Vietnamesen suchen Wege aus der Ukraine

Migranten leben häufig in Hochhäusern am Stadtrand, die jetzt besonders intensiv beschossen werden

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Phuong Bac, ein vietnamesischer Textilarbeiter aus Odessa, berichtet gegenüber der BBC von seiner Flucht: »Wir sind eine Gruppe von 20 Vietnamesen, mieteten ein Auto mit einem ukrainischen Fahrer. Aber es ist ein langer Weg von hier nach Polen. Wir müssen durch viele Checkpoints, dort werden die Dokumente kontrolliert.« Eine Vietnamesin aus Charkiw, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, begründet hingegen gegenüber »nd«, warum sie in der Ukraine bleibt: »Ich habe einen ukrainischen Mann, der jetzt beim Militär ist. Gemeinsam mit meinem Sohn bin ich bei den Schwiegereltern im Dorf untergekommen. Hier wird nicht geschossen. Der Weg durch die Ukraine ist mir zu gefährlich.«

Rund 10 000 Vietnames*innen leben in der Ukraine. Sie stellen damit eine der großen Migrantengruppen dar. In Kiew, Odessa und in Großstädten im Osten des Landes leben große vietnamesische Händlergemeinden, die bis Kriegsbeginn auf den inzwischen geschlossenen Märkten Waren verkauften. Sie lebten oft in Hochhäusern am Stadtrand, die jetzt besonders intensiv beschossen werden. Hinzu kommen mehrere Hundert Studierende aus Vietnam sowie die in den offiziellen Zahlen nicht enthaltenen Flüchtlinge, die in der Ukraine auf ihre illegale Weiterreise in die EU warteten und jetzt festhängen. Sie haben oft keinerlei Papiere.

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Anders als viele europäische Staaten hat Vietnam seine in der Ukraine lebenden Staatsangehörigen vor Kriegsbeginn nicht zum Verlassen des Landes aufgerufen und keinerlei Rückholaktionen gestartet. Die Regierung in Hanoi hatte die Meldungen von einem bevorstehenden Krieg Russlands gegen die Ukraine als westliche Propaganda abgetan. Vom Tag des Kriegsbeginns ist überliefert, dass selbst vietnamesische Diplomaten in Kiew sich in einen Kellerraum im Botschaftsgebäude retten mussten. Die Evakuierungsplanungen laufen erst jetzt an. Vietnam Airlines will Flugzeuge nach Warschau, Bukarest, Budapest, Bratislava, Moskau und Minsk schicken, um Vietnamesen aus der Ukraine, die es bis dorthin geschafft haben, nach Vietnam zu bringen.

Eine Flucht in die EU-Staaten könnte schwierig werden angesichts von Berichten, wonach Migrant*innen aus der Türkei und aus arabischen und afrikanischen Staaten vom polnischen Grenzschutz die Einreise nach Polen verweigert wird. Und ob Russland und Belarus Flüchtende die Grenze passieren lassen, ist noch fraglicher.

Gesichert ist, dass es eine Gruppe von knapp 100 Vietnames*innen über die Grenze nach Rumänien geschafft hatte. Die kleine vietnamesische Community in diesem Land zeigte sich solidarisch und holte sie mit Autos an der Grenze ab, brachte sie nach Bukarest. In vielen Facebook-Gruppen haben in Rumänien lebende Vietnames*innen Telefonnummern veröffentlicht, unter denen ihre aus der Ukraine geflüchteten Landsleute Hilfe bekommen können. Nach rumänischem Vorbild gibt es diese Angebote inzwischen auch in Ungarn und Polen. An der polnisch-ukrainischen Grenze haben vietnamesische Dolmetscher*innen und Ingenieur*innen in einem Zelt eine Beratungsstelle für neu ankommende Landsleute eingerichtet. Dort werden auch Spenden ausgegeben. Auf Facebook erklären einige Vietnames*innen aus Polen, gern auf ukrainischer Seite gegen Russland kämpfen zu wollen.

Der Berliner Dao Quang Vinh hat sich dem europaweiten Netzwerk zur Hilfe für Vietnames*innen aus der Ukraine angeschlossen und sagte »nd«: »Am Montag ist die erste mir bekannte Familie in Polen angekommen. Die Kinder sind ukrainische Staatsbürger und die Familie möchte nach Berlin kommen. Sehr viele Familien warten noch auf ukrainischer Seite der Grenze.« In der Facebook-Gruppe hat er auch Hilfsangebote aus Deutschland gepostet und geraten, keinen Asylantrag zu stellen, sondern besser den Status von Kriegsflüchtlingen zu beantragen, falls man in Deutschland bleiben will. Ob das für vietnamesische Staatsbürger*innen möglich wäre, ist aber noch nicht geklärt. Denn europäische Behörden können sich auf den Standpunkt stellen, in Vietnam herrsche kein Krieg.

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