Arbeitskampf am Abiturtag

Berliner Lehrerinnen und Lehrer wollen für kleinere Klassen streiken und ernten dafür Kritik

  • Patrick Volknant
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir wollen einfach mit am Verhandlungstisch sitzen«, verteidigt Tom Erdmann den kommenden Lehrerstreik am Donnerstag. Laut des Berliner Vorsitzenden der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) handelt es sich um den ersten Streik überhaupt, der sich explizit um die Arbeitsbedingen der Lehrerinnen und Lehrer drehen wird - und nicht nur um deren Bezahlung. »Für eine geringere Unterrichtszeit dürfen wir nicht streiken, da gibt es eine tarifrechtliche Friedenspflicht«, sagt Erdmann zu »nd«. Streiks für Klassengrößen seien hingegen zulässig.

Was die GEW fordert, ist ein Tarifvertrag, in dem das zahlenmäßige Verhältnis von Schülerinnen und Schülern zu ihren Lehrkräften verbindlich geregelt wird. Profitieren sollen nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch etliche andere Berufsgruppen, die an den Berliner Schulen ihr Geld verdienen. Bereits im vergangenen Sommer hatte die Gewerkschaft kleinere Klassen in der Hauptstadt gefordert.

GEW-Forderungen zum Lehrerstreik
  • In Grundschulen sollen maximal 19 Kinder pro Klasse zugelassen werden, in sozialen Brennpunkten lediglich 17 Kinder pro Klasse.
  • An beruflichen Schulen sollen höchstens 21 Jugendliche in den Klassen sitzen.
  • Die Klassengröße soll für die Jahrgangsstufen 8 bis 13 von derzeit bis zu 32 Jugendlichen auf 24 Schülerinnen und Schüler pro Klasse begrenzt werden.
  • Für Leistungskurse in der Oberstufe sollen je nach Kursart nur noch 14 bis 17 Jugendliche zugelassen sein.
  • Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sollen bei der Berechnung der Klassenstärke doppelt zählen.
  • Für Kinder mit den Förderschwerpunkten Lernen, Verhalten oder Sprache soll es 3,5 zusätzliche Förderstunden statt bisher 2,5 geben.
  • Für jeweils 150 Schülerinnen und Schüler soll eine Sozialpädagogenstelle sowie für jeweils 2000 Kinder eine Schulpsychologenstelle zur Verfügung gestellt werden.
  • Krankheitsbedingt weniger leistungsfähige Beschäftigte sollen entlastet werden. pvo

Mit der Wahl des Datums sorgt die GEW allerdings für mächtig Kritik: Am 7. April stehen für Schülerinnen und Schüler in Berlin die ersten mündlichen Abiturprüfungen an. »Wir haben ganz bewusst an einem Tag zum Streik aufgerufen, an dem die meisten Prüfungen noch nicht stattfinden«, sagt Tom Erdmann. Die Schulen hätten die Möglichkeit, die Prüfungen umzulegen. Wenn dies Schulleitungen nicht täten, liege dies in ihrer eigenen Verantwortung, so der Berliner GEW-Vorsitzende. Einen idealen Streiktermin zu finden, sei nur schwer möglich: »Es gibt im Übrigen auch berufliche Prüfungen, die ohnehin das ganze Jahr über stattfinden.«

Der Sprecher des Landeselternrats in Berlin, Norman Heise, zeigt sich dennoch unzufrieden: »Normalerweise positionieren wir uns als Landeselternausschuss streikneutral. Aber in der aktuellen Situation rund um die Pandemie fällt uns das deutlich schwerer«, sagt er zu »nd«. Im Prinzip sei die Forderung nach kleineren Klassen durchaus unterstützenswert, im Moment sei die personelle Situation allerdings noch zu angespannt. »Wir haben unsere Zweifel daran, ob das gerade eine Maßnahme ist, die empathisch rüberkommt.«

Das Ziel der GEW, so Heise, lasse sich innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht realistisch umsetzen: »Wenn ich kleinere Klassen will, brauche ich mehr Lehrkräfte und die müssen erst einmal ausgebildet werden.« Auch an zusätzlichen Unterrichtsräumen mangele es derzeit. »Wir sind jetzt schon an einer Kapazitätsgrenze, was Unterrichtsräume betrifft«, sagt Heise. »Erst einmal braucht es neue Schulen und Erweiterungsbauten und auch da stehen wir in Berlin bereits am Limit.«

Für Uneinigkeit sorgte die Ankündigung der GEW auch in den eigenen Reihen. So legte jüngst die Gewerkschaftsvorsitzende der Schulleitervereinigung ihr Amt nieder. Gegenwind kam zudem von einem langjährigen Funktionär der GEW, der seinem Unmut in einem offenen Brief kundtat.

Auf einer Senatspressekonferenz am Dienstag spricht sich Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ebenfalls gegen die Forderungen der GEW aus: »Im Moment ist es eine Zeit des Zusammenrückens, eine Zeit des mehr Kapazitäten Schaffens.« Nach Beginn des Krieges in der Ukraine habe Berlin fast 2000 zusätzliche Kinder und Jugendliche an seinen Schulen aufgenommen. Es gelte deshalb, zwischen »Realität und Anspruch« zu unterscheiden.

Die Senatsverwaltung für Finanzen sieht derweil ihre Hände gebunden. Für eine Durchsetzung der Forderungen sei Berlin auf die Zustimmung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder angewiesen. Diese lehnten das Vorhaben jedoch ab.

Der GEW-Vorsitzende Tom Erdmann will sich damit nicht zufriedengeben: »Bei der Hauptstadtzulage hat das das Land Berlin auch nicht interessiert.« Die im Zuge der Corona-Pandemie erteilten Zuschüsse für Berliner Angestellte habe das Land auch auf eigene Faust durchgesetzt. »Wir fordern, dass das Land Berlin endlich sein Verhältnis zur Tarifgemeinschaft deutscher Länder klärt.« Personalschlüssel, wie sie bereits die Schwestergewerkschaft Verdi für Pflegerinnen und Pfleger in Berlin hat aushandeln können, sieht Erdmann als Vorbild. »Der 7. April wird wahrscheinlich nicht der letzte Tag sein, an dem wir streiken

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