kontinents in Frage«, sagte er: »Für all das gibt es keine Rechtfertigung. Das ist Putins Krieg.« Dann rief Scholz abermals Deutsche zum Verlassen der Ukraine auf und berief für Sonntag eine Sondersitzung des Bundestages ein, um eine Regierungserklärung zu halten.
Laut Diplomaten hatten die baltischen Staaten sowie Polen und Rumänien gefordert, Artikel vier des Bündnisvertrags zu aktivieren: Dieser sieht Konsultationen vor, wenn ein Alliierter seine eigene Sicherheit und Gebietshoheit bedroht sieht. Die östlichen Nato-Länder fürchten, zum nächsten Ziel russischer Großmachtansprüche zu werden - diesen Fall einer direkten Konfrontation US-amerikanischer und russischer Truppen kann aber eigentlich niemand wollen.
Nach einer Dringlichkeitssitzung in Brüssel äußerte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, im Notfall könne auch die Nato-Response Force NRF mit bis zu 40 000 Soldaten eingesetzt werden, an der auch Deutschland beteiligt ist. »Wir haben jetzt einen Krieg in Europa in einem Ausmaß und einer Art, von der wir dachten, sie gehöre der Vergangenheit an.« Stoltenberg sprach von »einer neuen Normalität für unsere Sicherheit«, in der Frieden keine Selbstverständlichkeit sei.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) positionierte sich im Bundestag zur Eskalation des Konfliktes. »Das ist ein unglaublicher Vorgang und der darf nicht unbeantwortet bleiben«, sagte Lambrecht am Rande der Sitzung des Verteidigungsausschusses. »Wir werden jede Herausforderung erfüllen, jede Anfrage, die kommt und dazu sind wir auch in der Lage«, so Lambrecht. Deutschland habe zuletzt bereits seine Truppen in Litauen auf fast 1000 Soldatinnen und Soldaten »mit dem entsprechenden Gerät« verstärkt, sagte Lambrecht. Sie habe nun zudem »angewiesen, dass wir auch unser Engagement in Rumänien« im Bezug auf die Luftraumüberwachung »nicht nur ausweiten, sondern auch verlängern«.
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Zu den Äußerungen des Inspekteurs des Heeres, General Alfons Mais, über das soziale Netzwerk LinkedIn, das für berufliche Kontakte genutzt wird, wollten sich das Verteidigungsministerium und Lambrecht zunächst nicht positionieren. »Unsere Alliierten können sich zu 100 Prozent auf Deutschland verlassen.« Man sei ein verlässlicher Partner und auch in der Lage, diesen Worten Taten folgen zu lassen. Das sei überhaupt nicht in Frage zu stellen.
Heeres-Inspekteur Mais tat jedoch zu Tagebeginn genau das und behauptet, das Heer stehe »mehr oder weniger blank da« und sei bei den Optionen, die der Politik zur Unterstützung des Bündnisses angeboten werden können, »extrem limitiert«.
Klare Kante gegen Putin zeigte auch Jan Korte (Linke), der ebenfalls an der Sitzung des Verteidigungsausschusses teilnahm. »Es handelt sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der durch nichts zu rechtfertigen ist und zeigt, wohin Nationalismus führt«, so Korte. »Unser Appell geht nach Moskau: Präsident Putin, ziehen sie alle Truppen zurück und beenden Sie dieses sinnlose Blutvergießen!« Er forderte, die Bundesregierung müsse »noch heute unmissverständlich klar machen«, dass den flüchtenden Menschen aus dem Kriegsgebiet unbürokratische Hilfe und Aufnahme gewährt werde. Korte rief dazu auf, sich an den Demonstrationen und Friedenskundgebungen zu beteiligen, die in den kommenden Tagen stattfinden werden.
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