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Oligarchen werden unruhig
Abramowitsch und Co. sehen sich durch Sanktionen der britischen Regierung bedroht
Kensington Palace Gardens, westlich des Londoner Hyde Park gelegen, ist eine ruhige, von Bäumen gesäumte Straße, deren schwerreiche Bewohner sich normalerweise nicht mit den Problemen der wirklichen Welt abgeben. Und sollte dennoch ein Problem auftauchen, dann lässt es sich in der Regel mit einem Griff in die Geldbörse aus dem Weg schaffen. Die Straße wird auch Billionaire’s Row genannt – Milliardärszeile: Es ist die teuerste Straße in Großbritannien. Aber im Haus Nummer 17 herrscht dieser Tage leise Panik. Die Riesenvilla gehört dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch, der seit Beginn des Ukraine-Kriegs offensichtlich um seine Milliarden fürchtet – und alles tut, um sich vor den Sanktionen der britischen Regierung zu schützen.
Am Mittwoch gab er bekannt, dass er den Londoner Fußballclub Chelsea F.C., den er sich 2003 in die Tasche gesteckt hatte, verkaufen werde. Dies liege »im besten Interesse des Clubs«, schrieb Abramowitsch in einer Stellungnahme. Der Erlös aus dem Verkauf werde an eine wohltätige Stiftung überwiesen, die »den Opfern des Kriegs in der Ukraine zugute kommt«. Die 1,5 Milliarden Pfund, die ihm der Verband schulde, werden abgeschrieben. Britische Medien berichten zudem, dass Abramowitsch einen Käufer suche für die Villa in Kensington Palace Gardens – sie soll über 100 Millionen Pfund wert sein, rund 120 Millionen Euro.
Dass der Oligarch sich plötzlich von seinen Londoner Investitionen lossagen will, hat einen einfachen Grund: Als langjähriger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin ist er im Visier der britischen Regierung. »Wir haben ein sehr großes Team, das sich durch unsere Liste von Oligarchen arbeitet«, sagte die britische Außenministerin Liz Truss am Montag. »Wir schauen uns ihre Liegenschaften an, ihre Jachten. Ihre Privatjets sind bereits aus dem Verkehr gezogen worden.« Noch sind erst neun Oligarchen auf der Sanktionsliste Großbritanniens – Abramowitsch steht nicht darauf –, aber laut der Regierung soll die Liste in den kommenden Tagen und Wochen länger werden.
Die »Financial Times« berichtete am Donnerstag, dass Kabinettsminister Michael Gove plane, die britischen Immobilien jener russischen Oligarchen, die dem Kreml nahe stehen, zu beschlagnahmen – und zwar ohne Entschädigung. Die Liegenschaften könnten genutzt werden als Unterkunft für Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor russischer Aggression nach Großbritannien geflohen sind. »Wir werden den Schraubstock am Putin-Regime weiter anziehen«, sagte Boris Johnson am Mittwoch im Unterhaus.
Die Regierung hat am Montag zudem ein Gesetz vorgelegt, das die Transparenz im Immobiliensektor stärken soll. Derzeit können britische Wohnungen über eine Firma gekauft werden, deren Besitzer anonym bleiben; das wird von haufenweise dubiosen Leuten aus aller Welt ausgenutzt, auch aus Russland: Die Anti-Korruptionskampagne Transparency International schätzt, dass Immobilien im Wert von 1,5 Milliarden Pfund im Besitz von russischen Investoren sind, denen Korruption vorgeworfen wird oder die enge Beziehungen zu Putin haben. Das Gesetz über Wirtschaftskriminalität, die sogenannte Economic Crime Bill, soll diesem Missbrauch einen Riegel vorschieben: Demnach würde ein Register angefertigt, das offenlegen würde, wer genau hinter den Firmen steckt.
Allerdings wird der britischen Regierung vorgeworfen, nicht schnell oder entschlossen genug gegen die russischen Oligarchen vorzugehen. Das neue Gesetz zum Beispiel sieht eine 18-monatige Übergangsfrist vor, bis die Offenlegungspflichten greifen – »viel zu lang«, sagt Transparency International: Bis dahin können massenweise Vermögenswerte außer Landes geschafft werden. Auch wird Johnsons Regierung kritisiert, weil die Sanktionen gegen weitere Oligarchen so lange auf sich warten lassen.
Die Labour-Abgeordnete Margaret Hodge sagte im Parlament, dass sie von Russland-Experten eine Liste von 105 Oligarchen erhalten hätte, die Putins Regime stützen. 15 der Individuen seien bereits auf der Sanktionsliste der EU und der USA – »warum um alles in der Welt sind sie nicht auf unserer?«, fragte Hodge. Unter dem parlamentarischen Privileg, das Schutz vor Verleumdungsklagen bietet, zählte sie zehn der Oligarchen auf ihrer Liste auf, gegen die sie Sanktionen fordert. Dazu gehört zum Beispiel Andrej Gurjew, der den Londoner Palast Witanhurst besitzt; dessen Wert wird auf rund 450 Millionen Pfund geschätzt.
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