Vergiftete Gespräche

Wolfgang Hübner über das russische Verhandlungsangebot an die Ukraine

Die Äußerungen russischer Politiker über ihren Krieg gegen die Ukraine sind an Zynismus kaum zu überbieten. »Wir wollen niemandem etwas mit Gewalt aufzwingen«, erklärte allen Ernstes Präsident Wladimir Putin. »Wir sind daran interessiert, dass das ukrainische Volk unabhängig ist«, sekundiert Außenminister Sergej Lawrow in ebenso kaltblütiger Weise.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der militärischen Brutalität der russischen Armee ist das russischen Verhandungsangebot zunächst nicht mehr als eine Farce. Natürlich wäre eine Verhandlungslösung das beste. Und natürlich wird sie schwer zu erzielen sein angesichts der komplizierten Vorgeschichte der Minsk-Gespräche, an deren Scheitern auch die Ukraine eine gehörige Aktie hat. Aber jetzt, nachdem russische Truppen das Nachbarland mit Bomben, Raketen und Panzern überziehen, auf dem gesamten Territorium von Ost bis West, von Nord bis Süd, kann es gar keine gleichberechtigten Verhandlungen geben. Wie soll jemand, dem der Pistolenlauf an die Schläfe gehalten wird, Gespräche auf Augenhöhe führen?

Bis zum Kriegsausbruch hätte man an Russlands lautere Verhandlungsabsicht glauben können. An der Grenze wurde ein riesiges militärisches Potenzial aufgebaut - das hätte immer noch die Drohkulisse für Friedensgespräche für den Donbass sein können. Mit dem Einmarsch in die gesamte Ukraine, mit dem Angriff von mehreren Seiten hat sich die Lage komplett verändert. Das russische Gesprächsangebot hat etwas Gönnerhaftes, das angesichts der fortgesetzten Kämpfe bis in die Hauptstadt Kiew nicht den Anflug von Ehrlichkeit erweckt.

Was Russland in diesen Tagen betreibt, ist ein Regime Change ganz eigener Art in der Ukraine. Was man dem Westen 2014vorwarf, als der Moskau-freundliche Premier Janukowitsch von massenhaften, auch gewalttätigen Demonstrationen in die Flucht geschlagen wurde, will man nun mit mörderischen Methoden rückgängig machen. Moskau will die Führung in Kiew abservieren, die Verantwortlichen für den vermeintlichen Völkermord in der Ostukraine bestrafen und ein Putin ergebenes Regime in Kiew installieren. Auch das ukrainische Militär versuchte man schon gegen Präsident Selenskyi zu dirigieren. So agiert niemand, der ernsthaft verhandeln will.

Wenn Verhandlungen überhaupt einen Sinn haben sollen in diesen Tagen, dann jedenfalls nicht beim belarussischen Machthaber Lukaschenko, der sich Gastgeber anbot, nachdem er gerade erst mit Putin einen Atomwaffentest beaufsichtigte und der russische Armee sein Land als Aufmarschgebiet überließ. Es müssten Gespräch mit internationaler Beteiligung sein, ohne Bedingungen – außer diesen: Der Krieg muss so schnell wie möglich enden, Russlands Armee hat sich komplett zurückzuziehen, die Ukraine muss unabhängig bleiben, zwischen allen Beteiligten - auch zwischen Russland und dem Westen – müssen Sicherheitsvereinbarungen getroffen werden.

Wladimir Putins besitzergreifende Sentenz »Du wirst dich fügen müssen, meine Schöne« in Richtung Ukraine sagt allerdings über die Verhandlungsabsichten Russlands eigentlich alles. So wenig die russische Okkupation ein »Friedenseinsatz« ist, wie der Kreml behauptet, so wenig erscheinen die von Russland vorgeschlagenen Gespräche als Friedensgespräche – erst recht nicht, wenn zugleich in Moskau, St. Petersburg und anderswo friedliche Anti-Kriegs-Demonstranten von der Polizei zusammengeknüppelt und verhaftet werden. Was die russische Führung mit ihrem Krieg vorführt – zumal nach dem Befehl zu noch stärker ausgeweiteten Angriffen -, ist Erpressung und Unterwerfung.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!