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In der Ukraine-Krise läuft es Hand in Hand

100 Tage ist der rot-grün-rote Senat im Amt - Initiativen sehen Licht und Schatten bei den Amtsinhabern

  • Claudia Krieg, Mischa Pfisterer, Rainer Rutz und Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 8 Min.

»Ich habe mich das eine oder andere Mal über den Senat geärgert, muss aber sagen, dass die Situation alle zusammenschweißt.« Das sagte Sozial- und Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) Anfang März. Und tatsächlich haben die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Versorgung Zehntausender Kriegsflüchtlinge dafür gesorgt, dass die Senatsmitglieder Hand in Hand arbeiten.

»Engagiert, interessiert und gut erreichbar«, nennt Christian Fender vom Arbeitskreis Wohnungsnot die Sozialsenatorin. Die Wohnungsnotfallhilfe werde derzeit »eingespannt und überrannt« bei der Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen, so Fender. Eine personelle Aufstockung gebe es aber nicht. Enttäuscht zeigt er sich über die Schließung von Wohnungsloseneinrichtungen und dass Housing First für Obdachlose unzureichend ausgebaut werde.

Die nahbare Gesundheitssenatorin

Auch Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) zeigt, dass ihr die Dringlichkeiten bei der Flüchtlingsversorgung bewusst sind. Diese mit der Bewältigung der Corona-Pandemie zu verknüpfen, ist eines ihrer Hauptanliegen. »Ich möchte nicht mit ihr tauschen«, sagt Patricia Hänel vom Gesundheitskollektiv Neukölln zu »nd«. Bei aller Sachlichkeit, die Gote bei Interviews und Auftritten an den Tag lege, erscheine sie »sehr nahbar«, so Hänel.

Zusammen mit der Gesundheitssenatorin hat die Neuköllner Initiative kürzlich die Räume ihres Stadtteilgesundheitszentrums eröffnet. Es umfasst kostenfreie Sozial- und Gesundheitsberatung, ärztliche Versorgung bis hin zu gesundheitsbezogener Stadtteilarbeit. Gote lobte dessen »Modellcharakter«, mit dem »ein vielversprechender Schritt auf dem Weg zu einer gerechteren Gesundheitsversorgung« gelungen sei. Die Aussagen werden dadurch getrübt, dass laut aktuellem Haushaltsentwurf die Mittel um 50 000 Euro gekürzt werden sollen. Auch die Krankenhausinvestitionen, obwohl der Ausbau der Kliniken ein Schwerpunkt der rot-grün-roten Koalition werden sollte.

Kommunikationstalent Bettina Jarasch

Erste, teilweise öffentlich ausgetragene Konflikte gab es in der Koalition bereits. Mobilitätssenatorin und Bürgermeisterin Bettina Jarasch (Grüne) hatte sich verbeten, dass ihr die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) mit ihren U-Bahn-Ausbauplänen hineinregiert. Jarasch fand deutliche Worte. »Das Argument, dass man eine Anbindung zum BER braucht, ist natürlich Unsinn«, sagte sie über eine U7-Verlängerung.

In der Zivilgesellschaft fliegen Bettina Jarasch derzeit viele Herzen zu. »Die Kommunikation nicht nur mit Nichtregierungsorganisationen ist eine ganz andere, viel offenere als bei ihrer Vorgängerin«, lobt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB sie gegenüber »nd«. »Wir begrüßen die Gründung der neuen Projekteinheit für den Busspur- und Radwegeausbau und erwarten, dass diese auch mit ausreichend Geld und Personal ausgestattet wird, um ihre Ziele tatsächlich zu erreichen«, sagt Solveig Selzer vom Fahrradclub ADFC Berlin.

Doch im Haushaltsentwurf sind Kürzungen bei Rad- und Fußverkehr vorgesehen. »Wenn selbst die im Mobilitätsgesetz und Radverkehrsplan rechtlich verankerten Maßnahmen nicht auskömmlich finanziert werden, dann hat der Finanzsenator seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht und die Mobilitätssenatorin ihre interne Prioritätensetzung nicht ausgerichtet«, erklärt Jens Steckel von Changing Cities. Der Naturschutzbund Berlin kritisiert, dass die neue Umweltsenatorin Jarasch sich auf die Verkehrspolitik konzentriere und ihrer Verpflichtung als oberste Naturschützerin Berlins nicht nachkomme.

Wohlwollend äußert sich Tilmann Heuser vom Umweltverband BUND Berlin. »Bettina Jarasch hält sich zurück mit vollmundigen Versprechungen. Man merkt, dass sie sich sehr strukturiert und systematisch in die Themen einarbeitet«, sagt er zu »nd«.

Franziska Giffey setzt auf Showeffekte

Ganz anders fällt seine Einschätzung zu Franziska Giffey aus. »Von Impulsen für eine sozial-ökologische Transformation ist bei ihr nichts zu erkennen. Sie bemüht sich, das Bild einer Macherin zu setzen, scheint aber keine klare Vorstellung von einem gesellschaftlichen Ziel zu haben«, so Heuser.

Giffey ist mit meist mehreren öffentlichen Auftritten täglich omnipräsent. Schließlich sei sie als Regierende für alles zuständig, lautet ihre Begründung. Doch die Beliebtheit hält sich in Grenzen. Nur 40 Prozent der Befragten des kürzlich veröffentlichten Berlin-Trends von RBB und »Berliner Morgenpost« gaben an, mit Giffeys Arbeit zufrieden zu sein. Besonders schmerzen dürfte sie, dass sie damit noch die Werte ihres Amtsvorgängers Michael Müller (SPD) unterbietet, den sie immer wieder schlechtredet.

