Versorgung statt Zwang

Es fehlt an Gesundheitsangeboten für Sexarbeitende

  • Giovanna Gilges
  • Lesedauer: 4 Min.
Frauen wehren sich - gegen Vergewaltiger, Ärzte, Richter und das Patriarchat! Unsere Fotoreihe zeigt einige Momente dieser Aufbrüche der feministischen Gesundheitsbewegung aus den Archiven.
Frauen wehren sich - gegen Vergewaltiger, Ärzte, Richter und das Patriarchat! Unsere Fotoreihe zeigt einige Momente dieser Aufbrüche der feministischen Gesundheitsbewegung aus den Archiven.

Bis ins Jahr 2000 mussten sich in Deutschland Personen, die der Prostitution nachgingen, zum Schutze der Allgemeinbevölkerung zwangsweise regelmäßig im Gesundheitsamt auf sexuell übertragbare Krankheiten untersuchen lassen. Wer nicht erschien, konnte polizeilich hergeführt werden, wer sich bei einem Positivbefund nicht behandeln lassen wollte, konnte ins Krankenhaus zwangseingewiesen werden. Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) von 2001 beendete diese Zwangsuntersuchungen. Die Gesundheitsämter erhielten stattdessen die Aufgabe, freiwillige und anonyme Beratungsangebote zur Aufklärung und Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Chlamydien oder HIV zu schaffen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Ein moralischer Paradigmenwechsel! Anstatt vorverurteilt zu werden und als Infektionsrisiko zu gelten, konnten sich von nun an Personen, die dies wollten, in akzeptierender Weise und zumeist kostenfrei zu sexueller Gesundheit beraten und untersuchen lassen. Besonders für Sexarbeitende, die keine in Deutschland gültige oder ausreichende Krankenversicherung haben, sind solche diskriminierungsarmen medizinischen Beratungs-, Untersuchungs- und Behandlungsangebote wichtig, weil ihnen medizinische Versorgung anderswo verschlossen bleibt. Diese den Gesundheitsämtern aufgetragene Verantwortung, Menschen in ihrem Gesundheitshandeln zu unterstützen, sollte mit dem 2017 in Kraft getretenen Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) noch einmal verstärkt werden.

Seitdem sind Sexarbeitende in Deutschland verpflichtet, sich alle zwölf Monate in Gesundheitsämtern einer Beratung zu unterziehen, in der »Basics« zu Safer Sex und Schwangerschaftsverhütung vermittelt werden. Faktisch erweist sich das ProstSchG in dieser Sache aber als rückwärtsgewandt und kontraproduktiv: Die Einführung einer nicht-anonymen Pflichtberatung ist großenteils erfolglos und hat den jahrzehntelangen Vertrauensaufbau der bisherigen Beratungsarbeit für Sexarbeitende in den Gesundheitsämtern zunichte gemacht.

Feministische Gesetzgebung?

Im Kern haben allerdings beide Beratungskonzepte einen gemeinsamen Anspruch: eine barrierefreie Anlaufstelle für akute gesundheitliche Bedarfe zu sein, die in der Lage ist, an entsprechende medizinische oder gynäkologische Fachstellen weiterzuvermitteln. Damit berühren sie zwei feministische Forderungen: die gesundheitliche Ungleichbehandlung von marginalisierten Personen in prekären Lebenslagen oder ohne ausreichende Krankenversicherung aufzuheben und einen bedingungslosen Zugang zum medizinischen Versorgungssystem in Deutschland zu schaffen. Aber wird dieser feministische Anspruch eingelöst? Das 2001 eingeführte IfSG bot damals eine hervorragende Grundlage für die Etablierung akzeptierender Unterstützungsarbeit für Sexarbeitende und den Ausbau der bereits bestehenden Beratungs- und Testangebote für sexarbeitende Personen.

Aber diese Chance wurde durch mangelhafte Umsetzung vertan. Nur wenige, vornehmlich großstädtische Gesundheitsämter haben in zielgruppenspezifische Angebote und aufsuchende Arbeit investiert. Untersuchungen der SPI-Forschung und des Robert-Koch-Instituts bestätigen, dass stattdessen aufgrund von Sparmaßnahmen in den Gesundheitsämtern ein kontinuierlicher Abbau von Angeboten stattfand. Betont werden muss auch: An ernstzunehmendem politischen Willen für den Auf- und Ausbau einer zielgruppenorientierten ProstSchG-Beratung haperte es von Beginn an.

Pandemieprobleme

Die Covid-19-Pandemie hat die Schwachstellen in den Systemen zum Vorschein gebracht, von denen Kritiker*innen ohnehin schon wussten – auch in den Gesundheitsämtern. Die chronische Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die Unterbesetzung in den Fachbereichen der Ämter hatten während der Pandemiebekämpfung Auswirkungen auch auf die Beratungsangebote für Sexarbeitende. Weil möglichst alle verfügbaren Mitarbeitenden in die »Corona-Arbeit« abgezogen wurden, wird die Beratungsarbeit seit März 2020 nur stark eingeschränkt oder gar nicht angeboten. Die wenigen Anlaufstellen, die weiterhin eine zumindest rudimentäre Beratungs- und Diagnostikversorgung ermöglichen können, müssen die Schließungen in den Nachbarkommunen auffangen. Dabei ändert all das nichts an der Tatsache, dass es eine flächendeckende kostenfreie medizinische und gesundheitsberatende Infrastruktur braucht, die Sexarbeitende regelmäßig und bedingungslos in Anspruch nehmen können. Das hier bestehende Nord-Süd-Gefälle muss wie das Stadt-Land-Gefälle endlich aufgelöst und eine Finanzierung bereitgestellt werden, die den Ämtern einen angemessenen Personalschlüssel und die Anschaffung von Gerätschaften und Material ermöglicht; außerdem muss qualifiziertes und nicht prekär beschäftigtes Personal auf den Plan.

Kampf der Ressourcenknappheit!

Ferner braucht es in den Gesundheitsämtern mehr Mitarbeitende, die anti-diskriminierend, realitätsnah, sachdienlich und evidenzbasiert beraten, sichergestellt durch regelmäßige Qualifizierungsangebote, die gleichzeitig qualitätssichernd wirken. Klar ist nämlich: Je besser diese Versorgungs- und Untersuchungsstruktur vor Ort ausgebaut und auch für Sexarbeitende ohne festen Wohnsitz in Deutschland zugänglich ist, desto eher kann hier – bei Bedarf und Wunsch der betroffenen Person, versteht sich – tatsächlich eine aktive Veränderung des Gesundheitszustandes unterstützt werden. Die Herausforderung in den kommenden Jahren wird es sein, eine vernetzte Gesundheitsförderung für Sexarbeitende neu auf- und auszubauen und so ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Da der internationale feministische Kampftag auch ein Aufruf zur Solidarität ist, abschließend ein Aufruf an die Gesundheitsämter: Macht öffentlich, dass die finanziellen und personellen Ressourcen fehlen, um sexarbeitenden Personen gute Präventions- und Beratungsarbeit anzubieten! Allen Sexarbeitenden muss eine ausreichende gesundheitliche Versorgungsstruktur garantiert werden!

Dazu passende Podcast-Folgen:

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