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- Flucht aus der Ukraine
Willkommenskultur ohne Privatsphäre
Geflüchtete Ukrainer erhalten in Deutschland Hilfe. Aber nach ihrer Ankunft verläuft nicht alles reibungslos
Rund 20 Flüchtende warten in der Bahnhofshalle in Hamburg, über ihnen hängt eine große Flagge der Ukraine. Der kleine Seitenraum des Reisezentrums ist vollgestellt mit Stehtischen und Pinnwänden. Überall hängen Plakate mit Informationen auf Deutsch und Ukrainisch. Ehrenamtliche Helfer*innen vom Arbeiter-Samariter-Bund und ehrenamtliche Übersetzer*innen nehmen hier die Menschen in Empfang, die mit Zügen oder Bussen aus Polen oder Berlin ankommen. Mehrere hundert sind das pro Tag, erzählt eine Helferin. Die Stadt würde dabei so gut wie nichts tun, erzählt sie. »Die Organisation wird eigentlich komplett von Ehrenamtlichen getragen.« Innensenator Andy Grote (SPD) präsentiert sich unterdessen auf Twitter selbst am Bahnhof und bedankt sich bei Polizei und Helfer*innen dafür, dass sie den Schutzsuchenden »ein gutes Ankommen und eine schnelle erste Betreuung« bereiten.
Wer aus der Ukraine flieht, kann sich 90 Tage lang visafrei in der EU bewegen. Nach einem Beschluss des Europäischen Rats können sich die Flüchtenden dabei aussuchen, in welches EU-Land sie fliehen möchten. Dort wird ihnen gemäß der Verordnung zunächst für ein Jahr Schutz gewährt, ohne dass ein Asylantrag notwendig wird. Um in Deutschland arbeiten zu können oder staatliche Leistungen zu beziehen, müssen sich die Flüchtenden dennoch registrieren. Neben personenbezogenen Daten müssen die Geflüchteten auch Informationen über ihre Sprachkenntnisse, mögliche Verwandte in der Stadt und einen Zweck des Aufenthalts angeben, sowie darauf antworten, ob sie schwanger sind. Sie werden entweder bei der Ankunft in einem Aufnahmezentrum oder beim Amt für Migration registriert, wenn die Menschen privat eine Unterkunft gefunden haben.
Auf dem Bürgersteig vor dem Amt für Migration in Hamburg-Wandsbek sitzen dutzende Menschen mit dicken Winterjacken und Decken auf Klappstühlen und Bänken. Freiwillige Helfer*innen verteilen an einem Tisch belegte Brote und Kaffee. An der Fassade des Amtsgebäudes stehen Dixiklos. Zwei Linienbusse stehen zum Aufenthalt bereit. Vorwärts kommen die Menschen in der Schlange scheinbar nicht. Selbstverwaltet haben sie Nummern verteilt, um die Reihenfolge beizubehalten.
Viktoria wartet schon seit eineinhalb Tagen hier. Sie ist bei Freund*innen in Hamburg untergekommen und spricht ziemlich gut Deutsch. Viktoria freut sich über die Hilfe und Unterstützung. Gleichzeitig findet sie es traurig, dass sie so lange hier warten müssen. »Manche Leute sind schon drei, vier Tage hier. Ich verstehe, dass Familien und Kinder Priorität haben, aber es kommen immer mehr Kinder und Familien, während wir hier weiter warten müssen.« Nur 30 Erwachsene seien heute reingekommen, erzählt sie. Seit Donnerstag können die Menschen online einen Termin für die Registrierung ausmachen. Das soll Entlastung bringen.
Die meisten Menschen, die am Hauptbahnhof ankommen, haben keine Kontakte in Hamburg. Die Freiwilligen dürfen die Ankommenden nicht an private Unterbringungen vermitteln – zu groß ist die Angst, dass sie an Menschen mit falschen Motiven geraten. Gut die Hälfte reist weiter Richtung Schweden und Norwegen oder in andere deutsche Städte. Dafür können sich die Menschen mit ukrainischem Pass kostenlos Tickets im Reisezentrum abholen. Die andere Hälfte der ankommenden Flüchtenden wird mit Bussen zur Zentralen Erstaufnahme nach Rahlstedt im Hamburger Osten gebracht.
