Antisemitische Allianz

Seit 1940 kollaborierte das Vichy-Regime im Süden Frankreichs mit den deutschen Besatzern. Zehntausende jüdische Menschen wurden deportiert und im Vernichtungslager Auschwitz ermordet

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 15 Min.
Jüdische Männer aus der deutschen Besatzungszone 1940 am Pariser Bahnhof Gare d’Austerlitz: Im folgenden Jahr begannen die Deportationen aus dem Vichy-Territorium.
Jüdische Männer aus der deutschen Besatzungszone 1940 am Pariser Bahnhof Gare d’Austerlitz: Im folgenden Jahr begannen die Deportationen aus dem Vichy-Territorium.

Nur zwei Monate nach der Wannseekonferenz, auf der die deutsche Reichsregierung in Absprache mit allen beteiligten nationalsozialistischen Staats- und Machtapparaten im Januar 1942 die Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas beschlossen hatte, rollten auch aus dem seit dem Juni 1940 von Deutschland besetzten Norden Frankreichs die Waggons in Richtung Auschwitz. Bereits am 27. März verließ der erste Zug den nordöstlich von Paris gelegenen Bahnhof von Le Bourget in Richtung des zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht fertiggestellten Vernichtungslagers, dessen Name zum Inbegriff des Holocaust werden sollte. Von den in den Waggons eingepferchten 1112 jüdischen Männern, die Feldgendarmen der Wehrmacht aus dem nahe gelegenen Lager Drancy - einem von drei »Sonderlagern«, in denen nach drei großen Razzien im Mai, August und Dezember 1941 die ersten knapp 8700 Juden interniert worden waren - geholt hatten, sollten nur 85 den Krieg überleben. Bis Anfang Juli erfolgten dann fünf weitere Deportationen mit insgesamt 4996 Verschleppten, unter ihnen auch 219 Frauen, die das gleiche Schicksal erwartete. 80 Prozent der Deportierten überlebten nicht einmal acht Wochen in Auschwitz - und dies, obwohl die Gaskammern noch gar nicht einsatzfähig waren.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Genozidaler Ehrgeiz

Dieses außergewöhnlich hohe Tempo bei den ersten Deportationen verdankte sich nicht nur der sprichwörtlichen fürchterlichen Gründlichkeit der deutschen Besatzungsbehörden, sondern auch und vor allem der französischen Kollaboration. Denn nach dem Sieg im »Blitzkrieg« war lediglich der nördliche Teil Frankreichs und die Atlantikküste der Militärverwaltung der Wehrmacht unterstellt worden, während im Süden des Landes seit Juli 1940 der weitgehend eigenständig agierende État Francais unter Marschall Philippe Pétain und seinem Ministerpräsidenten Pierre Laval residierte, dem auch die französischen Verwaltungseinheiten im gesamten Staatsgebiet unterstanden. Und auf diejenigen, die von dem kleinen Kurort Vichy in Zentralfrankreich aus regierten, konnte man sich in Berlin unbedingt verlassen - und musste dies angesichts der rein zahlenmäßigen Schwäche der Besatzungstruppen auch. Dies galt für die geregelte Übergabe von Stützpunkten an die deutsche Wehrmacht, die Beteiligung französischer Truppen bei der Verteidigung der Kolonien gegen Großbritannien oder das Ausheben von Résistance-Kämpfer*innen genauso wie für die weitere Ausbeutung der kriegswichtigen Rohstoffe oder Produktionskapazitäten in Frankreich selbst und in den Kolonien des Landes.

