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Sexismus macht im Krieg keine Pause
In Kriegszeiten wird versucht, feministisches Engagement als unwichtig darzustellen. Doch Sexismus macht während eines Krieges keine Pause, kommentiert Sibel Schick. Im Gegenteil
Um den feministischen Kampftag am 8. März herum wurden Vorwürfe gegen Feminist*innen geäußert, Russlands Krieg gegen die Ukraine sei wichtiger als Feminismus. Das ist nicht nur zu kurz gedacht, sondern auch antifeministisch.
2015 starteten wir als eine Gruppe Feminist*innen eine Petition und forderten den ehemaligen türkischen Regierungssprecher Bülent Arinç auf, aufgrund seiner sexistischen Äußerungen gegenüber der HDP-Abgeordneten Nursel Aydoğan während einer parlamentarischen Debatte Frauen um Entschuldigung zu bitten. Das war zu jener Zeit, in der in kurdischen Städten des Landes ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt wurde. Als ich die Petition auf meinem Facebook-Account teilte, dauerte es nicht lange, bis ein Freund einen wütenden Kommentar unter den Post schrieb: »Schämt ihr euch nicht, euch mit so belanglosen Themen zu beschäftigen? Vor allem während eines Krieges.«
Dabei ging es bei der besagten Debatte genau darum, dass Menschen starben. Aydoğan war eine oppositionelle linke Politikerin. Sie positionierte sich gegen den Krieg und wurde mit sexistischen Anmerkungen zum Schweigen gebracht. Unsere Aktion war also nicht losgelöst von dem Angriff auf die kurdische Bevölkerung. Das hielt meinen Freund aber nicht davon ab, mir Kommentar für Kommentar zu erklären, weswegen die Petition fehl am Platz sei. Als er irgendwann sagte, »Kinder verhungern in Afrika«, hörte ich auf zu antworten.
Diese Vorwürfe werden permanent geäußert - nicht nur, wenn ein Krieg tobt: in Kommentarspalten, unter Tweets, auf Veranstaltungen. Politische Themen für sich zu hierarchisieren, ist erst mal natürlich. Nicht alle Menschen müssen dieselben Prioritäten haben. Bei derart rhetorischen Fragen wie »Schämt ihr euch nicht?« oder »Habt ihr nicht wichtigere Probleme?« geht es nicht darum zu sagen, dass ein Thema für mich persönlich bedeutungslos sei. Wenn mir etwas egal ist, dann ziehe ich halt weiter.
Hier werden politische Themen gegeneinander ausgespielt, um Menschen, die marginalisierte Ansichten vertreten, zu beschämen und so mundtot zu machen. Es wird behauptet, dass Krieg und Sexismus nichts miteinander zu tun haben. Feministisches Engagement wird als Nebelkerze diffamiert, und dafür werden sterbende Menschen eiskalt instrumentalisiert. Das ist Antifeminismus - egal, aus welcher Richtung er kommt.
Sexismus, Misogynie und alle Gewaltarten, die daraus resultieren, finden auch während eines Krieges statt, wenn nicht sogar verstärkt. Eine kurze Übersicht, was seit wenigen Wochen passiert ist: In den USA kriminalisiert ein Bundesland nach dem anderen trans Kinder, Jugendliche, ihre Familien und Mediziner*innen, die sie behandeln. In Texas wird eine Klage gegen das Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche de facto verbietet, zurückgewiesen. In Deutschland wird der feministische Kampftag als Anlass genommen, um über Genitalien von trans Menschen zu diskutieren, sie aus feministischen Demonstrationen auszuschließen. Eine trans Frau in einem Männergefängnis in Hamburg erhängt sich. Joanne K. Rowling, Autorin der berühmten »Harry Potter«-Buchreihe, verbreitet dämonisierende Lügen über trans Menschen vor einem Millionenpublikum. Ein deutsches Magazin, das sich als feministisch versteht, führt eine Kampagne gegen die Selbstbestimmung von trans Menschen und ihre gesetzliche Gleichstellung. Menschenhändler versuchen, Frauen, die aus der Ukraine geflohen sind, anzulocken, um sie zu entführen und auszubeuten. Misogyne Gewalt und Sexismus machen also keine Pause während Russlands Krieg. Warum sollen Feminist*innen Pause machen?
Der Transgender-Golem - Die lange Tradition der Transfeindlichkeit
Wie wir Identitäten konstruieren und verstehen, hat etwas damit zu tun, wie wir die Welt begreifen und andere Menschen behandeln. Krieg ist ein Thema, mit dem sich auch der Feminismus auseinandersetzt. Für jede Krise können feministische Lösungen formuliert werden; auch Initiativen für Frieden können feministisch sein. Während Krisen neue Höhen erreichen, laufen Feminist*innen Gefahr, sich selbst zu bremsen. Sei es, weil sie die Vorwürfe selbst verinnerlichen, oder weil sie Gegenwind vermeiden möchten. Deshalb ist es umso wichtiger, sich immer wieder daran zu erinnern, dass es beim Feminismus ebenso um Leben und Tod geht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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