Pandemische Pflege

In der Pflege konnten Verbesserungen nur über Arbeitskämpfe durchgesetzt werden

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 4 Min.

In den zwei Jahren seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Lage für die Beschäftigten in der Pflege deutlich verschlechtert. Zwar gab es punktuelle Verbesserungen in einzelnen Bereichen, diese sind aber nicht mehr als Tropfen auf dem glühend heißen Stein. Die zusätzlichen Belastungen in der Krise haben den Teufelskreis aus Personalmangel, zu hoher Arbeitsbelastung und Berufsausstieg weiter verschärft.

Exemplarisch lässt sich das für den Bereich der Altenhilfe zeigen: Laut einer Studie des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe vom Januar 2022 erwägen 40 Prozent der Altenpfleger*innen, den Beruf zu verlassen. 68 Prozent gaben an, eine gute Pflege werde immer schwieriger, weil zu wenig Zeit für die Bewohner*innen bleibe. Und selbst von denen, die in der Pflege bleiben wollen, wollen sich 67 Prozent weiterqualifizieren oder den Arbeitgeber wechseln.

Dass in der Pflege ein Personalproblem besteht, ist seit Jahren bekannt, bisher hat keine Maßnahme dazu geführt, dass sich die Situation verbessert. Die Studie geht davon aus, dass bis zum Jahr 2030 allein in der Altenhilfe 500 000 Fachkräfte fehlen werden. Aktuell leben circa 820 000 Menschen in Pflegeheimen, über eine Million Personen werden zu Hause betreut; wie deren Versorgung gewährleistet werden soll, ist unklar

Zumindest formal hat sich in der Altenpflege eine Verbesserung eingestellt: Das Bundesarbeitsgericht stellte im Juni 2021 fest, dass gesetzliche Vorgaben wie der Branchenmindestlohn auch im Bereich der häuslichen 24-Stunden-Altenhilfe Geltung haben, auch für Bereitschaftsdienste. Der Koalitionsvertrag kündigt an, diesen Bereich »rechtssicher« regeln zu wollen, was das für die Beschäftigten und die Gepflegten bedeutet, ist noch unklar.

In den Krankenhäusern ist der Druck auf die Pflegenden durch die Pandemie besonders hoch, die Beschäftigten konnten aber in den letzten zwei Jahren Erfolge in Arbeitskämpfen erreichen. Insbesondere die Berliner Krankenhausbewegung konnte einen »Tarifvertrag Entlastung« durchsetzen. Dieser verbessert die Arbeitsbedingungen und die Beschäftigten der ausgelagerten Tochtergesellschaften werden finanziell gleichgestellt. Arbeitskämpfe scheinen der einzige Weg zu sein, um substanzielle Verbesserungen herbeizuführen.

Allerdings lassen sich in medial interessanteren Bereichen wie Krankenhäusern die Beschäftigten relativ gut mobilisieren, anderswo sind sie isolierter und schlechter organisiert. Grundsätzliche Veränderungen - etwa die Abschaffung der Fallpauschalen in Krankenhäusern oder die Profitorientierung im Pflegebereich zurückzubauen - können zudem nur politisch durchgesetzt werden. Dass mit dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spürbare Verbesserungen angestoßen werden, ist mindestens zweifelhaft: Er gilt als einer der Architekten der in den 90er Jahren angestoßenen Neoliberalisierung des Gesundheitssektors, der maßgeblich zulasten der Pflege ging.

Überhöhung der Pflege

Dass zurzeit keine substanziellen Verbesserungen für die Pflege in Aussicht sind, ist allerdings nicht nur ein politisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem. Die rhetorische Überhöhung der Pflegenden zu Held*innen der Pandemie überdecken grundsätzliche Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber den vermeintlich Schwachen. Die Pandemie hat offen gezeigt, dass es keine Mehrheit dafür gibt, vorerkrankte und gefährdete Menschen als Teil der Gemeinschaft zu begreifen und dafür Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Das politisch ausgegebene Ziel des »Schutzes der Risikogruppen«, bedeutet de facto eine Segregation und Selbstisolation von Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten; das haben hauptsächlich die Betroffenen selbst skandalisiert. Mit der gesellschaftlichen Isolation verschärft sich die Bedrohungslage für gepflegte Menschen akut, wozu auch die Überhöhung der Pflege ohne eine Verbesserung der Bedingungen beiträgt. Im Mai 2021 hat eine langjährig beschäftigte Pflegerin im Potsdamer Oberlinhaus die behinderten Bewohner*innen Martina W., Christian S., Lucille H. und Andreas K. erstochen, eine weitere Person überlebte schwer verletzt. In seiner Trauerrede rückte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ausgerechnet die Pflegenden in den Vordergrund, die »Herausragendes leisten« und wünschte den Hinterbliebenen Kraft, »und besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Oberlinhauses«.

Unter diesen Voraussetzungen ist nicht verwunderlich, dass ein großes Reizthema dieser Tage die Impfpflicht des Pflegepersonals ist: Ein weiterer Exodus des Personals wird befürchtet, sogar ein kompletter Zusammenbruch ganzer Branchen. Deswegen wurde das Gesetz so weich wie möglich formuliert. Dass gepflegte und gefährdete Menschen einen Anspruch auf größtmöglichen Schutz haben, rückt dabei mal wieder in den Hintergrund, obwohl dies eigentlich Kern des Pflegebereichs sein sollte: das ist die eigentliche Abwertung der Pflege, die in den letzten zwei Jahren stattgefunden hat.

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