Eines von Giffeys Herzensthemen ist der Wohnungsbau. Vieles scheint eher dem Showeffekt geschuldet. Reiner Wild vom Berliner Mieterverein bestätigt diesen Eindruck beim Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen. »Trotz einer unter einigen Mühen zustande gekommenen ›Gemeinsamen Erklärung‹ zum Auftakt des Bündnisses dürfte bislang noch den meisten Teilnehmern nicht klar sein, welche Inhalte denn durch wen vereinbarungsfähig sein werden und welche Themen nur unter die Rubrik ›Dialog - schön dass wir darüber geredet haben‹ fallen«, sagt er zu »nd«. Weitere Teilnehmer sehen das ähnlich.

Technokrat Andreas Geisel

Für die Umsetzung von Giffeys Bauziel ist Senator Andreas Geisel (SPD) zuständig. »Bei ihm beschleicht mich das Gefühl, dass er nur irgendwelche Planzahlen abarbeiten will. Überlegungen, was eine Stadtgesellschaft zusammenbindet und Versuche, eine zukunftsfähige, mit dem Klimaschutz zusammengedachte Stadtentwicklungsstrategie zu entwickeln, sehe ich nicht«, sagt BUND-Mann Heuser.

»Von Giffeys Parole ›Bauen, Bauen, Bauen‹ ist an Handfestem bislang nur der Totalverriss der Politik des Vorgängersenats zu hören«, heißt es von der Initiative Mietenvolksentscheid. Seit dem Machtwechsel in der Stadtentwicklungsverwaltung finde »der schleichende bis offene Abbau von Errungenschaften der Mietenbewegung statt«. Dazu passt, dass auch die Mittel für die Anlaufstellen für Bürgerbeteiligung in den Bezirken drastisch zusammengekürzt werden sollen. Von einer Viertelmillion auf nur noch 153 000 Euro pro Jahr und Bezirk. In einem »nd« vorliegenden gemeinsamen Brandbrief aller Bezirke wird gewarnt, dass nur noch auf Minimalniveau weitergearbeitet werden könnte. »Für die inhaltliche Arbeit und das Außenbild der bezirklichen Anlaufstellen für Bürger*innenbeteiligung wäre dies fatal«, heißt es dort.

Die Innensenatorin polarisiert

Zwiespältig fällt die bisherige Bilanz von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) selbst aus Sicht der Berliner Gewerkschaft der Polizei aus. »Es ist gut, dass sie sich von Beginn an auch bei brisanten Themen nicht wegduckt«, sagt deren Sprecher Benjamin Jendro zu »nd«. »Fakt ist aber auch, dass sie bei den Beförderungen und der Kotti-Wache sehr öffentlichkeitswirksam vorgeprescht ist und sich vergaloppiert hat«, so Jendro weiter. Sie trage für die Verzögerungen keine Schuld, »muss aber aufpassen, nicht weiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren«. Sprangers Vorgehen bei der Polizeiwache am Kottbusser Tor, die frühestens 2023 kommen wird, sorgt bei lokalen Initiativen bereits für erheblichen Aufruhr.

Die Bildungssenatorin wirkt unbeholfen

Eine nicht immer glückliche Figur machte nicht zuletzt Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD). Verpatzte Redebeiträge auf der Senatspressekonferenz oder im Abgeordnetenhaus: Regelmäßig werden Busses Auftritte zur Erheiterung oder Erschütterung in den sozialen Medien geteilt. In Koalitionskreisen wurde gegenüber »nd« bereits darüber spekuliert, dass die ehemalige Grundschulleiterin die erste sein wird, die wieder aus dem Senatsboot geschubst wird.

Jörg Tetzner, stellvertretender Vorsitzender des Vereins Schule in Not, hält wenig davon, vorschnell den Stab über die Bildungssenatorin zu brechen. »Ich würde der Senatorin da noch Zeit geben wollen«, sagt der Lehrer an einer Neuköllner Schule zu »nd«. Dennoch: Die Aufgaben, vor denen Busse stehe, seien riesig. Da müsse von der Senatorin etwas mehr kommen als bisher. Auch bei ihr zieht der Haushalt Kritik auf sich. »Ich hätte erwartet, dass Frau Busse als Bildungssenatorin in die Haushaltsverhandlungen hineingeht und etwas für die Schulen herausholt«, sagt Tetzner. Dass Busse beim Kampf gegen die Personalnot an Schulen auf die Lehrer-Verbeamtung setzt, sei »ein Schritt. Das reicht aber nicht«, so Tetzner.

Die vier bisher Unauffälligen

Vier Senatorinnen und Senatoren haben bisher vergleichsweise wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Darunter Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer (Linke). Der ist weiter in der Kulturszene sehr beliebt und kämpft für deren Erhalt unter anderem mit dem Corona-Neustartprogramm. Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) pflegt einen eher unaufgeregten Stil. Selber aus dem Handwerk kommend, scheint er mehr Wert auf eine soziale, nachhaltige Entwicklung zu legen als den polternden, oft neoliberalen Forderungen der Wirtschaft bedingungslos nachkommen zu wollen.

Die Stunde des Finanzsenators Daniel Wesener vom linken Grünen-Flügel wird mit den angelaufenen Beratungen für den Doppelhaushalt 2022/2023 kommen. Er dürfte deutlich an öffentlichem Profil gewinnen. Bleibt noch Justizsenatorin Lena Kreck (Linke). Die vormals stark in Initiativen engagierte Politikerin macht hin und wieder den Eindruck, dass sie noch in ihre neue Rolle finden muss. Das könnte Sprengstoff bergen.

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