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Irland ringt mit der Neutralität
Nach Russlands Aggression gegen die Ukraine ist eine Debatte um die irische Sicherheitspolitik entbrannt
Die Republik Irland würde nicht »ausreichend genug« an der Seite der Ukraine stehen, so der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache in Brüssel vergangene Woche. Irische Politiker*innen und Kommentator*innen debattieren in der Tat seit Wochen über die Neutralität des Landes und sein Verhältnis zu zur Nato. Die Stimmung in der Bevölkerung ist dagegen eindeutig: Sie will keinen Nato-Beitritt. Noch während des Treffens in Brüssel versuchte der irische Regierungschef Micheál Martin von der liberal-konservativen Fianna Fáil zu beschwichtigen: »Ganz ehrlich, ich würde da nicht zu viel hineininterpretieren.« Am 6. April wird Selenskyj per Videoschaltung im irischen Parlament sprechen.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Irland unterstützt von Beginn an uneingeschränkt den ukrainischen Vorstoß für eine EU-Mitgliedschaft - seine militärische Neutralität hat das Land angesichts des russischen Angriffs aber nicht aufgegeben. Irland ist seit der Unabhängigkeit 1921 formell neutral, der Flughafen in Shannon ist indes ein wichtiger Landeplatz zum Auftanken der US-Militärflugzeuge auf ihrem Weg in den Mittleren Osten.
Im aktuellen Ukraine-Krieg sei das Land jedoch »militärisch, nicht aber politisch neutral«, betont Martin. Irland habe mehr als 10 000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und sei bereit, weitere Tausende aufzunehmen, nachdem die Visumpflicht für Flüchtende aus der Ukraine aufgehoben wurde. Zugleich trägt das Land alle EU-Sanktionen gegen Russland mit.
Der Labour-Partei und dem Gewerkschaftsverband Siptu gehen die Maßnahmen aber nicht weit genug. Als Mitte März Öltanker und Frachter aus Russland in irischen Häfen anlegten, forderte die Gewerkschaft ihre Mitglieder auf, die Waren nicht zu entladen. Dem schob Transportminister Eamon Ryan, zugleich Parteichef der Grünen, einen Riegel vor: »Die Einfuhr von russischen Waren auf russischen Schiffen oder auf Schiffen, die unter russischer Fahne in irischen Gewässern verkehren, ist durch EU-Sanktionen nicht verboten.« Irland werde weiterhin Handel mit Russland treiben, so Ryan, und drohte zugleich Gewerkschaftsmitgliedern mit rechtlichen Schritten.
In den Kommentarspalten der irischen Zeitungen fordern dagegen immer mehr Analyst*innen die Aufgabe der Neutralität und eine stärkere Nato-Anbindung. Martin selbst hatte nach Kriegsbeginn im Parlament »eine Debatte über die Neutralität« verlangt. Außenminister Simon Coveney vom ebenfalls konservativen Koalitionspartner Fine Gael schob der Debatte jedoch kurz darauf einen Riegel vor: »Irland war niemals moralisch, ethisch und politisch neutral.« In seiner Rede vor dem Irischen Institut für europäische Angelegenheiten stellte er allerdings zugleich klar: »Es ist nicht wahrscheinlich, dass Irland irgendwann der Nato beitreten wird.«
Lautstark für die Beibehaltung der Neutralität tritt derzeit nur die trotzkistische Parlamentsfraktion auf. Die in den Umfragen haushoch führende linke Sinn Féin äußert sich nicht zur Ukraine. Sie war in der Vergangenheit als besonders russlandfreundlich aufgefallen und hatte die Zerschlagung der Nato gefordert. Mit dem Ukraine-Krieg hat sie ihre Position gewandelt. Gemeinsam mit Labour fordert sie nun die Ausweisung des russischen Botschafters.
Am 4. März hatte der außenpolitische Sprecher von Sinn Féin, John Brady, die »Beibehaltung der Neutralität« von der Regierung gefordert. Mit der Ausnahme einer Stellungnahme zur Unterstützung der Flüchtlinge findet sich seither keine Erwähnung der Ukraine im Pressearchiv der Partei. Ihr Senator Paul Gavan beklagte dennoch erst kürzlich das »schändliche Schweigen der Regierung, wenn es darum geht, sich gegen die Diktatur in Saudi-Arabien und dessen siebenjährigen Terrorkrieg gegen die jemenitische Bevölkerung auszusprechen«.
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Zugleich liefert Irland humanitäre Hilfe wie Schutzkleidung und Lebensmittel in die Ukraine. Ein gestern veröffentlichter Budgetentwurf beziffert die benötigte Hilfe für ukrainische Flüchtlinge in Irland auf 2,8 Milliarden Euro.
Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag der »Sunday Business Post« unterstützten nur 30 Prozent die Aufgabe der Neutralität. 46 Prozent der Wähler können sich aber ein Referendum über die Teilnahme an einer EU-Armee vorstellen.
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