- Berlin
- Betongold
Vorwärts in die Vergangenheit
Stadtentwicklungssenator leitet Bebauungsplanverfahren für Karstadt am Hermannplatz ein
»Der Aufstellungsbeschluss ist von mir in der vergangenen Woche gefasst worden«, sagt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) am Montagmorgen bei der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus. Er sei am 9. März von ihm unterzeichnet worden, so Geisel. Sein Amtsvorgänger Sebastian Scheel (Linke) hat dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im vergangenen Jahr die Zuständigkeit entzogen. Es geht um die Baupläne der vom österreichischen Milliardär René Benko gegründeten Signa Group für das Karstadt-Areal am Hermannplatz. »Wir kommen endlich vom Planen ins Handeln. Die jahrelange Diskussion über die Zukunft des Kaufhausstandorts tritt jetzt in ihre rechtsverbindliche Phase ein«, lässt der Senator in der wenige Minuten später versendeten Pressemitteilung wissen.
Das gefällt beileibe nicht allen. Am Morgen, kurz vor Beginn der Ausschusssitzung übergab die Initiative Hermannplatz den stadtentwicklungspolitischen Sprecher*innen der drei Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und Linke 6000 Unterschriften von Menschen, die sich gegen die Neubaupläne wenden. »Die Öffentlichkeit hat keine Transparenz und keine Informationen darüber, inwieweit Senator Geisel auf die Wünsche Signas eingehen wird«, heißt es in einer Mitteilung der Initiative zu der Unterschriftenübergabe. Sie gehe davon aus, »dass die Maximalwünsche von Signa erfüllt werden, da sich die SPD und vor allem die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey seit dem ersten Tag mit Begeisterung für das Signa-Projekt ausgesprochen haben«, heißt es weiter.
Diese Vermutung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Bei der Vorstellung des Projektstands im Ausschuss spricht Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) lange und offensichtlich angetan von der künftigen »Nutzungsvielfalt«, der »öffentlichen Dachterrasse ohne Konsumzwang«, von den geänderten Neubauplänen, bei denen das Beton-Tragwerk des Bestandsgebäudes erhalten wird und so 70 Prozent CO2-Emissionen im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen eingespart werden. »Die Hofstruktur mit öffentlicher Nutzung und Durchwegung - das wird eine richtige Stadterweiterung«, kommt Kahlfeldt aus dem Schwärmen kaum noch heraus. Öffentliches Lockmittel für die Signa-Pläne ist vor allem die Wiederherstellung der ikonischen Anmutung des Gebäudes mit zwei, inklusive Lichtsäulen, 71 Meter hohen Türmen.
Bei den Koalitionsfraktionen von Grünen und Linke kommt das Projekt nicht so wirklich gut an. »Es ist schon relativ auffällig, dass wir eine relativ kleinteilige Erläuterung bekommen haben über Baustoffe. Aber über die Planerfordernis wurde sehr wenig diskutiert«, entgegnet Linke-Stadtentwicklungsexpertin Katalin Gennburg. Denn Signa wolle hauptsächlich einen »Bürostandort auf dem Korpus eines Kaufhauses« bauen, sagt sie.
Von den 84 000 Quadratmetern geplanter Geschossfläche sollen tatsächlich 45 000 Büroflächen werden. Außerdem sind laut Präsentation 23 400 Quadratmeter Verkaufsfläche, 3800 Quadratmeter Gastronomie, 3200 Quadratmeter Dachterrasse, 4100 Quadratmeter »bezahlbarer Wohnraum« sowie 4500 Quadratmeter Fläche »für Gemeinwohl« vorgesehen.
»Wir sehen das Signa-Vorhaben äußerst problematisch. Es sind massive Verdrängungsprozesse zu befürchten«, sagt die Linke-Abgeordnete Elif Eralp. Beide Bezirke hätten sich ablehnend gegenüber dem Projekt geäußert. Tatsächlich haben die zuständigen Fachämter in Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg nach Bekanntwerden der Signa-Pläne 2019 negative Stellungnahmen abgegeben. Eralp macht darauf aufmerksam, dass nur zehn Prozent der Gebäudefläche für gemeinwohlorientierte Nutzung wie einen Kindergarten, Vereine sowie bezahlbares Wohnen genutzt werden soll. Unterkommen sollen sie in den Altbauteilen an der Hasenheide; einem erhalten gebliebenen Fragment des Einkaufspalastes der 1920er Jahre sowie einem noch zwei Jahrzehnte älteren Wohnhaus - in dem es bereits Wohnungen gibt. »Die Größe der Fläche für Büroräume ist sehr, sehr hoch«, merkt dann auch die SPD-Mietenexpertin Sevim Aydin an.
»Es ist so, dass Investoren kommen, die sagen: Eure Armut kotzt uns an«, fasst Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlefeld den Eindruck zusammen, den viele Anwohner*innen von den Plänen haben. Laut Zeitplan des Senats soll Investor Signa in rund zweieinhalb Jahren mit Baurecht rechnen. Ohne eine parlamentarische Mehrheit für den nötigen Bebauungsplan wird das nichts. »Ich sehe einen Monat frühzeitige Beteiligung; das reicht auf keinen Fall entsprechend den Leitlinien, die wir entwickelt haben«, kommentiert Kahlefeld, die Sprecherin für Beteiligung ihrer Fraktion ist. »Offensichtlich ist das Vertrauen in den Plan, diese Disney-Fassade, die Signa erpresst hat mit der Drohung, Standorte zu schließen, nicht so groß«, glaubt sie den Grund für die in ihren Augen unterbelichtete Beteiligung zu kennen.
»Es bleibt fraglich, wie die von Signa gewünschte Baumasse am Hermannplatz städtebaulich verträglich funktionieren kann und sich in die Umgebung integrieren soll«, kommentiert Grünen-Stadtentwicklungsexperte Julian Schwarze das Vorhaben. »Das Bebauungsplanverfahren muss deshalb offen geführt werden, sodass auch Änderungen an der Baumasse weiterhin möglich sind«, fordert er.
Berlin bekenne sich zu der 2020 vom Senat mit Signa geschlossenen Absichtserklärung, erklärt Senator Geisel im Ausschuss. Im Tausch gegen den längeren Erhalt schließungsbedrohter Kaufhausfilialen ist die Unterstützung bei Bauprojekten am Alexanderplatz, Hermannplatz und Kurfürstendamm zugesagt worden. »Alle drei Koalitionsparteien haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt«, so Geisel weiter. Es gehe um die Frage, wie wir die lokalen Zentren, die wir in der Stadt haben, halten. »Diese Planung haben wir vor Augen, unabhängig davon, wie sympathisch der Eigentümer ist«, unterstreicht Geisel.
»Die Initiative Hermannplatz, viele weitere Initiativen und die Tausenden Unterzeichnenden sehen in diesem Vorhaben eine Zerstörung unserer gewachsenen Kieze und Nachbarschaften«, heißt es in der Erklärung zur Unterschriftenübergabe. Für die Initiative ist klar: »Der Planungsprozess am Hermannplatz muss gestoppt werden!«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.