Verlass war aber eben auch auf jene »antijüdische Grundhaltung« des Regimes in Vichy, auf die Serge Klarsfeld bereits in den 1980er Jahren in seinem Standardwerk »Vichy - Auschwitz« hingewiesen hat. »Pétain und Laval ergriffen von sich aus Maßnahmen gegen die Juden; sie förderten bewusst die Entwicklung einer antisemitischen Hetzkampagne und verhinderten von Beginn der deutschen Besatzung an jede aufkommende Solidarität«, so der französische Rechtsanwalt und Historiker, dessen Vater selbst in Südfrankreich von der Gestapo verhaftet und später in Auschwitz ermordet worden war. Sowohl aus eigenem Antrieb heraus als auch, um sich »als Partner des Dritten Reichs anzubieten«, hätte das Vichy-Regime den »Nazis auf dem Weg zur ›Endlösung‹ in Frankreich bereitwillig die Tür« geöffnet, heißt es in Klarsfelds Pionierstudie.

Denn zunächst agierten die obersten Besatzungsorgane, der Militärbefehlshaber in Frankreich (MBF) - dieses Amt übte zunächst der Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, persönlich aus, bevor er es am 25. Oktober 1940 an den General der Infanterie Otto von Stülpnagel übergab - und die ihm unterstehende Militärverwaltung relativ vorsichtig. So erklärte etwa der zuständige Kriegsverwaltungsrat Ludwig Mahnke in einer internen Anweisung an alle deutschen Stellen am 22. August 1940, die »Richtschnur für die gesamte Tätigkeit der Militärverwaltung ist der Grundsatz, dass nur solche Maßnahmen getroffen werden, die zur Erreichung des militärischen Zweckes der Besetzung des Landes erforderlich sind. Dagegen ist es nicht Sache der Militärverwaltung, in die innerpolitischen Verhältnisse Frankreichs verbessernd einzugreifen.« Alle Handlungen, die zu grundlegenden Konflikten mit der französischen Regierung führen könnten, sollten unbedingt vermieden werden. Und dies sollte explizit auch für Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung gelten: »Da aus der Aufrollung der Rassenfrage auf Annektionsabsichten geschlossen werden kann, soll von Maßnahmen auf diesem Gebiete abgesehen werden«, heißt es in dem Schreiben weiter.

So kam es in dieser frühen Phase der deutschen Besatzung auf die Entscheidungen in Vichy an. Denn das - natürlich durchaus erwünschte - weitere Vorgehen könnte, wie Mahnke weiter ausführte, nur gemeinsam mit der dortigen Regierung erfolgen: »Die Maßnahmen gegen Juden würden indessen Stückwerk bleiben, solange nicht gleiche Maßnahmen in dem unbesetzten französischen Gebiet ergriffen werden.« Das könne »nur durch die französische Regierung geschehen«, entsprechenden Druck auf diese auszuüben, »würde aber untunlich sein und kaum den gewünschten Erfolg haben«, schrieb Mahnke abschließend. So verbot sich zunächst ein deutlich »offensiveres Vorgehen«, wie es etwa von dem durch das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) nach Paris entsandten Kommandos unter der Leitung des SS-Sturmbannführers Helmut Knochen und dessen Berliner Vorgesetzten gefordert wurde, das anfangs allerdings nur 20 Mann stark war. Als Kompromiss zwischen den konkurrierenden NS-Institutionen wurde schließlich am 27. September das »Judenstatut« für das besetzte Gebiet verabschiedet. Dieses verfügte zwar ein Verbot jüdischer Einwanderung, die Meldepflicht für alle Menschen, von deren Großeltern mindestens drei jüdischen Glaubens gewesen waren, und die Einsetzung von Treuhändern für »aufgegebene jüdische Unternehmen«. Ansonsten aber sollte von allen weiteren Repressionen vorläufig abgesehen und die Maßnahmen nur durch »französische Behörden« durchgeführt werden.

