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Bollywood ist überall

Indien hat die größte Filmindustrie der Welt. Touristen finden im ganzen Land reichlich Drehorte und können hinter die Kulissen blicken

  • Christian Schreiber
  • Lesedauer: 7 Min.

Der erste Inder, den wir sehen, ist tatsächlich Shah Rukh Khan. Der berühmteste Schauspieler Asiens lächelt von einem gigantischen Plakat am Kofferband des Flughafens in Neu-Delhi und macht Werbung. Er ist bereits 56 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Wie bei seinem Gesicht getrickst wird, werden wir am Ende unserer Reise durch den indischen Norden erfahren. Dann wartet für einige von uns der Höhepunkt der Tour, wenn wir in die Bollywood-Welt in Mumbai eintauchen. Auf dem Weg dorthin liegen aber zunächst einmal die berühmtesten Sehenswürdigkeiten Nordindiens: Agra Fort, der Palast der Winde, die Bernstein-Festung in der rosaroten Stadt Jaipur und natürlich das märchenhafte Taj Mahal. Was uns dabei schnell klar wird: Bollywood ist überall.

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Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

In Delhi gehört der Qutb-Komplex zum Pflichtprogramm für Touristen. Gerade hat es einen kleinen Unfall gegeben, als ein Inder beim Versuch, das dortige Minarett in voller Größe mit dem Smartphone einzufangen von einer Mauer gestürzt ist. Wenn es um ein gutes Foto geht, nehmen die Einheimischen einiges in Kauf. Aber immerhin reckt sich das Minarett, das zu den höchsten Turmbauten der islamischen Welt zählt, 72 Meter in den grauen Himmel der abgasgeplagten Hauptstadt. Es darf sich auch mit dem Titel Weltkulturerbe schmücken, den die Unesco im Übrigen mehr als zwei Dutzend Mal in Indien vergeben hat.

Plötzlich stürmen alle Smartphone-Knipser zu einem Tempel, wo ein Fotoshooting stattfindet. Ein mit Schmuck behangenes Modell im pinkfarbenen Sari stolziert zwischen alten Säulen, eine Mauer aus Security-Leuten versucht die hübsche Frau abzuschotten. Ein Brite schält sich schließlich aus dem Pulk und berichtet seiner Reisegruppe: »Plakat-Shooting. Sie ist eine bekannte Schauspielerin und hat hier am Minarett einen Film gedreht.«

Geisterstadt aus dem 16. Jahrhundert

Es gibt einige kulturhistorische Spots, die unter den Indern erst dank Bollywood Berühmtheit erlangt haben. Die Geisterstadt Fatehpur Sikri, 40 Kilometer südwestlich von Agra, zählt sicher dazu. Sie empfängt uns mit gnadenloser Hitze. Zum Glück hat Großmogul Akbar, der sie im 16. Jahrhundert erbauen ließ, aber nur 16 Jahre lang mit seinem Volk bewohnte, an ausreichend Schattenplätze gedacht. Und trotzdem fiel die Stadt letztlich dem Klima zum Opfer: Der nahe See trocknete aus und man hatte nicht mehr genügend Wasser.

Akbar galt als Freigeist, tolerierte unterschiedliche Religionen und Lebensstile. Das kann man heute noch an den Wänden und Mauern ablesen, wo sich Kreuze des Christentums und westlich gekleidete Frauen neben persischen Inschriften finden. Obwohl die Unesco auch diesen Komplex längst als Weltkulturerbe geadelt hat, kennen die Inder Fatehpur Sikri vor allem als Kulisse für den Film »Pardes« mit dem damals 30-jährigen Shah Rukh Khan und Mahima Chaudhary, die darin ihr Debüt feierte und dafür sogar eine Auszeichnung erhielt.

Egal, wo wir hinkommen, die Filmemacher waren längst schon da und haben einen Bollywood-Streifen gedreht. Das gilt natürlich auch für die rosarote Stadt Jaipur. Der Ritt mit dem Elefanten hinauf zum Bernstein-Fort ist eine beliebte Kameraeinstellung. Auch wir reihen uns in die Schlange ein und schaukeln auf dem Rücken des grauen Riesen hinein in die Festung. Der Ausblick fällt auf eine Mauer, die sich abenteuerlich über die grünen Bergrücken zieht, mit der die Herrscher der Kachchwaha-Dynastie ihr Revier verteidigten. Wir denken mittlerweile schon in Kulissen und sind uns einig, dass die Location perfekt wäre für einen Streifen über die Chinesische Mauer. Ob so ein Film bereits gedreht wurde, können uns selbst die Souvenirhändler nicht sagen, die Bollywood-DVDs in sämtlichen Sprachen anpreisen. Auch Martina Müller, unsere Reisebegleitung aus Freiburg, weiß es nicht. Sie ist Bollywood-Fan, seit sie vor gut zehn Jahren ihren ersten Film mit Shah Rukh Khan auf Arte gesehen hat. »Das ist ja immerhin ein Kulturkanal«, sagt sie schmunzelnd. In ihrem Wohnzimmer hat Martina Plakate ihrer Lieblingsfilme und -schauspieler aufgehängt. Die Reise nach Indien ist für sie wie ein Märchen, das wahr wird, und erinnert ein bisschen an die Motive der Bollywood-Filme, in denen sich stets der große Traum des kleinen Hauptdarstellers erfüllt.

