- Kultur
- Rapper Testo über Ostjugendliche
Scharnier zwischen Prollwelt und Kultur
Der Rapper Hendrik Bolz, Teil des Duos Zugezogen Maskulin, hat ein Buch über seine Jugend geschrieben
In Ihrer Biografie »Nullerjahre« erinnern Sie sich an das Aufwachsen in Mecklenburg-Vorpommern um die Jahrtausendwende. Mitte März haben Sie das Buch in Ihrer Heimatstadt Stralsund vorgestellt. Wie ist es gelaufen?
Ich war sehr dankbar für das durchmischte Publikum. Das wäre in Berlin der Himmel auf Erden: Mit Kulturkram Menschen zu erreichen, die nicht nur in so einer Intellektuellen-Blase schweben. Auch eine Lehrerin kam, hat von ihren Söhnen erzählt, der eine in meinem Alter, mit ähnlichen Themen wie im Buch, der andere etwas älter und Bomberjackenfraktion. Sie hatte keine Karte mehr bekommen, wollte aber trotzdem unbedingt dabei sein. Das war sehr berührend, denn in den Nachwendejahren hat es ja genau daran gemangelt: an der Zeit und Muße der Erwachsenen, sich mit der Kinder- und Jugendwelt auseinanderzusetzen.
Sie erzählen von Schwulenfeindlichkeit, Rassismus und körperlicher Gewalt, die den Alltag prägten. Als was für einen Typen würden Sie sich beschreiben?
Die rechte Jugendkultur der 90er war für mich und meine Freunde nicht mehr anziehend, wir waren in den Nullerjahren Fans von Berliner Gangster-Rap. Wichtig war mir im Buch darzustellen, wie wir trotzdem als Kinder durch die großen Brüder und Cousins in den Bomberjacken geprägt wurden und dass wir deren Werte und ihr Vokabular in den Ghetto-Erzählungen der Rapper wiedergefunden haben. Die offene, gewalttätige Ausländerfeindlichkeit fiel bei uns allerdings weg. Wir waren apolitisch, es ging nur noch um cool und hart sein.
Waren Ihre Freunde von damals auch bei der Lesung?
Ja. Aber sie haben sich nicht geoutet. Und ich sie auch nicht.
Ihr Text erinnert an Drogen-Exzesse und dass es zu jedem Lied, das im Radio lief, eine Techno-Version gab. Wonach riecht denn Ihre »Jugend in blühenden Landschaften«, wie es im Untertitel des Buches heißt?
Für mich war die Plattenbausiedlung Kieper-West in den Nachwendejahren das Zentrum von Stralsund, obwohl es außerhalb liegt und an Felder grenzt. Daher riecht meine Jugend nach Güllefeldern und vor allem nach umgekipptem Bong-Wasser. Dieser Kiff-Schmand, der in den Teppich sickert und auch wenn man mit einem verkrusteten Handtuch drüberwischt, der Geruch ist sofort da und füllt den ganzen Raum. Aber es riecht auch, davon erzähle ich weit weniger in meinem Buch, nach Sonnencreme und Strand.
Sie sind bekannt als Rapper Testo und Macher des Podcasts »Zum Dorfkrug«, in dem Sie mit Prominenten über das Aufwachsen in der Provinz sprechen. Nun erscheint Ihr literarisches Debüt. Ist das ein Heimatroman?
Da steckt Verschiedenes drin: Es geht ums Erwachsenwerden, also klar ein Coming-of-Age-Stück, angereichert aber auch mit einer politischen Ebene. Bis ich 2008 nach Berlin kam, wusste ich ja gar nicht, dass es so etwas gibt: politisches Bewusstsein. Es sind dunkle Episoden aus meiner Jugend, die ein wenig verfremdet sind und die ich jetzt dringend aufschreiben wollte. Also eine literarische Biografie. Ein Anti-Heimatroman ist es jedenfalls nicht. Es geht mir darum zu zeigen, wie die Menschen, und dazu gehöre ich auch, in einem exemplarischen ostdeutschen Plattenbauviertel nach der Wende, bis hinein in die Nullerjahre herumgewirbelt wurden.
