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»Impulsgeber für Stabilität in Afrika«
Der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby über den Besuch mit Steinmeier in seinem Herkunftsland Senegal
Während in Mali und in umliegenden Staaten des Senegals Putsche stattgefunden haben in den vergangenen Monaten, ist der Senegal weiterhin politisch stabil. Wie erklären Sie sich das?
Der Senegal hat eine feste Tradition der Demokratie. Natürlich kann man als Europäer immer wieder sagen: Im Land der Blinden ist der Einäugige der König (lacht). Dennoch war der Senegal von Anbeginn der Republik, also nach der Unabhängigkeit, immer eine relativ stabile Demokratie. Wahlen wurden nicht verschoben, haben regelmäßig stattgefunden. Es gibt kaum ethnische Konflikte, da man sich in Senegal daran hält, keine ethnischen oder religiösen Partien zu zulassen. Der Staatsapparat und das Zusammenleben der Ethnien funktioniert weiterhin gut.
Senegal ist zunehmend eine starke Kraft in ECOWAS (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, Anm. d. Red.). Auch die Tatsache, dass Präsident Macky Sall der Afrikanischen Union derzeit vorsteht, ist wichtigSenegal ist auf jeden Fall ein kontinuierlich stabiles Land. Der Senegal kann als Vorbild in der Region dienen. Es braucht Stabilität und Sicherheit in der gesamten Region. Der Senegal geht hier voran.
Dennoch gab es auch immer wieder Unruhen im Land: Wie hat sich der Senegal unter Präsident Macky Sall, der eine dritte Amtszeit im Jahre 2024 anstrebt, verändert?
Unruhen gibt es immer wieder, etwa im März 2021. Das hat auch mit der Unzufriedenheit der Jugend zu tun. 60 Prozent der Menschen im Senegal sind unter 20 Jahren alt, habe ich kürzlich gelesen. Das ist ein Potenzial, aber auch eine Zeitbombe, denn wenn die Konzepte zur Eingliederung dieser Jugendlichen nicht zufriedenstellend sind, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen und womöglich Unruhen. Es gibt Bemühungen, aber offensichtlich sind diese nicht so gut. Im Bereich Bildung und Arbeitsmarkt ist, das ist Fakt, noch jede Menge Luft nach oben.
Die Pandemie hat auch ihren Teil zu den Unruhen beigetragen. Die coronabedingten Einschränkungen haben dazu geführt, dass der informelle Arbeitssektor - 90 Prozent der Senegalesen arbeiten ohne Arbeitsverträge informell - praktisch zum Erliegen gekommen ist. Das heißt, dass viele Menschen kein Geld verdienen konnten und dadurch auch die Familie nicht ernährt werden konnte. Wer nicht raus gehen durfte, konnte auch nichts verdienen. Wegen der Maßnahmen der Pandemie kam es dann zu Unruhen, da die Menschen Existenzängste hatten.
Was hat Sall auf der Habenseite, wenn es mit ausreichend Perspektiven für die Jugend nicht geklappt hat?
Positiv ist, dass in puncto Infrastruktur sehr viel investiert wurde. Das hat schon unter Abdoulaye Wade mit dem Bau von Autobahnen angefangen und zieht sich weiter unter Sall mit der Inbetriebnahme der modernsten Eisenbahnverbindung Westafrikas bis hin zum Bau eines neuen Hafens bei Dakar. Auch der neue Flughafen und das kürzlich eröffnete neue Stadion sind zu nennen. Es hat sich viel getan.
Nach wie vor ist die Armut und Arbeitslosigkeit allgegenwärtig. Sall hatte bei seiner ersten Wahl 2012 versprochen, in seiner Amtszeit 500 000 Arbeitsplätze zu schaffen und die Preise für Grundnahrungsmittel zu senken. Hat er tatsächlich »eine neue Ära einläuten« können?
Eine neue Ära in Bezug auf Investitionen auf alle Fälle. Auch mit der verstärkten Beteiligung am gesellschaftlichen Leben von ethnischen Minderheiten ist eine neue Ära eingeläutet worden. Ich gehöre zu einer Minderheit im Senegal. Seit meiner Kindheit wurde die Überdominanz des Wolofs, der meist gesprochenen Sprache im Land, immer wieder kritisiert. Leider spiegelt sich das immer noch im staatlichen Fernsehen wider. Da ist Kritik angebracht, da hier sehr einseitig berichtet wird. Die Vielfalt der Medienlandschaft ist aber insgesamt gut, wie ich finde. Was ich auch sehe, ist, dass auch in anderen Sprachen, die im Senegal gesprochen werden, immer häufiger Informationen verbreitet werden. Auch wäre es schön, wenn die staatlichen Medien etwas freier und unabhängiger von der Regierung wären nach unserer europäischen Definition. Es ist insgesamt aber noch viel zu tun, um den Senegal »zukunftsfest« zu machen, wie es etwa der sogenannte Aufbruchsplan 2030 für das Land vorsieht.
Wie beurteilen Sie den Einfluss Frankreichs und wie sehen Sie das europäische Engagement rund um die Sahelzone?
Das Engagement der Franzosen muss kritisch betrachtet werden. Wenn man sieht, dass bei Demonstrationen in Mali oder Burkina Faso die französische Fahne zerrissen und die russische Fahne hochgehalten wird, dann ist Vertrauen abhanden gekommen. Das müssen die europäischen Partner kritisch reflektieren und diskutieren. Das Engagement dort ist dennoch wichtig, um den Terrorismus zu bekämpfen.
Sollte Ihrer Ansicht nach die deutsche Beteiligung an der EU-Mission und an der UN-Mission in Mali verlängert werden?
Das Engagement muss weiter gehen, da der Terrorismus immer noch da ist. Da müssen wir schauen, ob und inwieweit Deutschland mehr Verantwortung zuteil wird. Nicht militärisch, sondern in der Koordinierung der Aktivitäten vor Ort. Wie das Ganze optimiert und besser koordiniert werden kann, könnte eine deutsche Aufgabe sein, in Zusammenarbeit mit den Franzosen. Die multilaterale Kooperation mit EU- und UN-Kräften ist beispielsweise sehr wichtig, denn wir können uns kein instabiles Westafrika leisten.Vor allem die UN-Mission muss weiter gehen, denn nur wenn die Lage vor Ort sicher ist, können wir nachhaltig humanitär helfen. Wir müssen an die kleinen Leute in Mali denken, die kein Geld haben, dafür braucht es unsere Unterstützung. Wenn wir raus sind aus Mali, können wir keine Projekte für die wirklich Not leidende Bevölkerung mehr auflegen. Das will die Linkspartei, die gegen jedwede Bundeswehreinsätze im Ausland ist, nicht hören.
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