Natürlich geht es auch um Herzschmerz- und Tränenszenen. »Ich liebe diese Klamotten und Tänze«, sagt Martina, die im Bus genügend Zeit hat, um über ihre Leidenschaft zu berichten. Die Straßen sind schlecht und die Wege weit. Indien ist fast zehnmal so groß wie Deutschland, dort leben mehr als 1,2 Milliarden Menschen - knapp die Hälfte von ihnen kann weder lesen noch schreiben. Die meisten Inder wohnen immer noch auf dem Land, aber die Armut treibt sie zusehends in die Metropolen. Die Zahl der Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern steuert mittlerweile auf die 200 zu. Die größte ist Mumbai, dessen Metropolitan Region knapp 30 Millionen Bewohner zählt. Allein der offiziellen Statistik zufolge hat sich die Zahl damit in den vergangenen 25 Jahren verdoppelt, Schätzungen gehen gar von einer Verdreifachung aus.

Und dort sind wir also zum Schluss unserer Reise gelandet. Die Riesenstadt wäre locker eine Woche Sightseeing wert. Immerhin haben wir Zeit, das Gateway of India, das Wahrzeichen der Stadt, zu besuchen und die Menschenmassen zu beobachten. Es ist ähnlich wie bei unserem Besuch des Taj Mahal vor einigen Tagen. Foto geht über alles. Kaum jemand nimmt sich die Zeit, den Moment zu genießen. Alle denken nur daran, wie sie ihre Social-Media-Freunde am besten teilhaben lassen. Einen Unterschied gibt es immerhin: Am Gateway ist zusätzlich der Polaroid-Wahn ausgebrochen. Jeder Inder will sich mit dem honigfarbenen Triumphbogen fotografieren lassen und das Bild sofort in Händen halten.

Es ist sinnvoll, sich auf einzelne Höhepunkte in Mumbai zu konzentrieren, denn die verstopften Straßen machen so manchen Touristentraum zunichte. Auch die Fahrt zu den Bollywood-Studios ist ein Trip durch die Verkehrshölle. Je näher wir kommen, umso mehr Werbeplakate von »Filmagenten« sehen wir, die »professionelle Vorbereitung« fürs Casting und Tanzkurse offerieren. Auch in den heruntergekommenen Vierteln finden sich fast an jeder Ecke Schauspielschulen. Zwei Drittel der Bewohner Mumbais hausen in Slums. Selbst Leute aus der Mittelschicht finden keinen Wohnraum und nisten sich dort ein.

Zu Besuch in den Bollywood-Studios

Und dann endlich: das Tor zu Bollywood. Die Wachleute der »Filmcity« kontrollieren nach Lust und Laune. Der öffentliche Bus und Motorräder fahren einfach hinein in das Viertel. Dabei liegt hier mehr Geld auf der Straße als in Hollywood. Mumbai hat die größte Filmindustrie der Welt. Gut 2000 Streifen werden in den rund 150 Studios jährlich gedreht. Die Kameras laufen im 24-Stunden-Modus.

Wir tuckern mit einem Bus durch die Kulissen, steigen an den bekanntesten Spots aus. »Bisher habe ich noch nichts erkannt«, flüstert Martina. Kein Wunder, die Gebäude verwandeln sich im Stundentakt. Jetzt Bank, später Gericht, dann Supermarkt. Ein Guide erklärt: »Wir haben den einzigen Tempel der Welt, in dem Gott jeden Tag ausgetauscht wird.«

Martina hofft, dass sie irgendwo einen Blick auf die Dreharbeiten werfen kann. Sie würde gerne sehen, wie die berühmten Tänze einstudiert werden oder ein paar Takte der Herz-Schmerz-Lieder mitsingen. Am Filmset, das wir besuchen dürfen, dreht die Crew aber nur einen Werbespot für Babycreme. Immerhin nimmt sich Aufnahmeleiter Malcom ein paar Minuten Zeit für die Gruppe. Er steht gehörig unter Zeitdruck, das Studio ist bereits für den nächsten Dreh gebucht. Deswegen hat er vorgesorgt und zwei Hauptdarsteller engagiert. »Wenn dieses Baby schreit, haben wir noch eines.«

Zurück im Bus gibt es ein kleines Bollywood-Quiz, bei dem Martina die Punkte abräumt. Dann stoppt ein Security-Mann unser Gefährt. Wir dürfen nicht weiterfahren, weil auf dieser Straße gerade eine Szene gedreht wird. Also laufen wir zum nächsten Set, wo momentan Pause ist und die Schauspieler unter einem Zeltdach Reis und Hühnchen essen. Unsere Gruppe hat Glück, denn plötzlich taucht Shaem Benegal, ein bekannter Regisseur auf. Martina fragt ihn, wie man einen erfolgreichen Film macht. »Kamera an und loslegen. Und die richtigen Schauspieler dazu!«

Solche wie Shah Rukh Khan, der noch immer der Liebling der Inder ist. Am Rande der Filmcity-Tour flüstert man uns zu, dass er sich einmal im Monat in London seine Raucherlunge durchpusten lässt. Jede Filmsequenz mit ihm - und das sind immerhin 30 pro Sekunde - wird digital verjüngt. Auf dem Flughafenplakat bei unserer Ankunft hat er für einen Fitness-Shake geworben: »Der hält jung.«

Die Recherche wurde unterstützt vom Ministry of Tourism India.

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