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Operation Beobachtungsfall

Kölner Verwaltungsgericht verhandelt über Klagen der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz

  • Robert D. Meyer, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

Köln war für die AfD bisher kein angenehmes Pflaster. Als die Partei hier 2017 einen Bundesparteitag abhielt, stellten sich dem Delegiertentreffen mehr als zehntausend Menschen entgegen. Die Rheinmetropole befand sich damals ein Wochenende lang im Ausnahmezustand - es waren die größten Proteste, die jemals gegen einen AfD-Parteitag stattfanden. Köln war auch der Anfang vom Ende der damaligen Parteivorsitzenden Frauke Petry, die auf dem Bundesparteitag ein letztes Mal erfolglos versuchte, jene völkischen Geister einzufangen, die sie selbst beschworen hatte.

Fünf Jahre später zurück am Rhein muss die AfD mit keinen großen Protesten rechnen, aber: Im Kristallsaal des Kölner Kongresszentrums geht es seit Dienstag um nicht weniger als die Zukunft der Partei. Dort, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rheinufer, entscheidet das Kölner Verwaltungsgericht über mehrere Klagen der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Weil das öffentliche Interesse riesig ist, das Justizgebäude am Appellhofplatz aber nicht über die coronakonformen Kapazitäten verfügt, verlegten die Richter*innen den auf zwei Verhandlungstage angelegten Prozess in die Kongresshalle.

Für die AfD geht es dabei um viel. Die Partei und ihr Jugendverband Junge Alternative (JA) haben gleich vier Verfahren gegen den Inlandsgeheimdienst angestrengt. Eine Klage ist dabei heikler als die nächste.

Nur auf den ersten Blick harmlos wirkt die Klage mit dem Ziel, dass BfV möge es unterlassen zu behaupten, dem 2020 formal aufgelösten völkisch-nationalistisch Flügel hätten 7000 Mitglieder angehört. Was sich nach Zahlenspielerei anhört, ist für die anderen Verfahren allerdings ebenfalls von Relevanz. Erachtet das Verwaltungsgericht die Quellen für die Behauptung des Verfassungsschutzes für ausreichend, wäre somit auch der Einfluss des Flügels auf die Gesamtpartei mit einer bestätigten Zahl umrissen. Konkret ließe sich damit mehr als ein Fünftel der AfD-Mitglieder direkt dem früheren völkisch-nationalistischen Zusammenschluss zuordnen, dessen Einfluss auf die Partei allerdings noch erheblich größer ist als es diese Zahl annehmen lässt.

Eine zweite Klage beschäftigt sich ebenfalls mit dem Flügel. Die AfD will dessen Einstufung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung untersagen. Zu dieser Einschätzung kam das Bundesamt für Verfassungsschutz im März 2020, seitdem dürfen dessen Mitglieder mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass sich der Flügel Ende April des gleichen Jahres auflöste, schließlich sind dessen Anhänger*innen weiterhin politisch in der AfD aktiv.

In diesem Fall hat das BfV am Dienstag auch mit Äußerungen des früheren Parteichefs Jörg Meuthen argumentiert. Meuthen, der aus der Partei ausgetreten war, habe selbst gesagt, dass viele Parteimitglieder durch eine Verachtung für Andersdenkende geprägt seien. Der Austritt zeige, dass sich der sogenannte Flügel innerhalb der Partei mehr und mehr durchsetze. Bestrebungen, den Einfluss des Flügels zu begrenzen, seien gescheitert. Zudem stellt der Verfassungsschutz unter anderem eine »fortwährende Agitation gegen Muslime« und die Darstellung von Migranten als »Invasoren« fest. Verbreitet sei die Auffassung, dass die Bevölkerung Deutschlands in ihrer derzeitigen ethnischen Zusammensetzung erhalten werden müsse.

Die AfD bestreitet die Vorwürfe. Die heutigen Aussagen ihres Ex-Vorsitzenden seien »unglaubwürdig«, da er von eigenen Interessen geleitet werde. Gegen einzelne Extremisten habe die AfD Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Der Anwalt der AfD, Christian Conrad, betonte: »Den Flügel gibt es nicht mehr.« Er habe sich aufgelöst. Der Anwalt des Verfassungsschutzes, Wolfgang Roth, wiederum erklärte, ob das so sei, werde derzeit noch geprüft. Als Ideologie lebe der Flügel in der AfD aber in jedem Fall fort und spiele dort eine entscheidende Rolle.

Bei der dritten Klage geht es um die Einstufung der Jungen Alternative als sogenannter Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Diese Einschätzung traf der oberste deutsche Inlandsgeheimdienst im Januar 2019.

Die mit Abstand größte Bedeutung hat allerdings jenes Verfahren, bei dem es um die Gesamtpartei geht. Das BfV stufte die AfD Anfang 2021 nach zweijähriger Analyse vom Prüffall zum rechtsextremen Verdachtsfall hoch, weil der Inlandsgeheimdienst »gewichtige Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen« sah. Hat die Einschätzung nun juristischen Bestand, würde die AfD fortan als Verdachtsfall gelten und dürfte mit allen zur Verfügung stehenden nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden. Das hieße unter anderem Telefonüberwachung sowie den möglichen Einsatz von V-Leuten. Aktuell darf das BfV trotz seiner Einschätzung nicht davon Gebrauch machen, weil ihm das Kölner Verwaltungsgericht aufgrund von Verstößen gegen Abmachungen im laufenden Verfahren die Einstufung als Verdachtsfall vorübergehend verboten hat.

Unklar ist, ob das Kölner Verwaltungsgericht bis Mittwoch in allen vier zu verhandelnden Klagen Urteile fällt, gelten die Entscheidungen doch aufgrund ihrer Tragweite als äußerst komplex. Möglich ist, dass die Richter*innen sogar erst deutlich später einen Teil der Urteile verkünden, wie der Vorsitzende Richter am Dienstag in der Verhandlung erklärte. Mit dpa
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