- Kultur
- Kommunismus
»Ohne diese Ruhelosigkeit gibt es keinen Fortschritt«
Katharina Volk hat eine einfühlsame Biografie über Alexandra Kollontai verfasst
»Zweifelsohne gehört Alexandra Kollontai mit Rosa Luxemburg und Clara Zetkin zu den bedeutendsten Revolutionärinnen des 20. Jahrhunderts. Dennoch ist sie hierzulande längst nicht so bekannt wie ihre politischen Freundinnen«, bedauert Katharina Volk und verfasste daher eine neue Biografie, die rechtzeitig zu deren 150. Geburtstag erschien. Gewiss, Alexandra Kollontai (1872-1952) hat selbst viel Autobigrafisches hinterlassen, eine Vielzahl von Schriften. Das Verdienst von Katharina Volk ist es, die russische Frauenrechtlerin der heutigen jungen Generation vorzustellen.
Tatsächlich zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten, wurde diese immer dann wiederentdeckt, wenn die gesellschaftlichen Zustände nach Veränderung schrien, so in der Bundesrepublik der 70er Jahre. In der DDR war sie stets präsent, wenn auch einige Seiten ihrer Persönlichkeit unterbelichtet blieben. Ihr Texte fanden hier ein interessiertes Lesepublikum. Katharina Volk lobt insbesondere Alexandras »Weitsicht in Bezug auf Fragen der Liebe und des menschlichen Zusammenlebens« und merkt an: »Bis heute haben sich ihre Ideen nicht ansatzweise durchgesetzt, sind deshalb noch immer Zukunft.«
Die Autorin breitet die Biografie ihrer berühmten Protagonistin chronologisch aus, schöpft dabei aus deren zahlreichen Selbstauskünften. »Schon in ganz jungen Jahren war es mir bewusst, dass ich mein Leben unter keinen Umständen nach dem gegebenen Muster gestalten dürfe, und dass ich, um die wahre Blickrichtung meines Lebens erkennen zu können, über mich selbst hinauswachsen müsse.« Mit diesem Bekenntnis von Alexandra eröffnet Katharina Volk ihr auskunftsreiches, flott geschriebenes Buch. Schon mit Anfang 20 habe Alexandra eigene Wege beschritten, fernab standesüblicher Gepflogenheiten. Was natürlich einer in wohlhabender St. Petersburger Familie Geborenen und vom Vater (einem ukrainischen Großgrundbesitzer und zaristischen General) sowie der Mutter (Tochter eines vermögenden finnischen Holzhändlers) »Überverwöhnten und Überliebkosten« (A. K.) leichter gelingen konnte als Menschen niederen Standes. Alexandra forderte aber auch später von ihren Genoss*innen selbstbestimmtes Leben und freie Liebe.
Eine Vernunftehe oder Geldhochzeit war ihr abhold. Aber auch sie heiratete früh, wie für Frauen zu ihrer Zeit üblich. Indes nicht standesgemäß. Zwei Jahre musste Alexandra um ihre Liebe gegen den Widerstand der Eltern kämpfen. 1893, im Alter von 20 Jahren, ging sie die Ehe mit dem Ingenieur Wladimir Kollontai ein, einem entfernten Verwandten; mit ihm bekam sie einen Sohn: genannt Mischa. Fünf Jahre später verließ sie die beiden - ihr lakonischer Kommentar: »Ich wollte frei sein.« Alexandra nahm in Zürich, Metropole russischer Emigranten, ein Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften auf.
Als sie noch mit Wladimir liiert war, hatte sie ein Erlebnis, das ihrem Leben eine »Wende« geben sollte, ihr den Weg aus ihrem goldenen »Käfig« aufzeigte, wie sie in ihren Erinnerungen schrieb. Ihr Mann hatte einen Auftrag, in einer der größten Textilfabriken Russlands, bei Narva, ergattert, in der 12 000 Arbeiterinnen unter unwürdigen Bedingungen malochen mussten. Die junge Mutter fasste den Beschluss, fortan für eine Veränderung der sozialen Verhältnisse zu kämpfen. Sensibilisiert dafür war sie bereits in zarter Jugend durch ihre Privatlehrerin. Die Mutter hatte Alexandra nicht auf eine normale Schule geschickt, vorgeblich aus Angst um deren Gesundheit. Die Tochter vermutete jedoch, sie sei besorgt gewesen, das Kind könne sich mit »gefährlichen politischen Ideen« anstecken. Verhindern konnte sie es nicht. Maria Strachowa unterhielt Kontakte zur progressiven russischen »Intelligenzija« und engagierte sich für die Bildung und Aufklärung der ärmeren Bevölkerungsschichten.
Alexandra immatrikuliert sich mit 26 an der Universität Zürich für die Fächer Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, schließt sich der russischen Sozialdemokratie an, schreibt viel, fordert die Gleichberechtigung der Geschlechter und Emanzipation aller Geknechteten. Exilstationen nach der ersten, niedergeschlagenen bürgerlich-demokratischen Revolution von 1905 in Russland sind Deutschland, Frankreich und Skandinavien.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Deutschland wird sie als »feindliche Ausländerin« interniert und nur dank der Intervention des linken Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht nach Dänemark und nicht ins zaristische Russland abgeschoben. Nach einer Vortragsreise in den USA im Februar 1917 wieder in Russland, stürzt sie sich ins revolutionäre Geschehen, das als Erstes den Zaren hinwegfegt und dann Premier Kerenski, der Alexandra wegen Landesverrats inhaftieren ließ. Durch eine Kaution des Schriftstellers Maxim Gorkis kommt sie frei. Sie kämpft aufseiten der Sowjets und der Bolschewiki. Deren Sieg im Oktober 1917 beschert ihr einen Posten in der ersten Sowjetregierung.
Alexandra ist die weltweit erste Frau, die ein Ministeramt übernimmt. Sie setzt sich als Volkskommissarin für soziale Fürsorge, für eine Lockerung des Eherechts und Mutterschutz ein, für Volksküchen und kollektive Kindererziehung - und sie erkämpft das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Sie ist stetig unterwegs. »Ohne diese Ruhelosigkeit gibt es keinen Fortschritt«, ist Alexandra überzeugt. Und sie ist zudem, ab 1923 Gesandte in Norwegen, die erste akkreditierte Diplomatin weltweit.
Den Terror unter Stalin, den sie wie zuvor Lenin kritisierte, hat sie überlebt. Ihr zweiter Mann aber, der rote Matrose und spätere Admiral Pawel Dybenko wurde 1938 als Trotzkist erschossen. Die Autorin verschweigt nicht kritische Seiten ihrer Heldin, nichts soll beschönigt werden. Gut zwei Drittel des Buches füllen Texte von und über Alexandra Kollontai, wobei aktuell am interessantesten wohl ihr Aufsatz »Wem nützt der Krieg?« sein dürfte, der alle Kriegstreiber brandmarkt.
Kurzum: Ein weiteres lesenswertes Buch aus der verdienstvollen Reihe »Biographische Miniaturen« des Berliner Dietz-Verlages.
Katharina Volk (Hg.): Alexandra Kollontai oder: Revolution für das Leben. Dietz Berlin, 176 S., geb., 12 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.