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Theater aus der Dose

Künstliche Intelligenz als Textlieferant: Am Theater Bremen wurde das Stück »Verfall. Ein Picknick im Grünen« uraufgeführt

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 6 Min.
Idylle oder nur schöner Schein? »Verfall. Ein Picknick im Grünen« am Theater Bremen
Idylle oder nur schöner Schein? »Verfall. Ein Picknick im Grünen« am Theater Bremen

Das Thema liegt - wie sagt man so schön? - in der Luft: Künstliche Intelligenz (KI) durchdringt schon heute den Alltag, zumindest in den Industriegesellschaften. In der Medizin, in Suchmaschinen für das Internet, in der Spracherkennung, in Bots und - wen wundert es? - auch in militärischen Arsenalen.

Auch die Künste sind seit einiger Zeit mit dem Phänomen befasst: 2016 basierte zum ersten Mal ein Kurzfilm auf einem Drehbuch, das eine KI geschrieben hatte, die Sängerin Taryn Southern veröffentlichte im Jahr darauf ein Album mit von einer KI komponierten Musik und so weiter und so fort.

Am Theater beschäftigt man sich ebenfalls mit dem Thema, auch auf einer ganz fundamentalen Ebene: Ein Blick ins Internet fördert schnell verschiedene Zeugnisse computergenerierter Theaterstücke zutage. Im Dezember 2019 kam in Linz »Prometheus unbound« von dem Kollektiv Cyberräuber auf die Bühne; vor wenigen Wochen erst feierte in Wien »Humane Methods Exhale« Premiere. Und die Bremer Shakespeare Company hat jüngst unter dem Namen »Galatea« eine Workshop-Reihe aufgelegt, in der sich Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft im Zeichen der KI begegnen. Vergangene Woche kam nun am Theater Bremen ein Stück auf die Bühne, das mit Hilfe der KI GPT-3 entstanden ist.

GPT-3 steht knapp für »Generative Pre-Trained Transformer« - Modell 3. Mittels bestimmter Algorithmen kann diese im vorletzten Jahr in die Welt gesetzte KI nebst anderem auch Texte erzeugen, die von menschlicher Produktion angeblich kaum zu unterscheiden sein sollen. Wobei in diesem Zusammenhang vor allem eine Frage von Interesse ist, die Björn Lengers von den Cyberräubern und Tina Lorenz in einem Text auf der Internetplattform Nachtkritik.de vor einem Jahr wie folgt formulierten: »Wenn Maschinen aber solche Texte schreiben können, können sie dann auch Bühnentexte schreiben? Also Texte, die sich zentral mit der menschlichen Existenz befassen, von der eine Maschine nicht wirklich etwas wissen kann?«

So ganz haben sich der Regisseur Felix Rothenhäusler und die Dramaturgin Theresa Schlesinger darauf zumindest nicht verlassen: Die KI, so heißt es in der Ankündigung des Theaters, habe vielmehr »als Partner« fungiert. Immer wieder wurden der KI neue Informationen gegeben, die auf Grundlage dieser neuen Informationen dann neue Entscheidungen traf. Die Ausgangssituation, ein sonniger Sonntagnachmittag im Park mit einer Gruppe von Menschen, die sich - überwiegend zumindest - an ihrer freien Zeit erfreuen, wurde zum Beobachtungsgegenstand der Künstlichen Intelligenz. Das Erkenntnisinteresse: Wie blickt eigentlich so eine KI auf den Menschen? Ermöglicht sie eine neue Sichtweise »auf Tod, Verwesung und das menschliche Verhältnis zu Natur und Technik«?

»Verfall. Ein Picknick im Grünen«, wie der vollständige Titel des rund einstündigen Theaterexperiments lautet, macht dabei gleich klar, dass da etwas nicht stimmt. Gewiss, es gibt das idyllische Bild eines Nachmittags im Park: eine alte Frau auf einem Stuhl. Zwei junge Frauen auf einer Picknickdecke. Eine Frau mit Kinderwagen. Ein älterer Mann mit einem (falschen) Hund. Nach und nach stoßen ein Mann in Badehose (Kostüme: Elke von Sivers), eine Joggerin, ein Mann vom Ordnungsamt und die Mitarbeiterin eines Essenslieferdienstes dazu - beides gewiss Verweise auf unsere pandemischen Zeiten.

Allerdings ist hier von dem lauschigen Grün, den Bäumen und dem Badesee, die eine Stimme aus dem Off beschreibt, rein gar nichts zu sehen. Schwarz ist die Bühne von Jonas von Ostrowski, ein schräg in den Theatersaal eingesetztes Raster aus umwickelten Stangen vermisst den Raum, während die Sitzreihen von einem regelmäßig wiederkehrenden Dröhnen (Musik: Ville Haimala) zum Vibrieren gebracht werden. Haben die Maschinen womöglich bereits übernommen?

