Unsicher in den eigenen vier Wänden

Bremer Linke schildern in einer Broschüre sehr persönlich den Umgang mit Hausdurchsuchungen

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Stell dir vor, es ist 6 Uhr morgens und du hörst plötzlich Stimmen und Geräusche vor deiner Wohnungstür. Schlaftrunken gelingt es dir vielleicht gerade noch, etwas überzuziehen, bevor die Tür aufgetreten wird und mehrere Polizist*innen vermummt und unter lauten Rufen in deine Wohnung, dein Zimmer und deine intimste Privatsphäre eindringen. Hausdurchsuchung!« Linke in Bremen haben diese Erfahrung in den vergangenen Monaten immer wieder gemacht. Nun hat die Bremer Gruppe des Bündnisses »Nationalismus ist keine Alternative« (Nika) eine knapp 50-seitige Broschüre unter dem Titel »Die Polizei als politischer Akteur – Hausdurchsuchungen« herausgegeben. Darin werfen die Aktivist*innen den Beamt*innen vor, Hausdurchsuchungen bei Personen, die als politisch links orientiert bekannt sind, als Mittel der Einschüchterung zu nutzen.

Betroffen sind unter anderem linke Fußballfans, bekannte Antifaschist*innen oder Graffitisprayer*innen. Da reicht es schon, wenn eine politisch aktive Person in der Nähe eines polizeikritischen Graffito angetroffen wird, um mit der Begründung, es sei Gefahr im Verzug, eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Im November 2021 gab es eine Razzia bei drei Bremer Antifaschist*innen, weil sie sich mit einer Parole und einem Transparent gegen Aktionen der sogenannten Querdenkerbewegung positioniert hatten. Damit wolle die Polizei der Öffentlichkeit signalisieren, dass sie die linke Szene im Griff haben, so die Erklärung der Autor*innen für das repressive Agieren der Polizei. Der Öffentlichkeit werde nach jeder Razzia suggeriert, es habe einen Schlag gegen die linke Szene gegeben. Dass bei den Durchsuchungen in der Regel keine strafrechtlich verwertbaren Beweise gefunden werden, spielt dann meist keine Rolle.

Welche psychischen Folgen die Hausdurchsuchungen für die Betroffenen haben, wird durch die acht sehr eindringlichen Erlebnisberichte deutlich, die den Kern der Broschüre bilden. »Die Übelkeit hielt ein paar Tage an und er bekam Angst, wenn er nach Hause kam. Daher schlief er drei Tage bei Freund*innen. Erst nach einem Gespräch mit seiner Anwältin fühlte er sich zu Hause wieder sicher.« Mit diesen Worten werden die Reaktionen eines Betroffenen geschildert.

»Die nächsten Nächte schlief ich sehr schlecht, wusste ich nun, wie willkürlich es klingeln kann und die Beamt*innen in deiner Wohnung sein könnten«, berichtet ein anderer über die Tage nach der Razzia. In allen Fällen wird es als besonders belastend geschildert, dass die Polizei am frühen Morgen in die Wohnungen eindringt und dadurch das Sicherheitsgefühl verloren geht. Die Betroffenen berichteten auch, wie wichtig es für sie war, sich schnell mit Genoss*innen und Unterstützer*innen auszutauschen und sich juristischen Beistand zu holen.

Die Broschüre soll eine Debatte über den Umgang mit Polizeirepression befördern und die Solidaritätsstrukturen stärken. Deshalb gibt es auf den letzten Seiten Tipps zum Verhalten bei einer Hausdurchsuchung und Adressen von Solidaritätsstrukturen wie den Ermittlungsausschuss und die Ortsgruppe der Roten Hilfe Bremen. Die Broschüre wurde bewusst kurz vor dem 18. März herausgegeben, dem Tag der politischen Gefangenen, an dem auch in Bremen mit einer Demonstration staatliche Repressionsmaßnahmen gegen linke Strukturen angeprangert werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Broschüre auch in der Linken eine Diskussion über das Agieren der Polizei auslösen wird, zumal die Partei in Bremen Teil der Regierung ist.

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