Wo sehen Sie denn den Unterschied zum Aufwachsen in der westdeutschen Provinz?
Vierzig Jahre DDR, die Nachwendezeit, das Leben in so einem luftleeren Raum, wo es heißt: Hallo, hier ist Demokratie und Kapitalismus, der erst mal millionenfache Arbeitslosigkeit bringt und wo von nun an das Jeder-gegen-Jeden-Prinzip herrscht. Das war die Realität nach 1990 und das ist mit nichts in der westdeutschen Provinz zu vergleichen.
Die Wiedervereinigung hat bezüglich der Naziszene sehr gut geklappt.
In der DDR gab es auch rechte Gruppen mit Personen wie Ingo Hasselbach, der als Punk auf dem Dorffest ruft »Die Mauer muss weg« und dann in den Knast kommt, wo er alte Nazis kennenlernt und merkt: »Das ist der echte Punk. Wenn ich im antifaschistischen Staat sage: ›Yo, ich bin jetzt Faschist.‹ Damit kann ich provozieren.« Mit dem Mauerfall haben die rechten Strukturen dann sofort die orientierungslose Jugend eingesammelt, da waren Punkte wie die Gruppe als Macht und Militarismus sicherlich anziehend. Westdeutsche Neonazis haben das recht schnell als Projekt erkannt. Von wegen: Da drüben haben wir unsere revolutionäre Schwungmasse! Wenn sie den einen Staat umgestürzt haben, sammeln wir die doch gleich ein und machen den nächsten großen Umsturz mit der BRD.
Auch Sie waren so ein Prügel-Typ, der jeden erniedrigt hat. Wie war das, selber zuzuschlagen?
Ich war ein kleines Kind in den 90er Jahren, in denen es im Osten noch keine etablierte neue Ordnungsmacht gab und weitläufig das Recht des Stärkeren galt. In meinem Umfeld in Form rechter Jugendgruppen. Da habe ich gelernt, dass mit Gewalt die Welt funktioniert und dieser ganze nette Rolf-Zuckowski-Benjamin-Blümchen-Quark nur ein dummer Schwindel ist. Dass ich mich nur entscheiden kann, ob ich nun Täter oder Opfer sein will. Die Überwindung der eigenen Angst und Ohnmacht, indem man selbst andere erniedrigt, hat dann etwas total Befreiendes, Elektrisierendes, wie ein Drogenrausch.
An welcher Stelle haben Sie beschlossen, einen Cut zu machen?
Ich hatte das Glück nach meinem Umzug nach Berlin in Milieus zu landen, in denen Gewalt nicht so normalisiert war, trotzdem war das eine Entwicklung, die sich über viele Jahre hingezogen hat. Lange habe ich Gewalt und Härte noch überhöht und habe lange gebraucht, um zu dem Gefühl zu gelangen, dass ich nicht mehr selber alles regeln muss, dass, wenn mir jemand schadet, es dafür Institutionen wie die Polizei gibt und dass ihre Präsenz und ihr Funktionieren eine Bedingung dafür ist, dass zivilisiertes Zusammenleben überhaupt erst möglich ist.
Jetzt stehen Sie auf der »Spiegel«-Bestsellerliste. Das Feuilleton ist hellauf begeistert von der Schonungslosigkeit Ihres Buches. Ist diese Tristesse, die die Wendejahre mit sich zog, nun salonfähig geworden?
