Lasst uns in Frieden (14): Der Tag wird kommen

Vermeintlich progressive Ziele können nicht über das verbrechnerische Wesen von Kriegen hinwegtäuschen. Karl Liebknecht wie Bertolt Brecht wussten das

  • Marlon Grohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Ukraine-Krieg – Lasst uns in Frieden (14): Der Tag wird kommen

Auf der vorletzten Titelseite der Wochenzeitung »Die Zeit« hieß es: »Wie können wir helfen? Reichen Waffen, Sanktionen und Solidarität, um die Ukraine zu retten?« Wo impliziert wird, all das reiche noch nicht, kann es nur um eine Konsequenz gehen: dass die BRD selbst Krieg gegen Russland führt. Das vom restlichen deutschen Journalismus abgespaltene Unbewusste in Form der »Bild«-Zeitung hat dann kurz darauf den Packen auf sich genommen, als der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner auf deren Website der Weltöffentlichkeit mitteilte, ein dritter Weltkrieg sei zu riskieren.

Die Neigung deutscher Nato-Versteher, die sich oder ihre Nation nun von Russland angegriffen fühlen, dessen herrschende Klasse die Ukraine angreift, kennt man als eine Art politisches Stockholm-Syndrom: Um zu verdrängen, dass, wie Karl Liebknecht es formulierte, der Hauptfeind im eigenen Land steht und Bourgeoisie heißt, sind die Kriegsmeldungen auch Schwachen, Nichtbesitzenden und Linken hierzulande Anlass, sich mit ihrem Feind zu identifizieren und den eigentlich ihm geltenden Hass auf Russland umzulenken.

Sie stehen damit in einer Tradition, die ihnen wohl selbst nicht so klar ist: nämlich der, von Deutschland aus Revolutionen ausgerechnet in Russland anzuzetteln und sich danach über Verheerungen zu empören. 1917 spendierte der deutsche Kaiser den Bolschewiki beträchtliche Summen für deren Revolution, um das Russische Reich im Inneren zu destabilisieren - eingehandelt haben die Deutschen sich damit die Sowjetunion. 1990 dann zogen Kohl und Genscher Michail Gorbatschow über den Tisch - hier war die Destabilisierung nur Nebenprodukt der BRD-Osterweiterung und brachte zunächst Jelzin und dann den jetzt so verhassten Putin an die Macht. Heute hätten die Geostrategen von »Die Zeit« über »Bild« bis hin zur CDU gerne wieder einen »Regime Change« in Moskau; manche rufen dazu die russische Bevölkerung zum Aufstand, andere wiederum hochrangige Militärs zum Mord an Putin auf. Es bleibt also spannend, wie hoch die Rechnung für Deutschland diesmal ausfällt.

»Da wird ein Tag sein, wo ihr dies bereut / Ihr Lauten, die ihr schreit und die ihr schweigt, ihr Stillen! / Und käm kein solcher Tag, ich weinte um euch heut / Und wär es nur um euer Kinder willen«, heißt es in Bertolt Brechts »Deutscher Kriegsfibel II«, geschrieben zu Beginn der 1940er Jahre im Exil. Dass, wenn in solch lautes Kriegsgeschrei neben Politik und Militär auch die sonst so Stillen, ja die Zivilgesellschaft einstimmt, der Krieg - auch in Deutschland - bereits ein ziviler ist, zeigen die zahlreichen Anfeindungen gegen hier lebende Russen.

Brecht lehrt, dass man sich nicht früh genug gegen deutsche Kriegsabsichten einsetzen kann, auch wenn noch so viele nationale Parolen - und seien es bunte, demokratische - im Umlauf sind, ihn zu rechtfertigen. Auch wenn sich das Nationale den Anstrich von Progressivität oder Befreiungsnationalismus gibt, ändert das nichts an der Kriegslogik, die, einmal bedient, nicht mehr zu stoppen ist. Sowohl Liebknecht als auch Brecht wussten das, weil sie es am eigenen Leibe erfahren mussten.

Zu hoffen ist, dass es heute zumindest noch diejenigen ahnen, auf die es im Ernstfall ankommt. Bertolt Brechts wie Karl Liebknechts Fundament waren marxistische Kategorien. Wer heute noch weiß, was das bedeutet, redet anders über den Krieg in der Ukraine, als es jetzt die meisten tun.

Krieg in Europa, an dem sich mittelbar auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt, bedeutet: Man betrachtet die Bilder, Parolen, Behauptungen und Begründungen, die man bereits kennt, erinnert sich an das Wissen über die Ursachen der beiden von Deutschland entfachten Weltkriege und bemerkt, dass jetzt viel zu schnell real geworden ist, was man vorher nur als Gedanken, aus Büchern, Liedern, Filmen kannte.

Als Optimist könnte man denken, es hätten all die bundesrepublikanischen Aufklärungsversuche über die deutsche Geschichte und die Ursachen ihrer Barbarei nicht gefruchtet. Als Pessimist fürchtet man, dass genau das, was man hierzulande gerade erleben kann, deren Frucht ist.

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