Französische »Rassegesetze«

Zu diesem Zeitpunkt hatten Pétain und seine Mannen allerdings bereits selbst Tatsachen geschaffen - und damit ihren politischen Willen im Gleichschritt mit den Besatzern unter Beweis gestellt. Kaum an der Macht, verfügten sie in einem der ersten Gesetze des État Francais, dass lediglich Menschen im Staatsdienst tätig sein durften, deren Väter bereits Franzosen gewesen waren. In der Begründung nannte Laval explizit den Wunsch nach einem »Ausschluss der eingewanderten Juden«, die durch die »jüdische Volksfrontregierung unter Léon Blum« zu Staatsbürgern geworden seien. Zudem wurden alle Einbürgerungen seit 1927 einer kritischen Überprüfung unterzogen. Wie sehr sich diese explizit auf jüdische Menschen bezog, wird aus einem späteren Referat des französischen Justizministers Maurice Gabolde deutlich, der darin ausschließlich diese Bevölkerungsgruppe erwähnte: »Die Gesamtzahl der Einbürgerungen von Juden zwischen 1927 und 1940 beträgt 23 640 Personen. 9039 wurden bereits von der Kommission bearbeitet, wobei in 7055 Fällen die Einbürgerung rückgängig gemacht wurde«, gab er befriedigt zu Protokoll. Lediglich der abgeleistete Dienst im französischen Heer sollte zukünftig noch vor Ausbürgerung schützen.

Drei weitere Gesetze banden in der Folge auch die Zugänge zu medizinischen und juristischen Berufen an die Existenz eines französischen Vaters und hoben das Loi Marchandeau auf, das antisemitische Propaganda unter Strafe gestellt hatte. »Die französische Regierung packt die Judenfrage ohne Umschweife an«, konnte der deutsche Botschafter in Paris, Otto Abetz, bereits im August 1940 zufrieden nach Berlin telegrafieren. Und dies geschah, ohne dass die Besatzungsbehörden vorher informiert oder gar involviert gewesen wären! In einem bemerkenswerten Aufsatz, der 2010 in den Heften des Instituts für Zeitgeschichte in München erschien, hat der Historiker Michael Mayer das Verhältnis von Vichy-Frankreich und deutscher Besatzungsmacht als »synchron initiiert« beschrieben. »Das Besondere dabei war, dass diese Entwicklung zwar parallel, aber beinahe ohne Interaktion verlief«, so Mayer, der sich dabei unter anderem auf die Studien des US-amerikanischen Historikers Robert Paxton zur französischen Kollaboration berufen konnte, die bis heute als maßgeblich gelten.

Diese »relative Autonomie«, so Paxton, der Vichy-Regierung reichte deutlich weiter als in allen anderen besetzten Ländern, mit Ausnahme Norwegens. Dies kam zu Ausdruck auch in der weitreichendsten antisemitischen Initiative, die die Regierung Pétains und Lavals in den ersten beiden Jahren ergriff: Dem »Gesetz über den Status der Juden« vom 3. Oktober 1940, das die »Judenfrage«, wie es darin hieß, insgesamt ordnen sollte. Erst einen Tag zuvor hatte Laval den Entwurf bei der Militärverwaltung vorlegen lassen, wie es seit September 1940 vorgeschrieben war. Und dieser stieß bei den Besatzungsbehörden auf ungeteilte Begeisterung, die zwar über das generelle Vorhaben, nicht aber die konkrete Ausgestaltung informiert waren. Der stellvertretende Leiter des Verwaltungsstabs des MBF, Friedrich Pfeffer von Salomon, der den Entwurf für von Brauchitsch begutachtete, vermerkte etwa: »Das Gesetz weicht in Einzelheiten von den deutschen Bestimmungen ab, verfolgt aber im wesentlichen die gleiche Tendenz und ist daher zu begrüßen. Es ist nicht beabsichtigt, Einwendungen gegen die Anwendung des Gesetzes zu erheben.«

