- Kultur
- Literaturbeilage
Sie ist gradlinig - er ängstlich, aber charmant
Eine Liebe in Zeiten des beginnenden Zerfalls von Jugoslawien: In »Meisterwerk« zeichnet Ana Schnabl die inneren Kämpfe eines slowenischen Paares nach, zwischen Selbstkontrolle, Hingabe und Geheimdienst
Mit Moral ist es so eine Sache. Sie ist für nichts zu gebrauchen, außer man schlägt Nutzen daraus. Die slowenische Autorin Ana Schnabl hat mit »Meisterwerk« einen Roman vorgelegt, der sich in die Gemengelage von Liebe, Betrug und Moral verstrickt, und das alles vor dem Hintergrund der späten 80er Jahre, als Jugoslawien im Zerfall begriffen war und sich in Slowenien ein paar Intellektuelle daranmachten, für sich die Nation als Ausweg aus dem sozialistischen Staat zu entdecken.
Doch der Reihe nach. Ana und Adam sind ein Liebespaar. Indes mit dem Manko, dass sie bereits anderweitig vergeben sind. Sie ist Lektorin in einem Verlag und Informantin der Geheimpolizei; er ist Literaturprofessor und versucht - letztlich erfolglos - seinen Roman »Meisterwerk« zu veröffentlichen, nebenbei ist er in oppositionellen Zirkeln unterwegs. Sie ist gradlinig und karrierebewusst, er ist ängstlich und zugleich charmant. Ihre geheimen Begegnungen sind voller Lust, Leidenschaft und Nähe.
Schnabl erzählt die Geschichte anhand einzelner Tage zwischen dem 18. September 1985 und dem 14. Mai 1986, dem Schlusspunkt der Affäre. Diese scheitert an Adams fehlendem Mut, denn er traut sich nicht, seine Frau zu verlassen. Ein Epilog, datiert auf den 9. Dezember 1996, zeigt auf, wie aus Anas Verletzung wegen der vorzeitig gekappten Liebe schließlich Rache wird; zudem wird der Bogen bis in die Gegenwart gespannt.
Das Jetzt - im Persönlichen wie auch in der Gesellschaft - ist geprägt von der Vergangenheit. Die Krux dabei liegt darin, dass das Neue, wenn es entsteht, für die meisten Zeitgenossen noch nicht erkennbar ist. Auch dies ist ein Thema des Romans. Denn die 80er Jahre waren in Jugoslawien der Beginn einer nationalistischen Wende, die bis in den Sport oder in die Populärkultur reichte.
Aus der Kritik am sozialistischen Modell titoistischer Prägung erwuchs ein konservativ-liberales Heilsversprechen eines unabhängigen Sloweniens im Kapitalismus. Ein Ausdruck davon war unter anderem die auch später immer wieder aufgegriffene Werbekampagne »Slovenija, moja dezela« (Slowenien, mein Vaterland).
Für die noch Regierenden hieß es, dieser Entwicklung mit besonderer Wachsamkeit zu begegnen. In »Meisterwerk« wird diese Seite der staatlichen Kontrolle von Sofija und Vitomil verkörpert. Das Geheimdienstpaar ist elegant und kultiviert, zudem haben die beiden Ana geholfen, im Verlag, in dem sie arbeitet, aufzusteigen. Dieser Gefallen lässt die junge Frau zur Informantin werden, die immer wieder über ihre Autoren berichtet. Der Deal wird zum Kerker, aus dem Ana auszubrechen nicht in der Lage ist.
So kann der Plot rund um die Affäre von Ana und Adam als Analogie auf diese geschichtsschwangere Zeit gelesen werden, in der sich der Untergang Jugoslawiens andeutet. Adam engagiert sich - allerdings nur halbherzig - für die oppositionelle Gruppe um die Zeitschrift »Nova Revija« und träumt davon, seine Vorstellung von Liberalismus ins Werk gesetzt zu sehen. Ob der Intellektuellenzirkel indes Erfolg haben wird, ist für die Protagonisten ungewiss. So bleiben die politischen Entwicklungen äußerlich. Was die beiden aber in der Hand haben, ist ihr eigenes Schicksal.
Doch es ist eben nicht nur das Gesellschaftliche, das das Individuum prägt. Auch die persönlichen Beziehungen begrenzen das Begehren. Diese Spannung der Verliebten löst sich nicht im Happy End auf, sondern sorgt für Zerrissenheit und Konflikte, aber auch für einen Aufbruch.
Während Adam als Vertreter einer neuen bürgerlichen Zeit erscheint, ist er nicht in der Lage, aus der Liebe zu Ana die naheliegenden Schlüsse für sich zu ziehen. Ana jedoch gelingt das, da sie sich ihre eigene Zukunft nehmen will. Sie geht auf Risiko, befreit sich aus ihrer Ehe, in der sie aus Pflichtgefühl zu ihrem Sohn verharrte, obwohl sie selbst darin keine Erfüllung mehr fand.
Ana Schnabl zeichnet in ihrem Debütroman ein Netz emotionaler Verwicklungen nach, das sie mit psychologischem Blick durchleuchtet. Sie beschreibt das Verliebtsein, das Wachsen des Begehrens, die gelebte Leidenschaft und die aufkommenden Ängste - zuweilen untermalt mit der Musik jener Zeit. Das Verlangen nach Zweisamkeit und Glück zerreißt Adam und Ana, die versuchen zwischen Selbstkontrolle und Hingabe zu balancieren.
Wie sie diese inneren Kämpfe beschreibt, zeigt das Können Schnabls, von der bereits ein Kurzgeschichtenband auf Deutsch vorliegt, der ähnliche Themen verhandelt. Leider will sie bisweilen zu viel, sodass manche Sätze etwas gestelzt daherkommen, Gedanken werden teilweise nicht erzählt, sondern doziert. Auch wirkt manche Metapher gestanzt. Für die Prosa aus der Region mag zudem verwundern, dass in »Meisterwerk« das Historische am Rande oder als oftmals kaum wahrnehmbares Grundrauschen einfließt. Genau das ist eine Stärke der Autorin, die zu den interessantesten der jungen slowenischen Literatur gehört.
Ana Schnabl: Meisterwerk. A. d. Slow. v. Klaus Detlef Olof. Folio-Verlag, 208 S., geb., 22 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!