Auch sonst ist einiges merkwürdig: Lange geschieht im Grunde nichts - niemand sagt etwas. Aber da war doch etwas: Als Bildbeschreibung ist »Verfall« angekündigt. Weshalb niemand aus dem Ensemble auf der Bühne während der gesamten Vorstellung auch nur einen einzigen Satz sagen wird. Allein die Stimme aus dem Off ist zu hören, bestimmt das Geschehen, wobei sich die Aktionen der Schauspieler*innen als zunehmend asynchron dazu erweisen. Die Stimme ist schlicht, plakativ, weiß zwar durchaus etwas über die Personen zu sagen, das über Äußerlichkeiten hinausgeht. Bleibt dabei allerdings erschlagend banal, wenn nicht gleich dubios. Was durchaus für den einen oder anderen Schmunzler sorgt. »Das Lauf-Outfit ist gemacht fürs Laufen.« Der Mann vom Ordnungsamt, sagt die Stimme, denkt: »Ich liebe diesen Job.« Und auch der Essensbotin gefällt ihre Arbeit: »Sie mag Menschen.« Was in diesen Menschen vorgeht? Sie sind kaum mehr als Schablonen. So etwas wie Figurenentwicklung? Das überschreitet offenbar die Fähigkeiten der Maschine, die anscheinend nicht einmal in der Lage ist zu realisieren, dass das Personal dieses Idylls nur zum Teil belebt ist. Die KI schreibt auch den, allerdings ziemlich gut gemachten, Puppen zu, dass sie das schöne Wetter genießen. Mit der Zeit zerfällt die Stimme aus dem Off, digitale Sprachstörungen verzerren sie, bevor sie in eine neue, eine Frauenstimme überblendet wird.

Der Verfall des Idylls entwickelt sich zunächst ähnlich schleichend, begleitet von sich ganz allmählich intensiver ins Klangbild schiebenden Drones. Gegen Ende beschleunigen sich dann die Ereignisse. Der Mann vom Ordnungsamt trägt bei einem seiner Kontrollgänge plötzlich eine reptiloide Maske, ein Buckel platzt aus seiner Jacke. Der Mann in der Badehose ertrinkt - wenn auch nur im KI-Text -, während sich der Schauspieler dieser Figur locker das Wasser vom Körper schüttelt.

Recht rasant implodiert das Idyll schließlich. Der umstehende Wald brennt nieder, die Menschen »vergessen zu atmen, sie vergessen zu sein«, das Sandwich des Mannes vom Ordnungsamt zersetzt sich. Lapidare Beschreibungen eines Infernos und einer posthumanen Welt. Woran die Maschine keinen hörbaren Anteil nimmt. Wie sollte sie auch? Sie hat ja kein eigenes Interesse, keine Emotionen, auch wenn sie von denen natürlich gehört hat - schließlich kann GPT-3 auf das gesamte Internet zugreifen. Aus dem, womit sie der Mensch gefüttert hat, wird sie wohl wissen, dass der Tod eine ziemlich blöde Sache für diese Menschen ist.

Ihr Blick auf uns bleibt indes teilnahmslos. Und damit verrät dieser Blick uns auch ganz nebenbei, dass die Welt, wenn schon die KI auf ihrem heutigen Stand langfristig ohne den Menschen nichts ist, um uns herum sich auch ohne ihn weiterdreht. In diesem Sinne ist das Experiment aufgegangen. Eine Künstliche Intelligenz kann - besser als das menschliche Gehirn - gigantische Mengen von Informationen auswerten, sie kann logische Schlüsse ziehen, sie ist offenbar auch in der Lage, modellhafte Prognosen zu stellen. Sie ist jedoch vor allem ein Werkzeug, eine Verlängerung des menschlichen Geistes, ohne den sie - zumindest bis auf Weiteres - überhaupt nicht existieren kann.

Was die weiteren Aussichten in Sachen Karriere angeht, lässt sich derweil festhalten: Eine ernst zu nehmende Konkurrenz für die Dramatiker*innen dieser Welt ist sie bislang zumindest nicht. Jene müssen sich also weiterhin eher um die Resultate ganz menschlicher Kulturpolitik Gedanken machen. Die durchaus eindrucksvollen Kapazitäten Künstlicher Intelligenz reichen derweil immerhin für Kurzberichte über Fußballspiele, wo präzise Daten und ein paar Floskeln des Gewerbes genügen und KI auch schon Verwendung findet. So etwas wie eine eigene Poesie, gar eine Ästhetik des unmenschlichen Textes ergibt sich in »Verfall« höchstens aus dem Kontrast zwischen Banalitäten bar jeder Ironie und nüchternem Horror, aus der Differenz zwischen der hilflosen Beschreibung von Oberflächen und dem, was Menschen dahinter ahnen können.

Nächste Vorstellungen: 8.4. und 8.5.

www.theaterbremen.de

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