Somit wurde ein sehr weitreichender Ausschluss der jüdischen Menschen in Frankreich für die nächsten Jahre kodifiziert, und zwar sogar für mehr Bürger*innen als es im deutschen »Judenstatut« vorgesehen war. Denn das Gesetz vom 3. Oktober galt nun auch für all jene, die über lediglich zwei jüdische Großeltern verfügten, also auch für in so genannten Mischehen Geborene. Ausdrücklich erwünscht war dabei nicht nur die Erweiterung des Personenkreises, sondern auch die damit einhergehende Konstruktion einer »jüdischen Rasse« als Grundlage der Stigmatisierung. »Die französische Gesetzgebung«, kommentierte etwa der Regierungsrat im Justizministerium, Félix Colmet-Dâage, in einem Vortrag vor Juristen im Januar 1942, »stützt sich auf die Rasse und verwendet, wie die deutsche Gesetzgebung, die Religion als Hilfsmittel, um die Rasse zu bestimmen.« Und nicht nur der Geltungsbereich des neuen Gesetzes war ausgedehnter als der seines deutschen Pendants, sondern auch dessen Wirkung: Allen Personen, die unter das Gesetz fielen, war fortan die Arbeit in öffentlichen Ämtern, freien Berufen und in Presse, Radio und Kino vollständig untersagt. Dass man sich dessen in Vichy durchaus bewusst war, bezeugt eine Notiz in einem Protokoll des Regierungsrates vom 28. Oktober. »Das Ziel der deutschen Verordnungen besteht darin«, heißt es dort, »den Juden jeglichen wirtschaftlichen Einfluss zu nehmen«. Dagegen sei es das Ziel der Pétain-Regierung, »ihnen zudem jeglichen politischen, militärischen, künstlerischen und intellektuellen Einfluss zu entziehen.«

Und dies sollte noch nicht alles gewesen sein. Direkt am folgenden Tag, dem 4. Oktober 1942, wurde per Erlass verfügt, dass die örtlichen Präfekte auch über etwaige Internierungen jüdischer Menschen frei entscheiden dürften. Dass es sich dabei um keine leere Drohung handelte, bezeugt ein Bericht, den Theodor Dannecker, SS-Hauptsturmführer und seit Anfang September 1940 Judenreferent des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) in Frankreich und damit zuständig für die Koordination der antisemitischen Maßnahmen, an die deutsche Botschaft schrieb. Ende Februar 1941, also nur fünf Monate nach Inkrafttreten der Gesetze, schätzte er die Zahl der Menschen, die in der »freien Zone« in Sonderlagern interniert wären, auf etwa 40 000. Auch wenn diese Zahl übertrieben gewesen sein dürfte, so deutete sie immerhin an, was ein fanatischer Antisemit wie Dannecker seinen Gesinnungsgenossen in den Vichy-Verwaltungseinheiten überall im Land zuzutrauen bereit war.

Antisemitische Kontinuitäten

Die Regierung Pétains und Lavals konnte sich bei ihren Aktivitäten auf eine Kontinuitätslinie stützen, »deren Ursprünge weit vor Beginn des Zweiten Weltkrieges lagen«, wie Michael Mayer es formuliert. Schon der deutsche Botschafter Abetz hatte in seinem Antrittsgespräch mit dem Ministerpräsidenten des Vichy-Regimes zufrieden bemerkt, dass die »antisemitische Strömung im französischen Volke (…) so stark« sei, »dass sie von unserer Seite keiner Förderung mehr bedürfe.« Und dies galt zumindest für die konservativ-nationalistischen Kreise weitgehend unumschränkt. Vor allem nach dem Sieg der linken »Front Populaire« bei den Wahlen von 1936, deren sozialistischer Ministerpräsident Léon Blum selbst aus einer jüdischen Familie stammte, hatte sich der schon immer vorhandene Antisemitismus in der französischen Rechten zunehmend radikalisiert. In diesem Klima konnte der Schriftsteller Louis Ferdinand Céline - immerhin Träger des überaus prestigeträchtigen Prix Renaudot von 1932 - schreiben: »Ich hätte lieber zwölf Hitler als nur einen allmächtigen Blum.« Zwar hatte es nach dem Scheitern Blums bis zum Oktober 1940 keine explizit auf die jüdische Bevölkerung gemünzten Sondergesetze gegeben. Dennoch war etwa die Internierung staatenloser Flüchtlinge, welche die konservative Regierung Édouard Daladiers direkt im Anschluss an die deutsche Reichspogromnacht am 12. November 1938 beschlossen hatte, unschwer als Reaktion auf die Fluchtbewegung als jüdisch markierter Menschen aus dem benachbarten Deutschland zu erkennen gewesen.

