- Politik
- Equal Pay Day
Lohngerechtigkeit im Schneckentempo
Die geschlechtsspezifische Lohnlücke ist in der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen EU-Ländern immer noch besonders groß
Frauen in Deutschland haben von Beginn des Jahres an bis zu diesem Montag quasi ohne Lohn gearbeitet. Laut Statistischem Bundesamt verdienen sie aktuell im Schnitt 18 Prozent weniger Bruttolohn als Männer. Auf diese geschlechtsspezifische Lohnlücke, auch Gender Pay Gap genannt, wird jedes Jahr symbolisch am Equal Pay Day aufmerksam gemacht. Das Datum des Aktionstages hängt von der Lohnlücke im vergangenen Jahr ab. Je größer sie war, desto später findet er statt. Weltweit wird am Equal Pay Day, der in diesem Jahr in der Bundesrepublik erstmals vor den Internationalen Frauentag gerutscht ist, in 32 Ländern auf diese Gerechtigkeitslücke zwischen den Geschlechtern aufmerksam gemacht. 2021 hatte er hierzulande noch drei Tage später stattgefunden.
In Deutschland wurde der Aktionstag auf Initiative des Vereins Business and Professional Women Germany erstmals im Jahr 2008 veranstaltet. Damals betrug die Lohnlücke noch 22 Prozent, der Aktionstag fand am 21. März statt. Bis zum Jahr 2015 blieb der Verdienstunterschied fast unverändert hoch. Erst seit Einführung des Mindestlohns im Jahr 2015 hat er sich verringert, da Frauen deutlich häufiger als Männer im Niedriglohnsektor arbeiten. Genau dort stiegen die Löhne nun deutlich an.
Das Ziel der Bundesregierung, die Lohnlücke bis zum Jahr 2030 auf zehn Prozent zu senken, ist jedoch in weiter Ferne. Wenn die Fortschritte weiterhin so gering ausfallen wie bisher, wird das Ziel nicht erreicht werden. Auch innerhalb der Europäischen Union gehört Deutschland in Sachen Lohngleichheit weiter zu den Schlusslichtern. Nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat liegt der Gender Pay Gap im Schnitt der Mitgliedsstaaten bei grade mal 14 Prozent.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Ursachen für den ungleichen Lohn sind vielfältig. So arbeiten Frauen häufiger in sozialen Dienstleistungsberufen mit geringem Gehalt und fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten. Sozialverbände, Gewerkschaften und die Kampagne Equal Pay Day fordern daher unter anderem eine Aufwertung dieser Berufe, die sich in angemessener Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen äußern müsse.
Aber für den Lohnunterschied ist nicht nur die geringe Wertschätzung von Berufen, in denen großteils Frauen arbeiten ursächlich. Denn auch wenn eine Frau auf derselben Position, im selben Betrieb wie ein Mann arbeitet, erhält sie im Durchschnitt weniger Geld. Zudem spielen familienbedingte Unterbrechungen eine wichtige Rolle.
Frauen reduzieren öfter ihre Arbeitszeit
Frauen übernehmen immer noch häufiger die Kinderbetreuung oder auch die Pflege von Angehörigen und unterbrechen oder reduzieren dafür ihre Erwerbsarbeit. »Frauen legen ab der Geburt des ersten Kindes längere Pausen vom Job ein und arbeiten fortan häufiger in Teilzeit. Die Folge ist, dass Männer mit ihren Stundenlöhnen insbesondere im Alter von 30 bis 40 Jahren davonziehen«, erklärte Annekatrin Schrenker vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vergangene Woche anlässlich der Veröffentlichung einer Studie.
Darin kommt das Institut zu dem Ergebnis, dass der Gender Pay Gap nicht in allen Altersgruppen gesunken ist. So sank er bei Frauen, die jünger als 30 Jahre sind, von durchschnittlich 15 Prozent in den Jahren 1990 bis 1999 auf acht Prozent in den Jahren 2010 bis 2019. Dagegen verharrte er bei den über 40-Jährigen bei deutlich über 20 Prozent. »Daran zeigt sich, wie einschneidend die Phase der Familiengründung für die Erwerbsbiografien und damit die Gehälter vieler Frauen nach wie vor ist«, so Schrenker.
Aber nicht nur bei den Altersgruppen gibt es unterschiedliche Entwicklungen der geschlechtsspezifischen Lohnlücke. Auch regional sind die Differenzen erheblich. Laut Statistischem Bundesamt ist der Gender Pay Gap in Westdeutschland und Berlin mit 20 Prozent viel höher, als in Ostdeutschland mit lediglich sechs Prozent. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Lohnniveau in Ostdeutschland insgesamt noch immer um rund ein Fünftel niedriger ist als im Westen.
Zudem gibt es Unterschiede zwischen den Branchen. Am geringsten fällt die Lohnlücke in den Wirtschaftszweigen Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung aus. Hier liegt sie bei nur zwei Prozent. Auch im Bereich Verkehr, Lagerei und Gastgewerbe ist der Verdienstunterschied gering. Am höchsten ist der Gender Pay Gap demnach mit 31 Prozent in den Bereichen Kunst, Unterhaltung und Erholung. Aber auch in freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, im Gesundheits- und Sozialwesen den Banken und Versicherungen sowie in dem Bereich Information und Kommunikation liegt die Lohnlücke jeweils bei über 20 Prozent.
Generell ist das Verdienstgefälle im öffentlichen Bereich im Schnitt um 14 Prozent geringer als in privatwirtschaftlichen Unternehmen. Zugleich gibt es keinen einzigen Bereich in Wirtschaft und öffentlichem Dienst, in dem Frauen mehr verdienen als Männer.
»Wir brauchen endlich gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit«, fordert Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Es sei ein Skandal, »dass diese alte Forderung in unserem reichen Land auch im Jahr 2022 immer noch nicht erfüllt ist«. Das Bündnis Sorgearbeit fair teilen bewertet besonders die von der Ampelkoalition geplante Anhebung der Obergrenze für abgabenfreie geringfügige Beschäftigung als hinderlich für Lohngerechtigkeit. Sie laufe der »eigenständigen Existenzsicherung von Frauen eklatant zuwider«, da zwei Drittel der Menschen in Minijobs Frauen seien.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!