Systematisch benachteiligt

Mit der Gleichberechtigung geht es in Japan nur langsam voran

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.
Studentinnen besuchen eine Jobmesse in Japan.
Studentinnen besuchen eine Jobmesse in Japan.

Die Nachrichten, die Ende Februar von den japanischen Medizinuniversitäten kamen, ließen aufatmen. »Es ist jetzt herausgekommen, dass die Annahmequote nicht nur für Frauen niedrig ist«, sagte ein offenbar zufriedener Regierungsvertreter gegenüber der Nachrichtenagentur Kyoto. Erstmals seit Beginn offizieller Statistiken im Jahr 2013 haben weibliche Bewerberinnen landesweit bei den Aufnahmetests für das Medizinstudium besser abgeschnitten als Männer. In Japan sorgte die Notiz für Schlagzeilen.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Zuvor war 2018 öffentlich geworden, dass mehrere der führenden Hochschulen bei ihren Tests Frauen systematisch benachteiligt hatten. Univertreter rechtfertigten dies damit, dass in Japan akuter Arbeitskräftemangel herrsche und Frauen wegen ihrer typischen Aufgaben im Haushalt oft jung aus dem Job ausschieden. Man versprach sich von männlichen Studienbewerbern mehr für das Land als von weiblichen.

Im Zusammenhang mit Sexismus auf dem Arbeitsmarkt in Japan war der Fall nur einer von vielen über die letzten Jahre. In kaum einem Industriestaat werden Frauen so stark diskriminiert wie hier. Zwar sind sie durchschnittlich keineswegs schlechter ausgebildet als Männer, tendenziell trifft eher das Gegenteil zu. Doch Arbeitgeber investieren weniger Geld in die Weiterbildung von Frauen, geben ihnen häufiger nur befristete Arbeitsverträge und befördern sie deutlich seltener.

Im Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums in Davos, der den Stand der Gleichstellung in den Bereichen Bildung und Gesundheit sowie die Teilhabe von Frauen in Politik und Wirtschaft vergleicht, steht Japan derzeit auf Platz 120 von 156. Besonders schlecht schneidet das Land auf dem Arbeitsmarkt ab. Eine Umfrage aus dem Jahr 2018 zeigte, dass kaum 22 Prozent der Ärzteschaft im Land weiblich waren. Der Durchschnitt der Industrieländer hatte 2015 bei 46 Prozent gelegen.

Ein wichtiger Grund für die starke Ungleichheit sind die traditionellen Erwartungen an die Geschlechter. Während es über die letzten Generationen überwiegend die Männer waren, die das Geld verdienten, sorgten die Frauen für Haushalt und Kinder.

Mit dem Wirtschaftswachstum in den Nachkriegsjahrzehnten festigte sich diese Tendenz. Männern wurden oft lebenslange Arbeitsverträge angeboten, deren Gehälter zumindest bis zu einem Börsencrash im Jahr 1990 die ganze Familie ernähren konnten. Frauen nahmen eher Teilzeitjobs an.

Bis heute orientiert sich die Politik an diesem gedanklich längst überholten Modell. Im internationalen Vergleich fällt Japan sogar zurück: Im Jahr 2015 hatte das ostasiatische Land noch auf Platz 101 des Gender Gap Report gelegen.

Daraus aber abzuleiten, dass sich in Japan nichts tut, wäre falsch. Das zeigt nicht nur die Entwicklung bei den Aufnahmetests für Medizinstudien. Seit Jahren geloben Regierungen, Wirtschaftsverbände und Konzerne, Arbeitsplätze für Frauen geeigneter zu machen - etwa durch bessere Kinderbetreuungsangebote und Unterstützung in der Schwangerschaft. Schon 2003 hatte die Regierung angekündigt, bis zum Jahr 2020 sollten 30 Prozent aller Führungsposten mit Frauen besetzt sein. Bis heute sind nicht einmal 20 Prozent erreicht. Aber gestiegen ist der Anteil über die Jahre dennoch.

Der Trend könnte sich beschleunigen. Als Tokio im vergangenen Jahr die Olympischen Spiele ausrichtete, wurde landesweit über strukturellen Sexismus diskutiert. Yoshiro Mori, ehemaliger Premierminister und Vorsitzender des olympischen Organisationskomitees, musste seinen Posten räumen, nachdem er gesagt hatte, Frauen könnten sich in Meetings nicht kurz fassen.

Neben steigendem sozialem Druck wachsen die Erwartungen von außen. Goldman Sachs und andere Großbanken haben sich vorgenommen, dass ihre Vertreter in Aufsichtsräten den Frauenanteil in Unternehmen fördern sollen. Die Tokioter Börse belohnt in ihren Kategorien von Unternehmen mittlerweile jene mit einem höheren Frauenanteil in den Führungsetagen. Keidanren, der mächtigste Wirtschaftsverband des Landes, erklärte 2021, Gleichberechtigung sei in Unternehmen natürlich.

Auch ökonomisch ist Gleichstellung für die Firmen sinnvoll - nicht nur, weil divers aufgestellte Unternehmen oft erfolgreicher sind. Längst geht es auch um schlichte Notwendigkeit. In Japans mit seiner alternden und schrumpfenden Bevölkerung mangelt es an Arbeitskräften. Weil auch die Anreize zur Einwanderung nur zögerlich ausgebaut werden und die Automatisierung längst nicht alle Arbeitsprozesse erreicht, ist man zusehends auf Frauen angewiesen. Weiblichen Studierenden werden gute Jobs in Aussicht gestellt. Doch ist dies eher eine langfristige Entwicklung. In der Pandemie hat sich die Geschlechtergleichstellung in vielerlei Hinsicht zunächst verschlechtert. Als Hotels und Restaurants schließen mussten, verloren vor allem Frauen ihre Stellen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.