Es bleibt aber geradezu eine Ironie der Geschichte, dass die weitere Radikalisierung des Antisemitismus seitens der Regierung in Vichy ausgerechnet mit der militärischen Niederlage Frankreichs begründet wurde. Denn insbesondere Daladier und sein Nachfolger Paul Reynaud, dessen Kabinett als stellvertretender Regierungschef auch Pétain angehört hatte, waren bis zu eben dieser Niederlage als Appeasement-Politiker gegenüber Nazi-Deutschland aufgetreten. »Die Niederlage hat eine tiefgreifende und dauerhafte Reorganisation des Staates herausgefordert«, erklärte die Regierung am Abend des 3. Oktober 1940 dennoch und nannte als wichtigste Stütze dieser »neuen Ordnung« ausgerechnet das »Statut über die französischen Israeliten«. Kaum verholen drohten die Vichy-Politiker zudem mit weiteren Maßnahmen, die dann im zweiten »Judenstatut« vom 2. Juli 1941 in Form einer Registrierungspflicht und verschärfter Quoten für Studiengänge auch umgesetzt wurden. Vor allem aber wurden nur knappe drei Wochen später - wie bereits seit Oktober 1940 in der besetzten Zone - alle als jüdisch klassifizierten Betriebe »zwangsarisiert«. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der Ausschluss der durch das Gesetz vom 3. Oktober 1940 definierten Bevölkerungsgruppe aus der französischen Gesellschaft vervollständigt - und die Vorarbeit zu den Deportationen zum Abschluss gekommen.

In der unbesetzten Zone Frankreichs begannen diese Deportationen schließlich im Sommer des Jahres 1942. Am 2. Juli vereinbarte die neu installierte SS-Führungsgruppe um Knochen und den Polizeiführer Carl Albrecht Oberg mit dem französischen Polizeichef René Bousquet gemeinsame Razzien gegen die jüdische Bevölkerung, die die Voraussetzung für die weiteren Deportationen und »Endlösung der Judenfrage« in Frankreich bilden sollten. Um eine »Auswechslung der KZ-Belegschaften« zu erzielen und zwecks weiterer »Auflockerung der Pariser Judenschaft« hatten die SS-Führer in Absprache mit dem Berliner RSHA von der Vichy-Regierung bereits im März in einer diplomatischen Note die Verbringung von zunächst 40 000 Menschen in die Arbeits- und Vernichtungslager gefordert. Ihnen sollten in schneller Folge weitere »Kontingente« folgen. Und die Umsetzung ließ nicht lange auf sich warten. Noch im Juli in Paris und ab August 1942 auch im Süden Frankreichs blies die französische Polizei zur regelrechten Jagd auf die jüdische Bevölkerung, in deren Folge etwa 30 000 weitere Menschen interniert wurden. Und auch die Züge nach Auschwitz rollten ab dem Sommer in immer dichterer Folge: Zwischen Mitte Juli und Ende September, auf dem Höhepunkt der deutsch-französischen Kooperation, wurden im Durchschnitt wöchentlich 3000 Menschen in das Vernichtungslager deportiert.

Völlig reibungslos lief die Zusammenarbeit zwischen deutschen Besatzern und französischen Kollaborateuren dennoch nicht. So versuchte etwa die Regierung in Vichy, auch wegen des zunehmenden Drucks seitens der mit ihr eng verbundenen katholischen Kirche und von Teilen der Bevölkerung, die Auslieferung auf die zugewanderten jüdischen Menschen zu beschränken. Das deutsche RSHA forderte dagegen unverhohlen eine »etappenweise Lösung« auch für die aus jüdischen Familien stammenden französischen Staatsbürger*innen. Bereits im Januar 1941 hatte der SS-Mann und »Judenreferent« Dannecker auf diese Differenz hingewiesen: »Die Judenschaft Frankreichs besteht nahezu zur Hälfte aus Fremdstämmigen«, heißt es in einem von ihm verfassten Schreiben an die Militärverwaltung. Und die Entwicklung der vergangenen Monate habe eindeutig gezeigt, dass »sich die Judengegnerschaft der Franzosen hauptsächlich gegen diese fremden Elemente richtet«, was durch die deutschen Behörden unbedingt zu beachten sei. Eine Beschränkung bei Internierung und Deportation auf diese Gruppen sei so zunächst unbedingt geboten, um die Regierung Pétains nicht zu brüskieren, langfristig aber müsste dieser klargemacht werden, dass es sich dabei nur um ein »Teilstück auf dem Wege zur endgültigen Bereinigung der Judenfrage« handeln könnte.