Es gibt heute zum Glück ein gesteigertes Interesse daran, den Osten zu verstehen. Mein Buch füllt dabei eine Leerstelle: Wie war es denn eigentlich für DDR-Nachgeborene in einem Plattenbauviertel in den Nullerjahren? Was mir in den Besprechungen leider häufig zu kurz kommt, sind Fragen wie: Wie ist man eigentlich in der Nachwendezeit mit dem Osten umgegangen? Was ist mit den Versäumnissen des Westens? Und wenn es nur das Versäumnis ist, nicht richtig hingeschaut zu haben. Ich kenne einige auch ältere Westdeutsche, die heute zugeben, »Sorry. Da war ich total blind für.«
Kennen Sie die Netflix-Serie »Rohwedder« über den Mord am Treuhand-Chef?
Ich finde die super, weil sie diesen ganzen Jubelbildern über die Wiedervereinigung eine andere Perspektive hinzufügt. Dass gezeigt wird, dass ein ganzes Arbeitssystem zusammengebrochen ist und verscherbelt wurde und Menschen kollektiv enttäuscht wurden. Für mich war es völlig normal, dass alle mal arbeitslos und die Betriebe geschlossen waren. In der Doku findet man genau diese Stimmung, die mich umgeben hat, und von der ich schreibe.
In den meisten Bundesländern hat sich die AfD fest etabliert.
Bis heute kann man sich im Osten freier und offener als Neonazi bewegen. Deswegen ziehen da ja auch so viele hin. Vom Westen wurden auch die Probleme zu lange belächelt, von wegen: »Ach Gott, geht es denen da schlecht, aber solange sie fleißig SPD und CDU wählen, geht das schon.« Spätestens mit der Flüchtlingskrise 2015 und dem Aufstieg der Neuen Rechten hat wohl ganz Deutschland gecheckt, dass man da noch mal anders hinschauen muss: Dass eine ostdeutsche Emanzipationsbewegung, in der so viel Wut und Frust geäußert wurde, von rechten Strukturen angezapft und umgelenkt werden konnte.
Sie haben unterdessen 2004 angefangen, in Stralsund Fan-Sticker von Bushido zu kleben, der Teil des Berliner Hip-Hop-Labels Aggro Berlin gewesen ist. Inwiefern hat auch Sie Aggro Berlin gerettet?
Hip-Hop war eine Multikulti-Kultur, Vielfalt war da richtig aufgewertet, das hat meine Generation ein Stück weit gerettet. Es hieß ja immer: Die dummen Rapper, jetzt machen die die Scheiße aus Amerika nach. So was gibt›s nicht in Deutschland. Die versauen unsere Jugend. Aber: Bei uns im Osten mussten große Teile der Jugend nicht weiter verrohen, wir waren schon roh. Und da kommen Typen aus West-Berlin, die all das sichtbar machen, was auch mich umgibt: 30 Prozent Arbeitslosigkeit, Plattenbau, Coolsein, Drogen, Kloppen. Nur eben Ausländerfeindlichkeit passt hier nicht rein. Bushido ist Halbtunesier und für uns alle war er der Megastar. Wie kann man da noch Neonazi sein?
Mittlerweile sind Sie etablierter Ost-Rapper, haben zum 30. Jahrestag am Brandenburger Tor die Massen mit dem satirischen Song »Endlich wieder Krieg« zum Buhen gebracht und können von Ihrer Musik leben. Wieso schreiben Sie mit 33 Jahren eine Biografie?
Ich hoffe, das Buch bildet ein Scharnier zwischen der einen und anderen Welt. Meiner alten Prollwelt und der Kulturindustrie. Mir liegen meine Heimat und der Osten sehr am Herzen, deswegen suche ich das Gespräch. Es geht mir um Aufarbeitung und um die Vermittlung ostdeutscher Geschichte. Einfach nur zu sagen: »Ihr seid Nazis! Bombe drauf!« Das löst nichts. DDR 2.0. und alles, was da unten so brodelt und von rechts weiterhin nutzbar gemacht wird, das muss mal in Ruhe durchgesprochen werden, und ich hoffe, dass noch viel mehr Menschen sich in diesen Diskurs einschalten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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