Keine Rettung durch die Uno

Der Krieg in der Ukraine zeigt erneut die Grenzen des nach 1945 entstandenen internationalen Sicherheitssystems

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Nachricht vom Überfall Russlands auf die Ukraine platzte in der Nacht zum Donnerstag mitten in die Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrates in New York. Uno-Generalsekretär António Guterres sprach vom »traurigsten Tag« seiner Amtszeit. Später kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, man werde Russland vor dem Sicherheitsrat zur Rechenschaft ziehen. Meldungen über die Entwicklung des Krieges in der Ukraine werden sekundiert von Informationen aus der Uno. So, als liege in dem Gremium eine Lösung verborgen, die kurz vor ihrer Verkündung stehe. Doch davon kann keine Rede sein. Eher ist der hilflose Ausbruch des ukrainischen Botschafters sinnbildlich für die begrenzten Möglichkeiten des Uno-Sicherheitsrates in der derzeitigen Lage, der seinem russischen Widerpart zurief: »Sie fahren direkt zur Hölle, Botschafter«.

Viel wird derzeit über das Ende der europäischen Friedensordnung gesprochen. Außenministerin Annalena Baerbock wachte »in einer anderen Welt auf«, wie sie am Morgen nach der russischen Aggression bekannte. Als die Nato 1999 die Provinz Kosovo von Jugoslawien abtrennte, war sie 19 Jahre alt. Die Weltordnung wackelt; dabei war mit der Uno vor 75 Jahren eine Institution geschaffen worden, die für die Wahrung des Friedens sorgen sollte. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges waren sich einen historischen, aber kurzen Augenblick lang darüber einig, dass es etwas Besseres brauchte als die Vorstellung, dass Krieg nichts weiter sei als die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Sie einigten sich auf eine Charta mit verbindlichen Regeln auf der Grundlage des Völkerrechts. Und mit dem Uno-Sicherheitsrat auf ein Gremium, in dem sie selbst das letzte Wort haben sollten bei der Herstellung des Friedens und dem Recht zur Gewaltanwendung, auch wenn diese das letzte Mittel sein sollte.

Die Autorität des Sicherheitsrates ist damit enorm. Wäre enorm, wenn er mit einer Stimme spräche. Er ist das einzige Gremium, dem die Weltgemeinschaft das Recht zubilligt, eine Ausnahme vom allgemeinen Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen zu erklären und auch umzusetzen, wenn dies der Herstellung des Friedens dient. Ansonsten gibt es eine völkerrechtlich legitimierte Ausnahme vom Gewaltverbot nur im Falle der Selbstverteidigung eines Landes gegen eine fremde Aggression.

Weil innerstaatliche Konflikte inzwischen das Gros der weltweiten Kriegsszenarien ausmachen, hat das höchste Uno-Gremium sein Portfolio um eine sogenannte Schutzverantwortung bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen erweitert, die »Responsibility to protect«. Bedingung für einen Einsatz militärischer Gewalt im Namen der Uno, mit einem entsprechenden Mandat, ist aber immer eine Mehrheit von neun der 15 Mitglieder und darunter die Zustimmung der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Das Veto eines von ihnen reicht aus, um einen Beschluss zu verhindern. Und so folgen am Ende dem diplomatischen Austausch von Freundlich- oder Unfreundlichkeiten häufig keine Beschlüsse. Das ist im Krisenfall nicht unbedingt wenig und hat manchmal gar sein Gutes. Denn der Einsatz militärischer Gewalt zur Beendigung etwa von Bürgerkriegskonflikten schafft selten gerechten Frieden, sondern meist neue Ungerechtigkeiten und Konflikte, denn er ist immer selbst beeinflusst von den Machtinteressen der Sicherheitsratsmitglieder.

Immer wieder gerät der Rat in den Fokus internationaler Kritik. Einmal, weil er nicht zu Entscheidungen kommt, wie etwa 1994 im Falle des Völkermordes in Ruanda, als China eine Entscheidung blockierte. Das Beispiel Libyens wiederum zeigt die zweifelhaften Folgen, die vom Sicherheitsrat genehmigte Militäreinsätzen haben können. Die am 17. März 2011 erlassene Resolution 1973 über eine »Flugverbotszone über Libyen« legitimierte einen Angriff der Nato auf das Land mit dem Ziel, das Regime von Muammar al-Gaddafi zu stürzen. Die angeblich beabsichtigte Beendigung von Menschenrechtsverbrechen Gaddafis schuf die Grundlage für die Verbrechen neuer Akteure. Staatliche Strukturen wurden zerstört, ein Bürgerkrieg angefacht, ein bis heute andauerndes Chaos geschaffen. Deutschland enthielt sich damals der Stimme.

Im Falle des Kosovokrieges konnte der Sicherheitsrat nur noch die Scherben zusammenfegen, als alles vorbei war. Wie hätte es auch anders sein können, da doch mehrere Mitglieder - USA, Frankreich und Großbritannien im Rahmen einer Nato-Streitmacht - Konfliktpartei waren? In der Resolution 1244 legitimierte der Sicherheitsrat eine Übergangsverwaltung für die ehemals jugoslawische Provinz Kosovo samt einer militärischen Sicherheitstruppe KFOR, in der die Sieger des Krieges das Sagen haben, und ließ sowohl den Status von Kosovo wie die Zeitdauer offen, die der Übergang zu einer endgültigen Lösung dauern solle. Eine völkerrechtliche Legitimation der Ergebnisse eines völkerrechtswidrigen Krieges war damit nachträglich geschaffen.

In den 75 Jahren der Existenz des Sicherheitsrates haben die Ständigen Mitglieder USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien nie aufgehört, ihre nationalen oder Bündnisinteressen auch mit militärischer Gewalt umzusetzen oder hierfür Stellvertreter zu missbrauchen. Mit oder ohne Mandat der Uno. Man ahnt, wie der Disput über eine Resolution zur Ukraine ausginge. Neben Russland würde wohl auch China sich verweigern, das es bisher vermied, sich der allgemeinen Empörung anzuschließen. Abgesehen von der Frage, welche Ziele ein Mandat der Uno für die Ukraine haben könnte. Eigenes Militär hat die Uno nicht. Ein militärisches Eingreifen haben die Nato-Länder aus gutem Grund bereits ausgeschlossen. Würden sie anders entscheiden, täten sie es auch ohne Mandat.

Auch für seinen Angriff auf die Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine völkerrechtliche Rechtfertigung bemüht. Indem er die Volksrepubliken Donezk und Luhansk als Staaten anerkannte, billigte er ihnen das Recht auf Selbstverteidigung zu, gegen die Ukraine nämlich, der er gleichzeitig Aggression und sogar Genozid vorwarf. Paradoxerweise bestritt er zugleich das Existenzrecht der Ukraine selbst und stellte das Land als künstliches Konstrukt einer willkürlichen Entscheidung der Kommunistischen Partei der UdSSR schon zu Lenins Zeiten dar.

2015 schrieb der SPD-Außenpolitiker Egon Bahr in der taz: »Eine Supermacht lässt sich auch nicht durch eine schwerfällige Organisation wie die UN von der Verfolgung ihrer Interessen abhalten.« Er meinte die USA. Es gilt aber nicht nur für diese. Auch Russland zählt den Krieg zum Arsenal seiner Mittel, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.