Grundbedarf statt Luxuskonsum

HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne: Progressive Energietarife und eine Drosselung des Industrieverbrauchs wären klimagerechte linke Ansätze in der Energiepreisdebatte

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch lässt der Ukraine-Krieg die Energiepreise eher indirekt explodieren: Fossile Konzerne spielen ihre Macht auf unruhigen Märkten aus. Vor einem politisch sinnvollen Importstopp aus Russland drückt sich die Bundesregierung, sucht zuerst neue Lieferanten und sieht dabei großzügig über menschenrechtliche Lebenslauflücken (war da was in Katar?) plus Klimakrise hinweg. Ob aus besseren oder schlechteren Gründen: Verbraucher*innen zahlen drauf. Nun läuft nicht nur die Spritpreisdebatte auf fragwürdigem Niveau heiß. Für Haushalte erklären Eifrige es kurzerhand zur Nato-patriotischen Pflicht, die eigene Heizung abzudrehen. Umstritten ist noch der Umrechnungskurs von Thermostatstufen zu Putin-Panzern.

Zwischen dem Lärm fehlen linke, fehlen klimagerechte Positionen. Nur mehr kurzfristige Zuschüsse zu fordern, wie sie die Ampel aufs Wohngeld verspricht, klammert die Verbrauchsfrage aus und fördert neue dreckige Importe. Was wären inspirierendere Ansätze?

Lasse Thiele
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.

Einerseits gilt es, den Einspar-Diskurs (nicht nur) bei Engpässen in Richtung des riesigen industriellen Verbrauchs zu verschieben. Der darf nicht mehr als alternativlos gelten. Andererseits braucht es auch fürs Private, wo sich in der Debatte um Kosten und Sanktionen effektiver Ängste schüren lassen, Antworten: progressive Energietarife etwa, die pro Kopf einen angemessenen Grundbedarf an Energie günstig gewähren. Zusätzlicher Verbrauch wird zunehmend teurer abgerechnet. Sonderbedarfe etwa für chronisch kranke Menschen müssten unkompliziert anerkannt, energetische Bedingungen gerade in Mietwohnungen einberechnet werden. Bei tatsächlicher Knappheit wird an der Preisschraube für Luxuskonsum gedreht und die Grundversorgung bleibt möglichst unangetastet. Umsetzen könnten das kommunale Anbieter besser als die Konzerne und Quasi-Briefkastenfirmen des liberalisierten Energiemarkts.

Der Bedarf für linke und ökologische Ansätze zur Emanzipation aus dem Elend der Frieren-gegen-Putin-Debatte scheint jedenfalls groß: Progressive Energietarife stießen auf sehr viel Neugier, als ich sie kürzlich in die Twitter-Debatte warf, aber auch auf Skepsis bezüglich der sicherlich diskutablen Bürokratie. Auffällig viele Repliken meinten: Ein CO2-Preis mit Pro-Kopf-Erstattung als Klimageld-Pauschale, von der Ampel längst geplant, führe doch viel einfacher ans selbe Ziel.

Das zeigt die anhaltende Anziehungskraft »unkomplizierter« Marktlösungen auf Parteigrüne wie auf Teile der Klimabewegung. Dabei sind die Ziele ganz unterschiedliche: Eine CO2-Steuer mit Klimageld soll schlicht die Dekarbonisierung der Wirtschaft bei mehrheitsfähiger Kostenverteilung vorantreiben. Gegen Marktpreisschocks täte sie nichts. Progressive Energietarife dagegen beugen Energiearmut vor und fördern zugleich Energiesuffizienz, also maßvollen Verbrauch. Im Gegensatz zum CO2-Preis stellen sie Grundbedürfnisse über Luxuskonsum. Darin deutet sich eine Art Energie-Gesellschaftsvertrag an, in dem Energie als begrenztes Gut gerecht verteilt und nicht als bloße Ware gehandelt wird.

Im Verweis auf CO2-Preise steckt die Annahme, dass nur fossiler Energieverbrauch problematisch, »grüne« Energie aber endlos produzierbar wäre. Doch Flächen- wie Rohstoffbedarf begrenzen auch die Erneuerbaren – erst recht, wenn alle sozialen und Umweltauswirkungen bedacht werden. Verbrauchssenkungen erleichtern den Umstieg auf Erneuerbare. Für den braucht es so oder so zusätzliche Industrie- und Ordnungspolitik: Die ökologische Wirkung einer CO2-Steuer wird in der Forschung deutlich nüchterner eingeschätzt als im politischen Diskurs. Sie wird noch verringert durch den – sozial notwendigen – Ausgleich per Klimageld. Bei Marktlösungen geraten Klima und Soziales schnell in Widerspruch.

Progressive Energietarife können dagegen beides verbinden. Sie allein transformieren nicht den Energiesektor – aber umso mehr die Gesellschaft, in der ein ökologischer Umbau zu organisieren ist. Wer sich beim Frieren gegen Putin (oder fürs Klima) besser fühlt, möge das tun. Aber die Rentnerin in der Grundsicherung sollte sich nicht dazu genötigt sehen, bevor die Poolheizung in der Grunewald-Villa dran ist – respektive die Rüstungsindustrie. In diese Richtungen müssten Linke argumentieren, die nicht zwischen grünen Marktlösungen und Benzinpreispopulismus verloren gehen wollen.

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