Japans nuklearer Plan B

Wegen der Öl- und Gaskrise wird der Ruf nach mehr Atomkraft lauter. Wird wie vor dem Super-GAU in Fukushima die Sicherheit vernachlässigt?

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bank of Japan (BOJ) will bis auf Weiteres an ihrer Nullzinspolitik festhalten. Nur ein »temporäres Phänomen« seien all die steigenden Preise, erklärte Notenbankchef Haruhiko Kuroda kürzlich. Zu den Folgen der Pandemie mit ihren Verknappungen sei nun eben der Ukraine-Krieg gekommen, durch den die Öl- und Gaspreise steigen. Beides, so scheint Kuroda zu glauben, werde bald vorübergehen.

Anders als andere wichtige Zentralbanken plant Japan daher keine Zinserhöhungen. Seit die BOJ nach dem Platzen einer Spekulationsblase den Leitzins vor zwei Jahrzehnten auf Null senkte, hat sich das ostasiatische Land an billiges Geld gewöhnt. Da die Wirtschaft eher mit dem Problem der Deflation zu kämpfen hatte, würden sich die Zentralbank und auch die Regierung eigentlich eine höhere Inflationsrate wünschen, damit dann weniger gespart und mehr investiert wird. Doch die extrem hohen Öl- und Gaspreise drücken derzeit die Kaufkraft und den Konsum. Die Lage für die japanische Wirtschaft wird noch schwieriger, da angesichts von Leitzinserhöhungen in den USA Anlagen in Yen unattraktiver werden. Gegenüber dem US-Dollar ist die Währung so billig wie seit rund fünf Jahren nicht mehr. Zwar profitieren Exportfirmen seit Jahren von einem schwachen Yen, doch der Wachstumseffekt gilt als weitgehend erschöpft. Es leidet eher die Binnenwirtschaft. Insbesondere kleinere Betriebe können nur dank der billigen Refinanzierung überleben. Der Anteil solcher »Zombie-Firmen« wurde schon vor der Pandemie auf ein Fünftel bis ein Drittel geschätzt. Höhere Zinsen würden womöglich eine Pleitewelle und damit viele neue Arbeitslose generieren. So ist die Bank of Japan auch aus Erwägung sozialer Stabilität vorsichtig mit Zinserhöhungen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Derart kompliziert sind die wirtschaftspolitischen Abwägungen, dass auf ein altes Thema zurückgegriffen wird, das eigentlich längst ad acta gelegt worden war: die Atomkraft. Würde man wieder mehr AKW in Betrieb nehmen, so die Überlegung mehrerer Politiker der Konservativen, könnte Japan seine Abhängigkeit von teuren Öl- und Gasimporten reduzieren. Und das Uran kommt vor allem aus Australien, mit dem Japan auch verteidigungspolitisch verbündet ist.

Mit der Atomkraft ist die Hoffnung auf niedrigere Preise für Strom verbunden. Das Problem der mit Öl und Gas importierten Inflation könnte sich abschwächen. Tatsächlich verfügt Japan prinzipiell über enorme Kapazitäten zur Produktion von zusätzlichem Atomstrom. Vor gut zehn Jahren machte die Kernkraft ein Drittel des japanischen Energiemixes aus, heute sind es kaum fünf Prozent.

Durch die Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi im März 2011 verloren Hunderttausende ihr Zuhause. Bis heute konnten Zehntausende nicht in ihre Heimat zurückkehren, einige Dörfer bleiben evakuiert. Die Atomkraft erlitt einen gehörigen Imageschaden, auch die Regierung ging auf Distanz. Einst Symbol des technischen Fortschritts, sahen viele Menschen sie fortan eher als Gefahr für Gesundheit und Klima sowie als Beispiel für ein korrumpiertes Geflecht der Machteliten an. Schließlich lag der Super-GAU in Fukushima auch darin begründet, dass Sicherheitsregeln kaum beherzigt oder gelockert worden waren.

Seit 2011 war stets eine Mehrheit der Japaner gegen die weitere Nutzung von Atomkraft. Nun scheint sich der Wind zu drehen. Laut einer Umfrage der Wirtschaftszeitung »Nikkei« ist erstmals seit der Katastrophe von Fukushima eine Mehrheit von 54 Prozent für eine verstärkte Nutzung der Atomkraft. Hauptgrund ist die Ungewissheit in Sachen bezahlbarer Energie. So hat die konservative Regierung, von der ohnehin ein großer Teil die Atomkraft stärker nutzen möchte, offenbar eine Hürde weniger zu überwinden.

Allerdings wäre ein schnelles Umsatteln auf Atomkraft kein leichter Schritt. Nach dem GAU wurden zeitweise alle 54 Reaktoren vom Netz genommen. Nicht zuletzt wegen strengerer Sicherheitsregeln sind bis jetzt nur zehn wieder in Betrieb, 16 weitere befinden sich im Genehmigungsprozess.

Würde man diese Verfahren nun beschleunigen, sähe sich die Politik aber einmal mehr in Erklärungsnot: Spielt bei der Atomkraft Sicherheit mittlerweile wirklich eine große Rolle? Oder geht es nur um wirtschafts- und geldpolitische Erwägungen?

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!