Auch in Rahlstedt verteilen Helfer*innen Lebensmittel und Hygieneartikel. Die Ausgabe sei dabei nicht nur für Ukrainer*innen, sondern für alle Geflüchteten, die neu ankommen, erzählt ein Freiwilliger. Man dürfe diese Hilfsbereitschaft aber nicht missbrauchen, erzählt der junge Mann. People of Color, die zum wiederholten Male aufdringlich nach Sachen fragen und häufig nur gebrochen Englisch sprechen, werden deshalb gebeten zu gehen. Ein älterer Freiwilliger befürchtet, diese Menschen, die augenscheinlich in der Zentralen Erstaufnahme wohnen, würden die verteilten Sachen verkaufen. Der junge Mann ergänzt, in Deutschland würden Regeln gelten.
Hilfe von antifaschistischen und anarchistischen Gruppen
Eine dieser Regeln sieht vor, dass die Menschen nach ihrer Registrierung auf die Bundesländer verteilt werden. Grundlage dafür ist der Königsteiner Schlüssel. Zur Zwischenunterbringung der mehr als 15 000 Menschen, die bereits in Hamburg angekommen sind, wurden mehrere Notunterkünfte eingerichtet, so zum Beispiel in den Messehallen. Feldbetten und kaum Privatsphäre – so zeigt sich die Willkommenskultur ganz konkret.
Nach der Verteilung auf die Bundesländer erhalten die Menschen dann eine Unterkunft, in der sie dauerhaft Schutz finden können. Wer bei Verwandten oder Freund*innen aufgenommen wurde, muss nach der Registrierung nicht in eine andere Stadt umziehen, erklärt die Stadt.
Morgens stehen einige Menschen mit Koffern und Taschen auf einem kleinen Platz irgendwo in Hamburg. Sie sind mit dem Bus aus Polen gekommen. Die Morgensonne spiegelt sich in den Seitenspiegeln der parkenden Autos. Zwischen Bauzäunen und Hausfassade stehen Getränke und Brezeln auf einem Tisch bereit. Auf einem kleinen Zettel steht in drei Sprachen »Willkommen in Hamburg«. Ein Zusammenschluss von antifaschistischen und anarchistischen Gruppen organisiert die Fahrten aus Polen. Der genaue Ankunftsort soll geheim bleiben. »Wir haben uns ursprünglich zusammengeschlossen, um die Leute aus der Ukraine beziehungsweise aus Polen zu holen, die die Premium-Arschkarte gezogen haben: People of Color, Menschen mit Behinderung, Sinti und Roma«, erklärt ein Aktivist.
Anfang März hat die Gruppe mit drei Bussen die ersten Menschen aus Warschau abgeholt, die allermeisten davon People of Color, viele ohne europäischen Pass. Die Fahrten scheinen gut organisiert. Vor Ort sammeln andere Aktivist*innen die Menschen für die Fahrten und erklären ihnen in Ruhe den Plan, erzählen die Aktivist*innen. In Hamburg werden die Menschen, die weiter wollen, zum Bahnhof gebracht, anderen werden Medikamente besorgt. Hier werden die Flüchtenden teilweise auch bei Privatleuten oder in Hostels untergebracht.
Auf das Handeln des Staates will hier scheinbar niemand warten. »In den Erstaufnahmen gibt es die gleichen Probleme wie 2015«, erklärt eine Aktivistin, die damals in einer Hamburger Erstaufnahme geholfen hat. Nachts würde die Menschen dort zum Beispiel niemand aufnehmen, erzählt sie. »Niemand weiß, was mit Menschen mit Behinderung passiert, mit Senior*innen mit Pflegestufe. Für diese Menschen gibt es irgendwie keine offizielle Lösung«, so die Aktivistin. Gleichzeitig sei die aktuelle Situation auch ein Spiegelbild des Rassismus in unserer Gesellschaft. »Die mediale Berichterstattung war 2015 eine andere, die Menschen waren kritischer«, meint sie. Den Menschen, die damals nach Deutschland geflohen sind, wurden kaum Angebote zum Wohnen gemacht, sie mussten Angst haben, dass die Unterkünfte angezündet werden.
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