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Wer vertritt die Frustrierten des Freedom Day?
Jeja nervt: Die Parolen der Querdenker kommen jetzt aus dem Kanzleramt
Es ist ein Freedom Day auf Raten, aber er ist beschlossene Sache: Anfang April werden die meisten Bundesländer weitgehend aus den Corona-Maßnahmen aussteigen. Insbesondere der Abschuss der Maskenpflicht im Supermarkt, der bereits jetzt zu noch mehr trotzig enthüllten Gesichtern auch im Nahverkehr führt, hat Kritik auf sich gezogen. Doch wie schafft es die Bundesregierung eigentlich, trotz Widerspruchs von allen Seiten und entgegen jedem wissenschaftlichen Rat stets unterhalb des erforderlichen Niveaus an Maßnahmen zu verbleiben?
Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten fanden in der Bevölkerung mehrheitlich Zustimmung, und auch wenn es medial so wirkte, ist die Zahl der Querdenker*innen und Co mitnichten gewachsen. Vielmehr haben sie es durch ihre manchmal faszinierend schrille Art geschafft, den Rest zu übertönen. Ihre Parolen werden heute ganz offiziell im Kanzleramt ausgegeben. Tatsächlich war die Frustration wegen des Regierungskurses im Verlauf der Pandemie zu keinem Zeitpunkt so massiv wie vor einem Jahr, als die Infektions- und Sterbezahlen etwas zurückgingen und die Merkel-Regierung den Ausstieg aus den harten Auflagen verkündete. Nicht erst das erneute Anwachsen der Corona-Verlaufskurve im Frühling 2021 beschädigte das Vertrauen in das Pandemiemanagement, schon bei den angekündigten Lockerungen ging die Zufriedenheit mit der Arbeit der Regierung schlagartig nach unten.
Unpopulär waren nie die vermeintlich zu harten Einschnitte, darauf wiesen dieser Tage aufs Neue die Forscher*innen hinter der psychologischen Cosmo-Studie zum Monitoring der Pandemiestimmung hin. Es war vielmehr das Aussetzen von in ihrer Wirkung gut belegten Schutzregeln, die das Unverständnis der meisten Menschen nach sich zogen. Sie dürften sich gemerkt haben, was nach der Lockerung der Regeln - gegen den Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung - kam: eine Rückkehr des dynamischen Infektionsgeschehens und ein Dämpfer für den Wunsch, den dunklen Pandemiewinter mit dem Grün des Frühlings bald hinter sich zu lassen. Und sie wissen auch, was ihr persönliches Freiheitsempfinden in dieser Zeit eingeschränkt hat. Es waren nicht etwa Veranstaltungsverbote oder die Maskenpflicht, sondern die berechtigte Angst vor Ansteckung, vor dem Verlust von Angehörigen, vor Krankheit und Tod.
Doch es stimmt nicht ganz, dass das Vertrauen in die Regierungsarbeit seit einem Jahr nicht mehr gewachsen ist. Für ganze zwei Wochen hat es sich noch ein mal in Richtung der alten Werte bewegt. Das war zum Antritt der Ampel-Regierung, die mit ihrem Gesundheitsminister Lauterbach, der ja »vom Fach« ist, versprach: Ab jetzt findet Pandemiemanagement wieder nach wissenschaftlicher Maßgabe statt. Die Einsicht in den Irrtum, diesen Worten Glauben geschenkt zu haben, folgte prompt - als klar wurde, wie wenig die Ampel der anrollenden Omikron-BA.1-Welle entgegensetzen würde, inklusive des Verzichts auf die Durchsetzung einer - von der Mehrheit unterstützten - Impfpflicht.
Mit dem Ende der Maßnahmen, das wir in diesen Tagen erleben, setzt die neue Bundesregierung dem historischen Irrtum von vergangenem Jahr also noch eins drauf. Doch es gibt keine Partei, die entschlossen und geeint die Stimme all jener verstärkt, die mit Entsetzen und Verzweiflung auf diesen Schritt blicken. Die Grünen stecken in Regierungsverantwortung und tragen den maßgeblich von der FDP geprägten Kurs mit. Und Die Linke? Die scheint, in Teilen jedenfalls, mal wieder mehr damit beschäftigt, ressentimentgeladene Wechselwähler*innen, Impfskeptiker*innen und »Pharma-Kritiker*innen« halten zu wollen (die sich mit trotzigen Russland-Fans stark überschneiden dürften), statt sich vernehmbar auf die Seite der stillen Mehrheit zu schlagen. Und damit auf die der marginalisierten Betroffenen der Durchseuchung.
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