- Kultur
- »Mord mit Aussicht«
Liebernich weitermachen
Soll das lustig sein? Die ARD-Fernsehserie »Mord mit Aussicht« wird mit einer neuen Staffel fortgesetzt
»Mord mit Aussicht« ist wieder da. Oder zumindest ein kalt servierter Neuaufguss. In drei großartigen Staffeln ermittelten Caroline Peters als aus Köln strafversetzte Kommissarin Sophie Haas sowie Meike Droste und Bjarne Mädel als die Dorfpolizist*innen Bärbel Schmied und Dietmar Schäffer im fiktiven Eifeldorf Hengasch, Landkreis Liebernich. Jetzt ermittelt die strafversetzte Kommissarin Marie Gabler (Katharina Wackernagel) mit den Dorfpolizist*innen Heino Fuß (Sebastian Schwarz) und Jennifer Dickel (Eva Bühnen).
Von Anfang an wurde die Serie von dem unglaublich guten Zusammenspiel der drei Hauptdarsteller*innen getragen. Im Laufe der drei Originalstaffeln haben sie die sympathischen Manierismen ihrer Figuren immer weiterentwickelt. Umgeben waren sie dabei von Nebendarsteller*innen, die ihre Dorfbewohner*innen mit liebevoller Würde ausgestalteten. Weder die Darsteller*innen noch die Drehbücher machten sich über die Figuren lustig. Der Humor entstand stets aus einer situationskomischen Reibung heraus. Diese Kunst hob die Serie weit über den Durchschnitt von »Großstadtrevier«/»Hafenkante«. Obwohl es die ARD von Anfang an nicht verstanden hat, diesen Seriendiamanten vernünftig zu pflegen.
Die horizontale Erzählebene wurde konsequent der Episodengeschichte untergeordnet, was zu einigen merkwürdigen Unstimmigkeiten führte. In der elften Episode »Tödlicher Lehrstoff« hat das Ehepaar Schäffer einen Sohn namens Kevin, der hochbegabt ist und dann in ein Internat verfrachtet wird. Danach taucht dieser Sohn nie wieder auf und wird auch nicht mehr erwähnt. Ebensolche Widersprüche tun sich in der Ortsverwaltung von Hengasch auf. Der Ort hat zunächst einen nicht weiter wichtigen Ortsvorsteher, wie man ihn von kleinen Gemeinden kennt. Dann gibt es plötzlich einen Bürgermeister. Und schließlich wird ein neuer Bürgermeister gewählt, der es - wenn man von der Zahl der Weihnachtsgeschenke für seinen Gemeinderat und seine Verwaltung ausgeht - mit einer ganz schön großen Ortsverwaltung zu tun hat. So könnte man immer weitermachen, etwa mit den Wohnhäusern der Figuren oder den neu auftauchenden Vereinen, Läden und Bräuchen.
So klein, denkt man als Zuschauer*in, kann Hengasch nicht sein. Aber man verzeiht der Serie alles, wegen der unglaublich guten Darsteller*innen und der Qualität der Regie- und Kameraarbeit. Man kann die alten Folgen unzählige Male anschauen, bis man jeden Dialog auswendig mitsprechen kann, und trotzdem noch lachen. Doch schon der schlechte Film »Ein Mord mit Aussicht«, der 2015 nach der dritten Staffel folgte, zeigt, dass das nicht mehr lange gut gegangen wäre. Der Film nimmt weder seine Hauptfiguren ernst noch die Handlung. Er zerstört trotz des großartigen Ensembles alles, was den Humor des Originals ausgemacht hat.
Bjarne Mädel verkündete seinen Ausstieg schon vor dem Film. Er begründete das mit den schlampig verfassten Drehbüchern und vor allem mit Drehzeitkürzungen. Zu Beginn der Serie habe man sich pro Folge fast zehn Tage Zeit gelassen. Zum Schluss seien es gerade noch sieben gewesen. Danach verabschiedeten sich auch die beiden Hauptdarstellerinnen Carolin Peters und Meike Droste. Die Autorin und Serien-Erfinderin Marie Reiners hatte ihren Job schon nach der ersten Staffel hingeschmissen. Trotzdem folgten noch viele brillante Episoden-Perlen wie »Henghasch« oder die Weihnachtsfolge »Sophie kommet doch all«.
Was die ARD jetzt als »Mord mit Aussicht« verkauft, ist so lieb- und fantasielos zusammengezimmert, wie es zu befürchten war. Wieder eine Kommissarin, die aus Köln strafversetzt wird. Und dazu wieder zwei neue Dorfpolizisten, die irgendwie skurril sind. Viele Nebendarsteller*innen der alten Serie werden erneut aufgeboten. Und sie tun einem wirklich leid, wie sie da in fast laientheaterhaften Situationen ihren Text aufsagen müssen. Und die legendäre Rollator-Rentnerin Frau Ziegler mutiert zu einer Art Orakel.
Ganz nebenbei wird in der zweiten Folge berichtet, warum die alten Hauptfiguren nicht mehr da sind. Dietmar Schäffer ist beim Regeln des Verkehrs ums Leben gekommen, weil Bärbel Schmied versehentlich alle Ampeln auf Grün gestellt hat. Das ist nicht nur dämlich, weil in sämtlichen drei Staffeln »Mord mit Aussicht« keine einzige Ampel vorkommt und plakativ gezeigt wird, dass es kaum Verkehr gibt, sondern es ist auch gehässig. Hätte man die beiden nicht befördern können? Hätte man Dietmar Schäffer nicht mit seiner Jugendliebe Katja durchbrennen lassen können? Nach Südamerika? Irgendwas in dieser Art? Nein, man schlägt den Fans eine schreckliche Tragödie um die Ohren. Soll das lustig sein? Oder ist das Rache an den untreuen Hauptdarsteller*innen? Auf jeden Fall ist es total daneben.
Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, die Serie liebevoll fortzusetzen. Die Serienfigur Andreas Zielonka (Max Gertsch), Sohn des ehemaligen Dorfpolizeichefs und aus den ersten drei Staffeln als Lover von Sophie Haas bekannt, hätte die Wache übernehmen können. Ihm hätte man zwei aus Köln strafversetzte übereifrige Ex-SEK-Beamte zur Seite stellen können und damit das Konzept kreativ auf den Kopf gestellt. Irgendwas in der Art? Nein!
Stattdessen stakst die Neu- und Rest-Altbesetzung hölzern durch die Schauplätze der alten Serie und tut so, als sei das »Mord mit Aussicht«. Schon die erste Folge, die sich um den legendären Gärtner Schönfelder aus der Folge »Henghasch« dreht, verunglimpft alles, was die Serie je ausgemacht hat. Obendrein kopiert sie die biedere Handlung des Romans »Puppenmord« von Tom Sharpe. Die ausdruckslose Neukommissarin Wackernagel kann mit ihrer Rolle nichts anfangen und reagiert null auf die hilflosen Nebendarsteller*innen. Und die Regie weiß mit all dem kreuzunnötigen Geschehen auch nicht umzugehen. Und so läuft es in allen sechs Folgen weiter. Es ist nicht lustig. Liebernich weitermachen. Bitte im Giftschrank verstauen und so tun, als hätte es diese neuen Folgen nie gegeben!
Läuft dienstags, 20.15 Uhr auf ARD.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.