Zur Auslieferung der nichtfranzösischen Jüdinnen und Juden war man in Vichy zunächst nur allzu gerne bereit. Und auch die Stichtage der Einbürgerungen, welche die Reihenfolge bei den Deportationen bestimmten, wurden sukzessive nach hinten verschoben. Bereits am 3. August 1942 wurden zunächst die nach 1933 eingebürgerten und schließlich, im Juli 1943, auch die nach 1927 mit der französischen Staatsbürgerschaft versehenen jüdischen Personen »denaturalisiert«. Dieser Prozess war offensichtlich bereits in den Gesprächen mit Bousquet vereinbart worden: In einem direkt nach Treffen am 2. Juli an das RSHA geschickten Fernschreiben vermeldete das deutsche »Judenreferat« in Frankreich, dass zwar »vorläufig nur von staatenlosen beziehungsweise fremdstaatigen Juden« die Rede sei, in einer zweiten Phase dann aber auch »an die nach 1919 beziehungsweise nach 1927 in Frankreich naturalisierten Juden herangegangen« werden könnte.

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Verheerende Deportationsbilanz

Dass die Überlebensquote der jüdischen Bevölkerung in Frankreich trotz dieser ausgedehnten Vernichtungspläne vergleichsweise hoch war, verdankte sich vermutlich auch dem Ende von Vichy-Frankreich als relativ selbstständiger Macht im November 1942. Als Reaktion auf die Landung alliierter Truppen in Nordafrika besetzten deutsche und italienische Truppen von diesem Zeitpunkt an auch die Südzone Frankreichs. Und während die italienischen Besatzer die Verfolgung für geraume Zeit ganz einstellten, fanden sich die Behörden des nun zur Marionettenregierung abgesunkenen État Francais nicht mehr in gewohntem Maße zur Kooperation bereit. »Zusammenfassend darf festgestellt werden: Die französische Regierung will in der Judenfrage nicht mehr mitziehen«, telegrafierte Danneckers Nachfolger, Heinz Röthke, im August 1943 schließlich enttäuscht nach Berlin.

Vielen verfolgten Jüdinnen und Juden gab diese neue politische Konstellation die Möglichkeit zur Flucht oder zum Untertauchen. Und nicht wenige verdankten ihr Überleben »dem aufrechten Mitgefühl« aus der französischen Bevölkerung und der Résistance, »die von dem Augenblick an ihre praktische Solidarität bewiesen, als sie begriffen, dass die jüdischen Familien, die den Deutschen in die Hände fielen, zum Tode verurteilt waren«, wie Serge Klarsfeld festhielt. Verheerend war die Bilanz der Deportationen dennoch, und zwar vor allem für die Einwander*innen unter der jüdischen Bevölkerung in Frankreich: Von den etwa 130 000 bis 140 000 Menschen mit jüdischen Wurzeln, die zumeist aus Deutschland und Osteuropa stammten, wurden unter tätiger Mithilfe aus Vichy etwa 72 000 in die Vernichtungslager deportiert. Von den annähernd 200 000 jüdischstämmigen Bürger*innen Frankreichs konnten die bis zuletzt tätigen deutschen Terrorkommandos dagegen lediglich 8000 in den fast sicheren Tod schicken - aber französischen Politikern wie Pétain und Laval hatten die Überlebenden dies nicht zu verdanken.

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